Frank Nimsgern bringt wieder ein Musical ins Saarland. „Jack the Ripper“ hat am 16. Juni Premiere im Zeltpalast in Merzig. Im Interview spricht der 52-jährige Komponist über die Faszination dunkler Stoffe, seine Freundschaft zu Dieter Hallervorden und wie ihn seine Tochter beeinflusst.
Herr Nimsgern, wie sind Sie darauf gekommen, ein Musical über so einen schrecklichen Killer zu schreiben?
Der Intendant und großartige Regisseur Reinhardt Friese vom Theater Hof, mit dem ich schon „Der Ring“ realisiert hatte, hatte mich gefragt, ob ich Interesse an der Figur hätte, weil es darüber kein Musical gibt. Das hat mich gewundert, weil es ja doch eine weltbekannte Figur ist. Ich habe mich eingelesen und habe unter anderem erfahren, dass 1887 London die reichste Stadt der Welt war. Es gab damals in London eine Migrationswelle von unglaublichen Ausmaßen, wie wir sie jetzt auch erleben. Es existierte damals eine absolute Oberschicht, keine wirkliche Mittelschicht und die Armen. Es geht in dem Musical zwar um den Killer, aber wir haben uns auf die Opfer konzentriert und warum sie ermordet worden sind. Bis heute wurde Jack the Ripper ja nie hundertprozentig identifiziert. Da haben wir, glaube ich, eine gute und spannende Verschwörungstheorie aufgestellt.
Woher haben Sie Ihre Inspirationen genommen?
Ich bin ja mit dunklen Stoffen schon sehr vertraut, durch „Poe“, „SnoWhite“ „Der Ring“ oder meine diversen Filmmusiken für zum Beispiel „The Village“. Jack the Ripper ist ein Mythos, weil er nie gefunden wurde. Es ist auch eine Geschichte von den Menschen, die in dem Armenviertel, wo die Morde stattfanden, gewohnt haben und auf der Suche nach einem besseren Leben waren. Wenn man sich da einliest, dann sieht man, wieviel Rassismus es damals auch gegeben hat. Zum Beispiel hat man damals zuerst den sogenannten Elefantenmenschen verhaftet, und dann einen Juden.
Auch Schwarze und Homosexuelle wurden angegriffen. Es wurde, wie so oft in der Geschichte, ein Sündenbock gesucht. Wir erleben ja gerade jetzt wieder eine ähnliche Geschichte. Deshalb fand ich das unglaublich passend. Sonst hätte ich das Thema wahrscheinlich nicht so umgesetzt, wenn man nicht eine Parallelwelt zu heute aufschlagen könnte.
Was fasziniert Sie an den dunklen Stoffen?
Die Fallhöhe. Wir tragen alle eine helle und eine dunkle Seite in uns. Dieser Hintergrund ist theatralisch und dramaturgisch besser aufzuarbeiten als „Wir haben uns alle lieb“, denn das ist ja nicht so. Wir erleben es gerade mit dem Aggressor Putin. Die Verschwörungstheorie, die wir bei „Jack the Ripper“ zeichnen, ist die, die am ehesten passt, wenn man sich die ganzen Foren anschaut. Sie ist sehr gewagt, aber liegt sehr nahe. Bei uns ist Jack the Ripper aber ganz bewusst eine stumme Rolle, aber nicht minder sehr musikalisch. Man höre zum Beispiel auf dem Soundtrack „Jack is Back“.
Warum eigentlich?
Wenn ich Jack the Ripper einen Song gegeben hätte, dann hätte ich sein Gesicht verraten. Das Gesicht kommt am Ende raus, aber man muss genau zuhören, um zu wissen, dass er es war. Und das geht bis in die höchsten Kreise. Und es wird auch sein Verhalten erklärt, warum er gerade diese Frauen ermordet hat.
Wie war das, den Opfern Kontur zu geben?
1887 hatten die Frauen keine Rechte. Die Opfer waren Prostituierte und Frauen, die auch verheiratet waren, aber so wenig Geld hatten, dass sie ihren Körper verkauft haben. Im Grunde genommen wurden sie behandelt wie Vieh.
War das deshalb für Sie wichtig?
Ja, weil es auch ein Zeitdokument ist. Wir sehen in diversen Ländern, dass sich nicht viel verändert hat, Zustände wie im Mittelalter, zum Beispiel Iran. Deshalb ist das Thema hochbrisant.
Das erste Mal seit acht Jahren bringen Sie wieder ein Musical ins Saarland. Wie ist das für Sie?
Es ist in den acht Jahren viel passiert. „Der Ring“ ist vier Jahre im Festspielhaus gelaufen, „80 Plus“ von Hallervorden erschien, meine erste Oper „Martyr“ ist am Theater Pforzheim erschienen, in der Staatsoper Dresden kam „Der Mann mit dem Lachen“ raus.
Hier hab ich acht Jahre nicht stattgefunden, deshalb ist das ein schönes Gefühl, wiederzukommen. Vor 24 Jahren ging es mit „Paradise of Pain“ sehr erfolgreich mit 60 ausverkauften Vorstellungen am Saarländischen Staatstheater hier los.
Wir versuchen jetzt mit Jack the Ripper eine neue Duftnote zu setzen. Der Zeltpalast hat nach dem Verkaufsstart in den ersten drei Wochen 3.000 Tickets verkauft, nachdem es bekannt wurde. Ohne ein Plakat oder Flyer – nur über Mundpropaganda und Social Media. Das gab es noch nie.
Als wir „Jack the Ripper“ besetzt haben, haben wir auch realisiert, möglichst viele Künstler und neue Talente aus der Region zu besetzen. Ich versuche immer, neue Talente regional zu fördern.
Wie war es für Sie, Ihre erste Oper zu schreiben?
Spannend. Es war eine ganz andere Herangehensweise, wie ich mit Stimmen und dem Orchester umgehe. Das wollte ich immer machen.
„Jack the Ripper“ ist in Bayern am Theater in Hof sehr erfolgreich gestartet.
„Jack the Ripper“ war in Bayern die komplette Spielzeit ausverkauft. Der Soundtrack war auf Platz eins der Musicalcharts. Das hat mich natürlich gefreut, dass die Musik so angenommen wird. Eine Oper ist ja immer hoch subventioniert. Beim Musical werden wir immer am Erfolg gemessen. Das macht mich manchmal ein bisschen traurig.
Wir haben dadurch diesen unglaublichen kommerziellen Druck. Das hat die Oper nicht. Wenn da nur 100 Leute im Publikum sitzen, kräht kein Hahn danach. Wenn bei uns nur 100 Leute im Publikum sitzen, dann wird das Stück abgesetzt und gilt als Flop.
In „Jack the Ripper“ haben wir sehr viel Energie reingegeben, weil wir daran geglaubt haben, dass die Songs mit der Sehnsucht von Menschen nach einem besseren Leben zu tun haben. Mit den Texten und der Musik können sich die Leute identifizieren. Auch auf Spotify sieht man, die Streamingzahlen gehen hoch – bis zu 30.000 Streams pro Song vom Soundtrack. Auch die jüngere Generation interessiert das. Denn meiner Meinung nach ist das größte Problem der deutschen Theater die Überalterung.
Sie haben mit „Jack the Ripper“ im Saarland ein Schulprojekt geplant.
Wir haben speziell für die Schulen mit der wunderbaren Darstellerin und Sängerin Svenja Meyer, welche eine der Hauptrollen in „Jack“ singt und auch Lehrerin an der Gemeinschaftsschule Nohfelden-Türkismühle ist, ein Schulprojekt angefertigt, sodass die Lehrer mit ihren Schülern zwei Songs aus dem „Ripper“ nachspielen können. Ebenso gibt es ein tolles Konzept von Svenja Meyer für den Musikunterricht und Darstellendes Spiel. Wer Interesse hat, kann sich gern bei uns über unsere offizielle E-Mail franknimsgern@me.com, über Instagram bei frank nimsgern official oder per Facebook-Privatnachricht melden.
Sie sind Vater einer zehnjährigen Tochter. Wie beeinflusst Sie das?
Meine Tochter ist auf Snapchat, und sie kam gestern, ganz stolz, dass bei Snapchat ein Song von „Jack the Ripper“ ist, wo man mitsingen kann. Wir müssen wieder mehr auf die Kinder hören, ich muss sehen, wie ihre Interessen sind, das ist die Zukunft. Ich arbeite ja auch viel mit Kindern. Meine Tochter bringt mir auch Klavierschüler, dann spiele ich auch Billie Eilish mit denen, aber neben Bach und Tschaikowski.
Sie haben mal erzählt, dass Sie, als Sie ein Kind waren, das Musikalische in Ihrer Familie als zu „eng“ erlebt haben.
Mein Vater war einer der größten Opernstars seiner Zeit, für ihn waren die rein klassische Musik und Jazz das Größte. Alles andere fand bei uns nicht statt. Als ich mit der ersten The-Who-Platte ankam, wurde ich quasi exkommuniziert. Das wurde nicht verstanden, warum ich Musik hören wollte, die nur vier Akkorde hatte, mit lauten Gitarren und schreienden Sängern. Der Begriff der sogenannten (selbsternannten) Hochkultur kommt sowieso aus einer sehr dunklen Zeit in Deutschland. Ich halte es da wie Duke Ellington oder Bernstein, der sagte, „es gibt nur gute oder schlechte Musik“.
Das versuchen Sie jetzt anders zu machen bei Ihrer Tochter?
Ja, unbedingt. Ich nehme meine Tochter auch in den „Tannhäuser“ mit. Aber man muss einfach verstehen, dass sich das Hör- und Sehverhalten der Generationen verändert. Ich gehe auch noch in die Oper, aber ich meine dann oft, ich bin im Altersheim. Ich sehe meist nur noch alte Leute.
Wie geht es nach Merzig weiter mit „Jack the Ripper“?
Wir gehen sicherlich mit der „Made in Saarland“-Produktion von Joachim Arnold noch in andere Städte, aber erst nächstes Jahr. Ich habe nämlich noch eine Uraufführung im Januar 2024 im Festspielhaus Neuschwanstein und danach wieder die Festspiele Luisenburg.
Was ist denn geplant?
Da darf ich noch nicht drüber reden (lacht). Dann haben wir nochmal etwas mit Dieter Hallervorden vor.
Auf mich wirkt es so, dass Sie eine besondere Beziehung zu ihm haben.
Dieter Hallervorden ist einer meiner besten Freunde geworden, als ich das Angebot bekam, die Songs für sein Lebensalbum zu schreiben. Das Video zu dem Song „Mein Leben“ wurde bisher eine Million Mal gestreamt!
Bei der Entstehung des Songs war noch die Corona-Zeit. Wir haben uns damals bis zu dem Videodreh nie gesehen, nur in Quarantäne gearbeitet. Bis zu dem Dreh haben wir uns gesiezt. Dann kam der Dreh, er kam aus seinem Trailer raus, wir haben uns angesehen und umarmt. Nach dem Dreh haben wir fast täglich gesprochen.
Er kommt zu mir, wenn ich eine Produktion habe, ich komme zu ihm. Wir sind sehr seelenverwandt, was auch die Lebenseinstellung angeht. Immer wenn wir uns sehen, planen wir neue Konzepte. Wir haben noch einiges in petto. Auch für seine eigenen zwei Theater.
Was verbindet Sie?
Der Humor. Ein unglaublicher Respekt. Und es geht uns immer um Qualität, nicht ums Geld. Bei „Jack the Ripper“ ist er der Erzähler. Er hat eine unglaubliche Vielfalt. Das Schlimmste für ihn ist, wenn man ihn als Didi anspricht. Wenn man ihn nur auf das begrenzt.
So ähnlich ging es mir, als man mich immer nur als Rock-Musical-Komponist, besonders im E-Musik-Feuilleton, tituliert hat. Dabei wissen die meisten, dass ich für großes Orchester Suiten geschrieben habe, eine Oper, Filmmusiken und so weiter. Hallervorden hat so viele Facetten. Er ist lern- und wissbegierig, wie ich keinen anderen Menschen erlebt habe. Und ist bei allem so bescheiden. Er ist für mich ein Vorbild, so möchte ich alt werden. Er müsste eigentlich nicht mehr arbeiten, aber er hört nicht auf. Er ist 87 Jahre alt!
Das Leben ist doch, wenn du ein Talent hast, dass du das Maximum rausholst. Mich interessiert heiß oder kalt, lauwarm interessiert mich nicht. Bei Dieter war das auf Augenhöhe, weil wir nicht voneinander abhängig sind.
Haben Sie das Gefühl, dass es in Ihrem Metier schwierig ist, echte Freundschaften aufzubauen?
Mein Beruf ist ja ein Auf und Ab. Wenn ich lobend erwähnt werde, freue ich mich, aber ich weiß genau, dass es wieder anders kommen kann. Dieter Hallervorden hat auch viele Rückschläge gehabt, aber die Bodenhaftung nicht verloren. Ich sehe Parallelen zwischen uns.
Wir haben uns vor einigen Jahren das letzte Mal zu einem Interview getroffen, Sie wirken auf mich heute nachdenklicher, geerdeter.
Ja, natürlich. Alter ist auch Erfahrung. Ich habe vor einem Jahr meinen besten Freund verloren, er ist gestorben. Ich habe einige gute Freunde in den letzten Jahren verloren. Ich kann nur sagen, genieße jeden Tag, als ob es der letzte ist. Ob es jetzt Musical ist oder Oper, es ist ein Luxus, dass wir so etwas machen dürfen. Wir unterhalten Leute. Ich hoffe, mit Sinn und Verstand. Aber wenn du nicht gesund bist, dann bringt das alles nichts. Musik und Theater ist für mich Energie, ich möchte Leute berühren, das gibt mir Energie. Und ich bin dankbar, vor allem für meine Gesundheit, die meiner Eltern und meines Kindes. Und dankbar, dass ich für Menschen spielen darf. Das lernt man aber erst, wenn man älter wird.