Wie das Saarvenir vermutlich wirklich entstanden ist
Kennen Sie diese Wandtattoos mit schwarzen Silhouetten der Wahrzeichen der jeweiligen Stadt? So mit Reichstag, Siegessäule, Brandenburger Tor und Fernsehturm für Berlin etwa? So ähnlich könnte auch die Idee fürs saarländische Mitbringsel entstanden sein. Die Macher wollten möglicherweise eine Art Wandtattoo mit den Sehenswürdigkeiten des Saarlandes schaffen – nur eben dreidimensional. Doch dann hatten sie, wohl überwältigt von der eigenen grandiosen Idee, den 3D-Druck auf der Fensterbank in der prallen Sonne stehen lassen – und alles ist zu einem Klumpen mit ineinander verwobenen Wahrzeichen zusammengeschmolzen.
Was aber nicht einmal schlimm gewesen wäre, denn der Entwurf war ohnehin von vornherein für die Tonne: die Saarschleife spiegelverkehrt, die Fenster der Tholeyer Abtei rechteckig statt rund – das kommt davon, wenn man Hipster aus dem Reich mit so etwas beauftragt, die das Saarland bestenfalls aus dem „Tatort“ kennen. Im Saarland hätte sich ganz sicher nullkommaniemand gefunden, der all die tollen Wahrzeichen kennt. Wie auch: Selbst seit Jahrhunderten fest verwurzelte Eingeborene haben noch nie etwas vom „Reinheimer Pferdchen“ im Wahrzeichen-Sammelsurium gehört und fragen sich seither, was die ausgesprochen hässliche Katze im Saarvenir zu suchen hat. Wurde bestimmt vom Lyoner-Ringel angelockt.
Wer sich die Mühe macht, die Internetseite der renommierten Hamburger Kreativ- und Marketingagentur Jung von Matt zu besuchen, die den – nennen wir ihn einmal wohlwollend – „kleinen Unfall“ zu verantworten hat, erlebt alsbald einen Aha-Moment. Dort findet sich nämlich eine Bild-Collage mit dem Titel „Volle Ladung Dortmund“. Diese erinnert frappierend an das Saarvenir – nur eben zwei- statt dreidimensional und mit Signal-Iduna-Park statt Weltkulturerbe und BVB-Spielern statt hässlicher Katze, äh Pferdchen.
Sofort springt das Kopfkino wieder an. Hamburg, Agentur Jung von Matt, ein Dienstagabend kurz vor Feierabend. Die Entwürfe für die verschiedenen Saarvenirs mit jeweils einem Wahrzeichen – hier eines mit Saarschleife, dort eines mit Weltkulturerbe, ein weiteres mit einem stilisierten Ring Lyoner – sind von der Grafikabteilung vollendet. Gleichzeitig ist auch die Bild-Collage mit den ineinander verwobenen Wahrzeichen, die die Aktion als Handzettel begleiten und für die einzelnen Saarvenirs werben soll, fertig. Als letzte Aktion des Tages bittet der Chef den Azubi, 300 dieser Handzettel auszudrucken, und verabschiedet sich in den Feierabend.
Der Schock am nächsten Morgen: Statt der 300 Zettel mit der Bild-Collage findet der Chef 300 dreidimensionale Collagen des Wahrzeichen-Geknubbels. Der Azubi hat die Datei am Vorabend statt an den normalen an den 3D-Drucker geschickt und mal so eben 230.000 Euro verblasen – und damit den gesamten Etat für das Projekt.
Und die saarländische Landesregierung und die Tourismuszentrale des Landes? Die machen aus der Not eine Tugend und gute Miene zum bösen Spiel. Natürlich sei das Saarvenir genauso, wie man es von vornherein hätte haben wollen, heißt es. Nicht umsonst habe es eigentlich „Schroovenir“ heißen sollen. Für alle, die nicht der feinen Klänge der Mundart mächtig sind: „Schroo“ heißt so viel wie hässlich. Dass sich die Medien darauf stürzen und sich genüsslich an ihrem Spott ergötzen: ebenfalls von Anfang an so gewollt. Ganz nach dem Motto: Bad news are good news – also, auch schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten.
Und mal ehrlich: Wer das Saarvenir einmal gesehen hat, der kann seine Blicke nicht mehr davon lassen. Es ist wie bei einem Verkehrsunfall: Man will nicht, aber man muss einfach hinschauen. Tatsächlich ist das Saarland seither in aller Munde – bundesweit und wahrscheinlich sogar weit darüber hinaus. Mit so wenig finanziellem Einsatz eine solche Werbewirkung erzielen – das muss uns erst einmal jemand nachmachen.
Ich fürchte nur, dass wir spätestens dann ein echt gewaltiges Problem bekommen werden, wenn bald schon all die Flieger mit wahren Heerscharen amerikanischer und japanischer Touristen am Ensheimer Flughafen einfallen – und alle das knubbelige Wahrzeichen sehen wollen – im Original.