Die Fitnessbranche bekommt immer größeren Zuwachs – insbesondere durch Frauen. Exklusive Fitnessangebote nehmen vielen von ihnen die Angst vorm Training. Doch die Rolle der Frau in dem Bereich ist noch immer vorurteilsbehaftet.
Von „Gymtimidation“, also einer „Gym-Schüchternheit“ sprechen die Autoren einer „Sure Women“-Studie aus dem Jahr 2019, wenn es um die Gründe geht, warum Frauen sich gegen den Besuch eines Fitnessstudios entscheiden. Jede vierte der rund 2.000 befragten Frauen gab an, aufgrund der Vielzahl an Trainingsgeräten und der Leute um sie herum Angst zu haben, wegen ihres Aussehens oder ihrer Ausführung bestimmter Übungen verurteilt zu werden. Besonders Frauen zwischen 18 und 24 beschäftige die mögliche Wahrnehmung anderer so sehr, dass es sie am Gym-Besuch hindere.
Aber nicht nur die Angst vor dem Sich-lächerlich-Machen spielt bei der „Gymtimidation“ eine große Rolle, sondern auch die vor sexueller Belästigung durch das andere Geschlecht. So gaben 70 Prozent der befragten Frauen an, schon einmal schlechte Erfahrungen hinsichtlich sexueller Belästigung im Fitnessstudio gemacht zu haben – seien es verbale Entgleisungen, Berührungen oder dass sie beim Training unwissentlich fotografiert oder gefilmt wurden. Mit dem Ergebnis, dass etwa die Hälfte der Betroffenen gewisse Bereiche in Studios meiden. Dies betrifft insbesondere den Freihantelbereich. 18,5 Prozent haben ihre Studiomitgliedschaft infolge solcher Erfahrungen gekündigt.
Viele Studios gehen mittlerweile hart gegen Vorfälle dieser Art vor, und es ist wichtig, zu betonen, dass es sich oftmals um Einzelfälle handelt. Dennoch greifen immer mehr Fitnessstudio-Besucherinnen auf Bereiche extra für Frauen oder gar auf reine Frauen-Gyms zurück, die sich seit fast zwei Jahrzehnten einen immer größeren Platz in der Branche erkämpft haben – mit Erfolg, denn die Anzahl in Studios trainierender Frauen ist seitdem stark angestiegen.
Die Angst, sich lächerlich zu machen
2004 ging Mrs. Sporty als eines der ersten Fitnessstudios rein für Frauen an den Markt. Niclas Bönström entdeckte damals die berufstätige Mutter als Zielgruppe, die in der Regel andere Ziele beim Sport verfolge als Männer. So entwickelte er ein Konzept speziell für Frauen über 30, die in der Regel weniger Zeit für Sport zur Verfügung haben, aber dennoch in Form bleiben möchten. Schnell fand der Unternehmer prominente Unterstützer, darunter Tennisstar Stefanie Graf. „Heute besteht das Mrs.-Sporty-Franchise aus über 400 Clubs in Europa, die meisten davon in Deutschland und Österreich“, so Bönström. Mittlerweile trainieren rund 200.000 Frauen in einem der Clubs.
„Das Training fällt einfach leichter und macht mehr Spaß, wenn man Mitstreiterinnen hat und nicht auf sich allein gestellt ist“, erklärt Bönström den Erfolg des Franchise. „Deshalb steht für uns neben der persönlichen Betreuung durch die Trainer auch die Community im Fokus.“ Auch eine Umfrage des Arbeitgeberverbands deutscher Fitness- und Gesundheits-Anlagen belegt: Frauen trainieren besonders gern in sogenannten Mikro-Fitnessstudios, also Studios mit weniger als 200 Quadratmetern Fläche. Das hat einfache Gründe. Frauen möchten sich in Studios wohlfühlen, und aufgrund der fast schon familiären Situation in Mikro-Studios ist das hier besonders gut möglich. Mit Erfolg: Nur 18,3 Prozent der dort trainierenden Mitglieder können sich vorstellen, ihr kleines Fitnessstudio wieder zu verlassen. Die Fluktuationsrate liegt somit bei Mikro-Studios unter dem Branchen-Durchschnitt von 21,7 Prozent. Viele dieser kleinen Studios haben sich daher bewusst auf Frauen spezialisiert und exklusive Angebote für sie geschaffen. Ketten wie Mrs. Sporty, Sporteve, Lady Fitness und Co. sind mittlerweile in so gut wie jeder größeren Stadt Deutschlands zu finden.
Bedürfnisse haben sich mit der Zeit geändert
Doch die Spezialisierung geht weiter: Neben Ketten für Frauen gibt es mittlerweile auch Angebote bewusst für Frauen in bestimmten Altersklassen, denn gerade Seniorinnen fühlen sich in einer homogeneren Gruppe deutlich wohler und sicherer. Auch Studios, die ausschließlich Frauen mit starkem Übergewicht trainieren oder die sich auf Sport in und nach der Schwangerschaft spezialisiert haben, zeigen Erfolg. Denn all diese Faktoren bringen eigene Besonderheiten mit sich, die es zu beachten gilt, und durch die enge Spezialisierung können diese Studios ihren Fokus darauf ausrichten und gezielter auf die Bedürfnisse ihrer Kundinnen eingehen.
Aber auch in einer homogenen Gruppe ändern sich die Bedürfnisse von Zeit zu Zeit. Nicht zuletzt Corona hat gerade auch in der Fitnessbranche einen Digitalisierungs-Boom ausgelöst. Online Coachings, digitale Helferlein und Co. erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Eine Entwicklung, die auch kleine Studios mitgehen müssen. Auch die Interessen und Ziele von Frauen hinsichtlich Sport und Bewegung haben sich verändert. Wo es früher noch viel um die Themen Abnehmen oder Rückenprobleme ging, geht es mittlerweile auch in der Damenwelt vermehrt um Muskelaufbau und Fettverbrennung. Wer bei Sport für Frauen noch ausschließlich an Yoga, Pilates und Zirkeltraining denkt, ist auf dem Holzweg. Sparten, die zuvor als reine „Männersache“ galten, erleben immer mehr weiblichen Zuwachs: Freihanteltraining, Liegestütze, Klimmzüge – Krafttraining wird auch bei Frauen immer beliebter. Das liegt nicht zuletzt auch an dem über Social Media nach Europa schwappenden Einfluss aus Amerika, wo Kraftsport schon länger ein Thema nicht nur für Männer ist.
„So würde eine richtige Frau nicht aussehen“
Dass sich Krafttraining auch super auf Frauen zuschneiden lässt, zeigen nicht zuletzt die vielen weiblichen Profi-Athletinnen im Bodybuilding-Bereich. Auch im professionellen Bereich werden Frauen und Muskeln ein immer größeres Thema – wenn auch ein bis heute mit vielen Vorurteilen behaftetes: „Erst kürzlich war ich unterwegs, da kam ein Mann auf mich zu, sagte, ich sei doch keine Frau – denn so wie ich würde eine richtige Frau nicht aussehen“, berichtet beispielsweise Fanny Clavien, eine Schweizer Bodybuilderin, gegenüber der Zeitung „Blick“. Das Image des Bodybuildings sei in Europa ohnehin kein besonders gutes, viele würden dabei in erster Linie an Doping denken, weniger an Sport. In den USA sei das „ganz anders“. Nicht nur das Thema Bodybuilding, sondern auch die Rolle der Frau ist hier schon viel länger ein Thema. Abbye „Pudgy“ Stockton begeisterte in den USA bereits in den 1940er-Jahren mit ihrem muskulösen Körper und der damit verbundenen Disziplin viele Amerikanerinnen und Amerikaner. Im Jahr 2000 wurde Stockton sogar mit ihrem Namen auf der Wall of Fame der International Federation of Bodybuilding and Fitness (IFBB) verewigt. „Klar, es geht um Muskeln. Aber auch um Harmonie, um Balance. Wenn du zu den Besten gehören willst, musst du täglich an dir arbeiten. Im Kraftraum, bei der Ernährung, in der Erholung. Für viele ist Bodybuilding nicht nur ein Sport, sondern eine Lebenseinstellung“, weiß auch Clavien. Dennoch spricht es für sich, dass – selbst in den USA – wohl nur den wenigsten auf Anhieb eine aktuelle Top-Bodybuilderin einfallen würde.
Gleichstellung ist aber nicht nur hier, sondern in der gesamten Fitnessbranche Thema. 70 Prozent der über 9.000 Fitnessstudios in Deutschland sind von Männern geführt. Verbände wie die Women in Fitness Association (WIFA) gründeten sich, um Frauen in der Fitnessindustrie zu unterstützen. „Frauen sind im Groupfitness-Segment und administrativen Studiobetrieb stark vertreten, wohingegen man im Personal Training und den höheren Führungspositionen deutlich mehr Männer sieht“, so Maike Kumstel von der WIFA gegenüber „Bodymedia.de“. Dabei sind Frauen gerade auch im Personal Training gesucht. „Frauen wollen sich auch oft von Frauen betreuen lassen“, argumentiert Jasmin Kirstein, Gründerin der Frauenfitnessstudio-Kette Mysportylady. Denn gerade beim Personal Training spielt Vertrauen eine immense Rolle. Leider gibt es auch hier immer wieder Geschichten von übergriffigen Trainern, die das Image der Branche beflecken. Immer mehr Fachmagazine wie das „Trainer Magazine“ beschäftigen sich daher mit dem Umgang zwischen Trainern und Kundinnen, um unschöne Situationen zu vermeiden. Das betrifft insbesondere das Berühren im Training. „Es sollte selbstverständlich sein, dass Trainer zu Beginn einer Einheit ihre Unterrichtsmethodik und Arbeitsweise erklären und sich selbst vorstellen. Arbeite ich als Trainer oder Trainerin taktil, ist es sinnvoll, die Teilnehmerinnen zuvor darauf hinzuweisen“, betont Eri Trostl, Personal Trainerin, in ihrem im „Trainer Magazin“ erschienenen Leitfaden. „Grundsätzlich berühre ich ausschließlich die ‚harten‘ Strukturen eines Körpers: Knochen, Gelenke, Rippenbogen. Alle Weichteile wie Bauch, Gesäß und Intimzonen bleiben in der taktilen Begleitung immer außen vor.“
Am Ende ist eines klar: Immer mehr Frauen interessieren sich für Fitness und tun etwas für ihre Gesundheit. Dabei ist es nebensächlich, ob im Studio oder in Kursen, ob mit einer Trainerin oder einem Trainer, ob Pilates oder Crossfit: Wichtig ist am Ende nur, dass es für jede ein passendes Angebot gibt.