Borussia Mönchengladbach steht vor einem Umbruch. Davon betroffen könnte auch Trainer Daniel Farke sein. Nach dem Debakel von Dortmund ist die Unruhe groß
Wenn Daniel Farke auf einer Pressekonferenz Fragen gestellt bekommt, holt er meist tief Luft, und dann redet der Trainer von Borussia Mönchengladbach los. Gefühlt ohne Punkt und Komma. Eine Antwort dauerte kürzlich einmal geschlagene elf Minuten. Was sagt das aus? Nun, zum einen, dass man Farke wünscht, dass er die Dinge vor seinem Spieler besser auf den Punkt bringen kann. Vor allem aber, dass es momentan schwierig ist, die Borussia betreffende Dinge in ein oder zwei Sätzen zusammenzufassen. Vieles ist komplex, es ist noch unklar, in welche Richtung es geht. Und Farke ist eloquent und offen genug, sich Mühe zu geben, alles so gut wie möglich darzustellen.
Es ist im Endeffekt sicher nicht übertrieben zu sagen, dass die Gladbacher in diesem Sommer an einem ganz wichtigen Scheideweg stehen. Für die einen bietet sich eine riesige Chance auf einen Umbruch. Die anderen machen sich extreme Sorgen, dass die Gladbacher sich nächste Saison eher nach unten orientieren müssen statt oben wieder angreifen zu können.
Gladbach steht am Scheideweg
Es hatte in Gladbach ohnehin eine neue Zeitrechnung begonnen, als Manager Max Eberl im Januar 2022 aus gesundheitlichen Gründen seinen Rücktritt nach 23 Jahren im Verein und zuletzt zwölf Jahren in der Position des Sportchefs bekannt gab. Dazu kam in den vergangenen Jahren das Unstete auf dem Trainer-Posten, nachdem Marco Rose das angestrebte Langzeitprojekt nach zwei Jahren von sich aus beendet hatte und zu Borussia Dortmund gewechselt war. Und der für 7,5 Millionen aus Frankfurt geholte Nachfolger Adi Hütter zu sehr mit dem Club fremdelte und umgekehrt. In einem „Kicker“-Interview gab der Österreicher kürzlich zu, dass die Zusammenarbeit im Endeffekt ein Missverständnis war. „Wenn sich Gladbach als Ballbesitzmannschaft definiert, war meine Verpflichtung zu dem Zeitpunkt nicht richtig“, sagte er. Zudem bestätigte er, dass ihm bei seiner Verpflichtung andere Dinge versprochen worden waren. Er hätte das Team „gerne wie in Frankfurt oder Bern mit jüngeren, hungrigen und schnellen Spielern in eine andere Richtung entwickelt“. Dafür sollten Spieler verkauft werden, um von diesem Geld andere, zu seinem System besser passende zu holen. „Das war der Plan“, sagte Hütter: „Schlussendlich war aber kein Geld zum Investieren da.“
Das lag nicht zuletzt an der Geschichte um Marcus Thuram. Der Wechsel des französischen Stürmers für 37 Millionen Euro zu Inter Mailand war wohl fast eingetütet. Im Spiel Ende August 2021 in Leverkusen kam er dennoch zum Einsatz und zog sich prompt einen Innenbandriss im Knie zu. Der Wechsel platzte, Thuram fiel bis Ende Oktober aus, war dann quasi den Rest der Saison außer Form und wird nun, nach einer passablen Spielzeit, am Saisonende ablösefrei gehen. Gleiches gilt für Außenverteidiger Ramy Bensebaini, für den Borussia Dortmund im Vorjahr bis zu 20 Millionen geboten haben soll. Nun bekommt Gladbach nach Vertragsende nichts für ihn. Zudem ging im Winter Torhüter Yann Sommer nach achteinhalb Jahren zum FC Bayern, die neun Millionen Ablöse wurden direkt in Nachfolger Jonas Omlin investiert. Und Kapitän Lars Stindl (34) wechselt nach acht Jahren in Gladbach zurück in die Heimat und lässt die Karriere beim Karlsruher SC ausklingen.
Stindls Abschied tut weh
Somit werden die Gladbacher ohne einen Mehrwert auf dem Konto in rund anderthalb Jahren vier außergewöhnliche Spieler verloren haben. Thuram und Bensebaini als zwei der begabtesten, Sommer und Stindl als Identifikationsfiguren nach außen, die auch für die Kabine und den Kitt im Team extrem wichtig waren. Mit Stindl hätten die Gladbacher deshalb sehr gern verlängert, obwohl nicht absehbar war, wie hoch sein sportlicher Wert in der nächsten Saison gewesen wäre. Doch Stindls Wert für das Team ließ sich eben nicht in Einsatzminuten messen.
Gladbach braucht also im Sommer nicht nur einen neuen Torjäger für Thuram, sondern auch eine neue Achse und Hierarchie. Es bleiben zwar Patrick Herrmann und Christoph Kramer (beide 32) als emotionale Korsettstangen, aber sie stehen sportlich nicht mehr regelmäßig in der ersten Reihe. Das gilt zumindest noch für Jonas Hofmann und Florian Neuhaus. Um sie, Omlin und Julian Weigl soll ein neues Korsett entstehen. „Es ist mein Ziel, in eine Führungsrolle hineinzuwachsen. Auf dem Feld, aber auch abseits davon“, sagte Ex-Nationalspieler Weigl: „Die Hierarchie wird sich ein Stück weit verändern. Es gilt, eine große Lücke zu füllen.“
Und das quasi ohne Transfer-Einnahmen. Generiert werden könnte diese durch Mittelfeldspieler Manu Koné. Angeblich sind Topvereine wie der FC Chelsea, Manchester United oder Paris Saint-Germain an dem 21 Jahre alten Franzosen interessiert. 30 Millionen oder mehr könnte er einbringen. Ihren aktuell wohl besten Spieler zu verlieren, können sich die Gladbacher eigentlich nicht auch noch leisten. Doch wollen sie einkaufen, brauchen sie das Geld. Zumal Mittelfeldspieler Weigl schon für knapp 7,2 Millionen Euro fest von Benfica Lissabon verpflichtet wurde. Also Geld ausgegeben werden musste, ohne dass dafür ein Spieler dazukommt. Und bei der jüngsten Mitgliederversammlung Mitte April wurde bekannt, dass der fünfmalige Deutsche Meister im Jahr 2022 ein Minus von 24,51 Millionen gemacht hat. Und Geschäftsführer Stephan Schippers stellte klar: „Wir werden 2023 den Turnaround schaffen und wieder schwarze Zahlen schreiben.“ Ohne große Einnahmen sind da keine großen Ausgaben möglich.
Entsprechend gestalten sich die Namen der Spieler, an denen die Borussia interessiert sein soll. Zuletzt kursierten verstärkt die von Moritz Kwarteng vom 1. FC Magdeburg und von Robin Hack von Arminia Bielefeld. Beide sind interessante Profis und spielen persönlich eine gute Saison. Doch beide spielen sie bei Abstiegskandidaten der 2. Bundesliga. Und mit 25 beziehungsweise 24 sind es jetzt auch keine Rohdiamanten mehr.
Bleibt zuletzt noch eine entscheidende Frage: Ist Farke überhaupt der Richtige für diesen Umbruch? Die Befürworter verweisen darauf, dass der 46-Jährige sowohl bei seinem Heimatverein SV Lippstadt, als auch in der Zweite Mannschaft von Borussia Dortmund und schließlich vor allem bei Norwich City, das er überraschend in die englische Premier League führte, gute Aufbauarbeit geleistet hat.
Hoffnung auf das zweite Jahr
Wenn man ihm Zeit gab und ein Team, das nach seinen Vorstellungen zusammengestellt wurde. In Weigl wurde auch sein Wunschspieler fest verpflichtet. Doch der Weg dahin, dass Borussias Kader Farkes Kader wird, ist noch weit. Dass er mit dem aktuellen Kader in der Breite nicht zufrieden ist, zeigte er in dieser Saison ganz deutlich. Denn kein anderer Trainer in der Bundesliga wechselte annähernd so selten wie er. Und spätestens nach dem 2:5-Debakel vom vergangenen Wochenende in Dortmund gibt es massive Spekulationen über Farkes Zukunt. Regionale Medien berichteten am Wochenende, der Trainer stünde vor dem Aus. Die Verantwortlichen reagierten auf diese Spekulationen zunächst nicht. Bereits beim Spiel gegen Bochum Anfang Mai gab es Pfiffe gegen den Trainer und einzelne „Farke raus“-Plakate. „Wenn man nicht bereit ist, solche Situationen auszuhalten, darf man nicht Trainer von Borussia Mönchengladbach werden“, sagte der Coach dazu: „Gerade dann nicht, wenn sich der Verein in einer Umbruchsituation befindet. Wenn es einfach wäre, könnte es jeder machen. Ich bin weit davon entfernt, das persönlich zu nehmen.“
Doch die Proteste kamen nicht aus dem Nichts. Als die „Rheinische Post“ die Arbeit des Trainers Mitte April benoten ließ, bekam er kein einziges Mal die Note 1 und nur von drei Prozent der User eine 2. Aber 40 Prozent bewerteten ihn mit einer 5 oder 6. Farke hatte die Ziele für seine erste Spielzeit schon sehr vorsichtig formuliert. Man wolle „den Abwärtstrend“ stoppen. Nach 32 Spieltagen belegten die Gladbacher Platz elf. Die Tendenz ist erschreckend.
Sportchef Roland Virkus wollte diese Diskussion gar nicht erst zulassen. „Natürlich sind wir mit dieser Saison nicht zufrieden“, sagte er, betonte aber mit Verweis auf die damals „ähnliche Situation“ in Norwich: „Daniel hat gezeigt, dass er es meistern kann und dass er diese Chance verdient hat.“ Doch das war vor dem Dortmund-Debakel.
Auch Virkus wird von vielen kritisch gesehen. Er war nach dem Aus von Eberl nach 32 Jahren im Nachwuchsbereich im Alter von 55 Jahren zum Sportchef befördert worden. Trotz der Vertragsverlängerungen mit Nationalspieler Hofmann und Alassane Pléa und der Verpflichtung Weigls für die Hälfte der festgeschriebenen Ablösesumme hat er noch nicht nachhaltig das große Profil gewonnen. Im Sommer des Umbruchs bietet sich dazu aber ja ausführlich Gelegenheit.