David Peña Dorantes ist ein spanischer Flamenco-Pianist. Er entstammt dem Volk der spanischen Roma, die dort Gitanos genannt werden. Im Juli tritt Dorantes im Rahmen des neuen „Fill in – International Jazz Festival Saar“ im Deutsch-Französischen Garten auf.
Normalerweise spielen Flamencomusiker Gitarre, so wie Sie es in Ihrer Jugend getan haben. Wie kam es, dass Sie aufs Klavier umgestiegen sind?
Im Haus meiner Großeltern gab es ein Klavier. Das war in jenen Jahren sehr selten in Spanien und noch mehr in einem Dorf weit entfernt von der Stadt. Aber mein Großvater Bernardo und meine Großmutter, die Sängerin La Parata, beide Gitanos durch und durch, hatten eins. Niemand spielte darauf. Immer wenn meine Eltern mir sagten, lass uns zu den Großeltern gehen, dachte ich an dieses Klavier. Wenn ich dort ankam, rannte ich zum Klavierhocker und hob den Deckel, der sehr schwer war für mich, weil ich noch sehr klein war. Ich prägte mir die Klänge jeder einzelnen Note ein und untersuchte, wie zwei Noten zusammen klingen. Das habe ich geliebt! Was für ein schöner Klang! Ganz schüchtern fing ich mit kleinen Melodien an, die ich mir ausgedacht hatte. Ich spielte immer sehr leise, um nicht zu stören und damit mir niemand zuhörte. Es war wie meine eigene kleine Welt, dieses Klavier und ich. So fing ich an, alles herauszufinden. Was in der Musik und im Flamenco wirklich zählt, ist das Ergebnis. Es ist völlig egal, wie es erreicht wird. Sich dabei irgendwie einzuschränken, wäre nicht sehr schlau, finde ich. Wenn man weiß, was man erreichen will, spielt das Instrument selbst keine Rolle.
Was ist für Sie das Klavier?
Das Klavier ist eine riesige Schreibmaschine, mit der ich laute Texte in die Luft schreibe, Geschichten erzähle und Seelenzustände beschreibe, das ist mein Ziel. Und meine Sprache ist der Flamenco, weil ich Flamenco bin, weil ich ein Gitano bin. Ich bin dem Klavier dankbar, dass es mir die Möglichkeit gibt, dem Flamenco eine beeindruckende Klangvielfalt und wunderbare harmonische Möglichkeiten zu geben. Ich kann mich auf diesem Weg mit viel weniger Einschränkungen als bei anderen Instrumenten entwickeln. Dafür musste ich eine neue Sprache für das Klavier erfinden mit neuen Flamenco-Strukturen.
Ich hatte noch nie von einem Flamenco-Pianisten gehört. Sind Sie einer der ersten oder gibt es eine Tradition?
Es gibt keine Tradition des Solo-Flamenco-Klaviers. Eine Generation vor mir gab es nur zwei Musiker, die mit dem Klavier Flamenco-Sänger begleiteten, indem sie die gleichen Skalen und Strukturen benutzten, die auf der Gitarre verwendet werden. Einer von ihnen imitierte die Stimme mit dem Klavier und ein anderer imitierte die Gitarre. Das ist nicht der Weg, den ich gegangen bin. Sie waren keine Maßstäbe für mich, weil sie sich dem Flamenco-Klavier auf eine andere Weise näherten als ich. Ich möchte, dass das Klavier ein „solistisches“ Flamenco-Instrument mit eigener Identität und eigener Sprache ist.
Man sagte mir, dass Sie in Spanien sehr berühmt sind. Bedeutet das, dass die Leute Sie auf der Straße erkennen?
Ja, ich habe das Glück, die Herzen vieler Menschen erreicht zu haben. Sie halten mich auf der Straße an und bitten mich um Fotos.
Gibt es andere berühmte Flamenco-Pianisten in Spanien?
Es freut mich sehr, dass es eine Generation von jungen Musikern gibt, die meine Werke studieren und die auch Flamenco-Pianisten werden wollen. Und ich hoffe, dass es irgendwann noch viel mehr von uns geben wird.
Flamenco basiert auf der sogenannten andalusischen Kadenz. Zum Beispiel: A-Moll, G-Dur, F-Dur und E-Dur. Werden Sie nie müde von diesen vier Akkorden?
Doch, natürlich, deshalb löse ich mich manchmal davon und erkunde andere Klangwelten wie klassische Musik oder atonale Musik, Jazz, alternative Skalen und versuche, funktionale Harmonien zu vermeiden … und ich komponiere Flamenco-Musik unter Verwendung dieser Stile. Ich bekomme dadurch andere musikalische Gestaltungsmöglichkeiten. Das bereichert und erfreut mich sehr. Mir ist sehr wichtig, dass der Flamenco trotz dieser anderen Stile weiter spürbar ist und nicht seine intuitive und wahre Kraft verliert, die ihn ausmacht. Zum Beispiel in den Tanguillos (Tanguillo ist ein bestimmter Flamenco-Stil, Anm. d. Red.) „Danza de las sombras“, wo ich impressionistische, Jazz-, zeitgenössische oder klassische spanische Harmonien verwende, oder bei meiner Komposition „Batir de alas“, in der ich keinerlei typische Flamenco-Harmonien verwende.
Sie haben den Flamenco oft als eine Art Philosophie bezeichnet, können Sie das genauer erklären?
Flamenco ist Erfahrung, er ist eine Wiege, er ist das Leben deiner Lieben. Er ist das natürliche Lernen von Kindheit an, als wir noch wie Schwämme alles aufsaugten, mit dieser Intensität und Bedeutsamkeit. Wie die Sprache, die man erlernt, ohne zu wissen, wie oder warum. Du spürst Flamenco in allem: Wenn du jemanden vermisst, wenn du eine Geburt feierst oder wenn ein Abschied weh tut, wenn dein Vater dich ansieht oder wenn du deinen Sohn ansiehst ... und Flamencomusik bestimmt deine Kommunikation mit deiner Umgebung. Dies ist ein sehr wichtiger Teil des Flamenco-Spielens, denn die emotionale Aufladung, die diese Musik hat, ist sehr groß. Es ist etwas ganz anderes, Flamenco zu studieren, als ihn zu leben. Die Erfahrungen in meiner Familie, in der Flamenco immer präsent war, haben mir die Grundlagen geschaffen, auf denen ich später eine Welt aufbauen konnte, die umso reicher sein wird, je mehr ich übe und lerne.
Was ist die Beziehung zwischen Flamenco und Jazz?
Was Jazz und Flamenco in meiner Musik gemeinsam haben, ist Freiheit und Improvisation, obwohl es einen Unterschied in den Stilen gibt. Der Jazz entspringt aus einer harmonischen Chiffre, der Flamenco aus dem Nichts. Andere Pianisten haben Fusionen aus beiden Stilen gemacht, aber das ist nicht mein Fall. Ich fusioniere nicht, ich übernehme lieber musikalische Sprachen und baue sie in meinen Stil ein, ohne meine Identität zu verlieren. Ich habe niemals darüber nachgedacht, was ich miteinander verbinden kann, damit es anders klingt. Mein Prozess beim Komponieren ist anders.
Wie sieht er aus?
Das erste, was entsteht, ist das Bedürfnis etwas auszudrücken, etwas zu erzählen. Dann wähle ich aus der Farbpalette diejenigen aus, die meine Gefühle am besten und auf die authentischste Art für mein Herz und meinen Kopf ausdrücken.
Der Ursprung und die Herkunft des Flamencos sind umstritten. Was ist Ihr Standpunkt dazu?
Der Ursprung des Flamencos liegt bei den spanischen Gitanos und hauptsächlich in Andalusien. Im 18. Jahrhundert spielten bei der Entstehung auch die Einflüsse arabischer und jüdischer Musik eine Rolle.
Ihre berühmteste Komposition, Orobroy, enthält einen Teil, bei dem Kinder in der Sprache Caló singen. Welche Bedeutung hat der Text?
Orobroy bedeutet „Gedanke, Wunsch, Gebet“ in der Sprache der Gitanos. Der Text des Liedes bedeutet: Wenn ich die alte Stimme meines Blutes höre, die nach vergangenen Jahrhunderten des Schreckens singt und weint, fühle ich, wie Gott meine Seele streichelt, und in der Welt säe ich Rosen statt Schmerz.
Ist Caló Ihre Muttersprache?
Nein. Leider wurde einst unsere Roma-Sprache verboten und Gitanos, die sie sprachen, wurden in Spanien mit harten Strafen verfolgt. Ihre Zungen wurden herausgeschnitten. Dies geschah 1499 mit dem Verdikt der katholischen Könige, als die Verwendung von Caló verboten wurde, weil die Sprache als „delinquenter Jargon“ galt. Später im Jahr 1749 gab es „La Gran Redada“, als Fernando VI. die Verhaftung aller Gitanos des Königreichs anordnete: Männer, Frauen, Alte und Kinder. Dadurch wurde in Spanien das Caló ernsthaft beeinträchtigt.
Erzählen Sie mir von den Musikern, die Sie zu Ihrem Konzert nach Saarbrücken bringen werden!
Ich werde in einem Trio mit einem großartigen Kontrabassisten aus der Welt des Jazz, Javier Moreno, und einem echten Flamenco-Percussionisten, Paco Vega, auftreten. Das Album „El Tiempo por Testigo“ entstand zum Jubiläum meiner ersten 20 Jahre als Pianist und enthält die bedeutungsvollsten und wichtigsten Songs meiner Karriere. Wir spielen sie aber aus einer aktuellen Perspektive heraus, mit viel Improvisation. Ich denke, die Zuhörer werden eine tolle Zeit haben.