Gastgeber Flensburg verpasste das Final Four, doch die Chancen auf einen Triumph durch einen Handball-Bundesligisten in der European League stehen nicht schlecht. Die Füchse Berlin und Frisch Auf Göppingen greifen nach dem Pokal.
Die SG Flensburg-Handewitt hat in dieser Saison einige Rückschläge einstecken müssen, doch die Viertelfinal-Niederlage in der European League tat besonders weh. „Ich komme aus der Kabine – die Stimmung könnte nicht schlechter sein“, berichtete Rückraumspieler Aaron Mensing unmittelbar nach dem Ausscheiden gegen den spanischen Club BM Granollers: „Ich bin einfach leer. Wir haben acht Monate im Training so hart gearbeitet, und jetzt haben wir es weggeschmissen.“ Und zwar das Finale „to Hus“, wie die Norddeutschen das Final Four am 27. und 28. Mai in Flensburg nannten. Doch die Handball-Party im eigenen Wohnzimmer findet ohne den Gastgeber statt – und das hatte der sich selbst eingebrockt. Nach einem 31:30-Auswärtssieg in Spanien ließ sich Flensburg im Rückspiel zu Hause von Granollers phasenweise vorführen und verlor genauso überraschend wie verdient mit 27:35. „Ich habe keine Worte dafür, was da passiert ist“, sagte Trainer Maik Machulla: „Es war ein peinlicher Aufritt. Ich bin dafür verantwortlich.“
Göppingen hat Siegeserfahrung
Hätten sich die Flensburger wie erwartet durchgesetzt, wäre ein deutsches Trio beim Finalturnier der European League an den Start gegangen. So aber versucht ein Bundesliga-Duo, die internationale Trophäe wieder einmal nach Deutschland zu holen. Im besten Fall kommt es gar zu einem deutschen Finale, denn die Auslosung in Wien mit EHF-Präsident Michael Wiederer als „Glücksfee“ hatte es gut gemeint: Die Füchse Berlin treffen im Halbfinale auf den französischen Spitzenclub Montpellier HB, und Frisch Auf Göppingen bekommt es in der Vorschlussrunde mit Flensburg-Bezwinger BM Granollers zu tun. Deutsche Clubs sind in dem nach der Champions League zweitwichtigsten europäischen Club-Wettbewerb, der früher als EHF- und IHF-Cup ausgetragen wurde, traditionell erfolgreich.
Von den letzten 16 Ausgaben kam nur einmal der Sieger nicht aus Deutschland. Gleich drei Vereine stehen mit je vier Titel als Rekordsieger in der Liste: THW Kiel, SC Magdeburg – und Göppingen. Die Baden-Württemberger können sich also zum alleinigen Rekordsieger aufschwingen. Aufgrund des bisherigen Saisonverlaufs sind die Füchse zwar etwas stärker einzuschätzen, doch ihr Halbfinalgegner ist ein großes Kaliber. Das FORUM-Magazin gibt einen Form-Check zu den deutschen Final-Four-Startern.
FÜCHSE BERLIN
Die Freude über den dramatischen Einzug ins Final Four währte beim Hauptstadt-Club nicht allzu lange, die Auslosung sorgte schnell für Ernüchterung. „Mit Montpellier hat uns das nominell schwerste Los erwischt“, sagte Trainer Jaron Siewert: „Sie haben schon bewiesen, dass sie eine extrem hohe Qualität haben.“ Auch in der starken heimischen Liga, wie der Coach anerkennend feststellte: „Sie sind auch im Rennen um die französische Meisterschaft dabei.“ In Frankreich kämpfen Montpellier, Paris Saint-Germain und HBC Nantes nahezu gleichauf um den nationalen Titel, während sich die Füchse in der Bundesliga aus dem lange Zeit spannendsten Titelkampf der Geschichte verabschiedet haben. Die 30:34-Niederlage beim Bergischen HC war für die Füchse ein Wirkungstreffer, selbst die Champions-League-Qualifikation droht der Club nun zu verpassen. „Erst mal muss ich runterkommen, und dann können wir schauen. Aber es kann sein“, sagte Kreisläufer Max Darj über die schwindenden Chancen auf die Königsklasse, die sich der ambitionierte Hauptstadt-Club als Saisonziel auf die Fahnen geschrieben hatte.
„Ich bin natürlich maßlos enttäuscht über unseren Auftritt, es ist für mich auch unerklärlich“, sagte Siewert. Nach zwei ansprechenden Leistungen zuvor kam der Einbruch für ihn völlig unerwartet. Vor allem die Emotionalität und Cleverness hätten ihm bei seinen Spielern komplett gefehlt. Ähnliches hatte Geschäftsführer Bob Hanning schon bei der überraschenden Niederlage zuvor gegen TVB Stuttgart (28:32) angeprangert. Er sei „extrem enttäuscht“, sagte Hanning, er wolle das „auch nicht unter den Tisch kehren“ oder „einfach so zur Tagesordnung übergehen“. Zum wiederholten Mal ließ das Team gegen einen vermeintlich kleineren Gegner wichtige Punkte liegen – und das auch noch selbst verschuldet.
Die große Chance auf den ersten Meistertitel habe man in Stuttgart „dämlich aus der Hand gegeben“, meinte Hanning. Dabei habe die Clubführung bei den Verpflichtungen der Neuzugänge vor allem darauf geachtet, dass solche Momente der Vergangenheit angehören: „Wir haben dreimal Charakter gekauft mit Gidsel, Darj und Kireev und machen trotzdem wieder die gleichen Fehler wie im letzten Jahr.“ Für Hanning wären nur die Plätze eins und zwei ein „Schritt nach vorne“, weil diese zur Teilnahme an der Champions League berechtigen, „die auch wirtschaftlich für uns von elementarem Interesse ist“.
In der European League ist der finanzielle Effekt deutlich geringer, mit der Trophäe würden sich die Berliner trotzdem gern schmücken. Ihr letzter internationaler Triumph im EHF-Cup ist bereits fünf Jahre her, entsprechend motiviert dürften sie in Flensburg zur Sache gehen. Zumal sie für den Start beim Final Four einen wahren Kraftakt hingelegt hatten: Beim Viertelfinal-Rückspiel gegen Kadetten Schaffhausen holten sie einen Vier-Tore-Rückstand aus der ersten Partie in einem dramatischen Schlagabtausch noch auf. Überragender Mann war Rückraumspieler Mathias Gidsel, der trotz Fußschmerzen aufgelaufen war. „Ich habe keine Zeit verletzt zu sein“, sagte der Däne: „Ich bin froh, dass wir im Final Four stehen.“ Doch gegen den Bergischen HC war auch Gidsel nur ein Schatten seiner selbst. Die Selbstzweifel im Team sind vor dem Final Four nicht von der Hand zu weisen. „Vielleicht glauben wir nur, dass wir so gut sind“, sagte Kreisläufer Darj.
FRISCH AUF GÖPPINGEN
Diese Probleme haben die Göppinger nicht. Ihre eher durchwachsene Bundesliga-Saison hat sie ins untere Tabellenmittelfeld gespült, doch Abstiegssorgen haben sie keine. Sie können sich komplett auf das Highlight in Flensburg konzentrieren und dort alles reinwerfen – und das ist genau die Ansage von Trainer Markus Baur. „Wir fahren nach Flensburg mit einem ganz großen Ziel: Wir wollen das Final Four gewinnen“, sagte der Weltmeister von 2007. Das Selbstbewusstsein kommt nicht von ungefähr, international hat das Team ein anderes Gesicht gezeigt. Deshalb glaubt Baur an den großen Coup: „Wir haben bewiesen, dass wir gegen alle europäischen Topteams bestehen können.“
Auch die gelungene Generalprobe gibt Mut. Gegen den SC DHfK Leipzig gelang ein 34:30-Sieg, bei dem Baur sowohl mit dem Ergebnis als auch mit dem spielerischen Auftritt seiner Mannschaft „zufrieden“ war. „Wir bereiten uns jetzt mit einem guten Gefühl auf das Final Four vor“, sagte der Coach hinterher. Das gilt vor allem für Tim Kneule. Der Kapitän glänzte gegen Leipzig mit seinem 1000. Bundesligator. „Diese Zahl freut mich natürlich, aber Hauptsache wir haben heute die zwei Punkte geholt, darüber bin ich sehr froh“, sagte der Jubilar.
Kneule wird unabhängig vom Ausgang des Final Four auch in Zukunft die Göppinger anführen. Sein auslaufender Vertrag wurde Mitte Februar um ein weiteres Jahr verlängert. Der abwehrstarke Spielmacher trägt seit 2006 das Frisch-Auf-Trikot und ist einer der wenigen Profis in der Bundesliga, die so lange nur für einen einzigen Club gespielt haben. „Ich werde alles versuchen, der Mannschaft zu helfen, um wieder in die Erfolgsspur zu kommen“, sagte der 36-Jährige. Der sportliche Leiter Christian Schöne meinte: „Mit seiner Erfahrung und seinen Qualitäten in Abwehr und Angriff ist er nach wie vor ein sehr stabiler und wichtiger Faktor in unserem Spiel.“
Am besten schon im Final-Four-Halbfinale gegen BM Granollers. Allerdings haben die Spanier nicht erst gegen Flensburg bewiesen, dass sie „ein sehr unangenehmes Team“ seien, wie Trainer Baur es beschrieb: „Wir werden uns intensiv vorbereiten.“ Auch für ihn selbst ist das Final Four ein Highlight, mit dem bis November des Vorjahres nicht zu rechnen war. Nach seiner Entlassung als Trainer beim Ligarivalen TVB Stuttgart im Februar 2018 hatte Baur Abstand vom Profi-Handball gewonnen, was sich auch in einem neuen Job ausdrückte: Leiter Sport und Ernährung bei einem Gesundheitsdienstleistungsunternehmen. Doch dann kam die Anfrage der Verantwortlichen von Frisch Auf Göppingen, die sich an den Handball-Fachmann mit der großen Erfahrung als Spieler und Trainer erinnerten.
„Ich hatte gar nicht mit einem Anruf gerechnet“, gab Baur zu. Die Lust packte ihn, in den stressigen Alltag des Profisports zurückzukehren. Auch, weil der schwäbische Traditionsclub ihm am Herzen liegt. Er selbst sei am Bodensee aufgewachsen und „schon als kleiner Junge von dem Club fasziniert“ gewesen, und in der Halle habe er „bei Jugend trainiert für Olympia gespielt“. Nun ist Baur selbst Teil des Clubs, und er soll dem neunmaligen deutschen Hallenmeister zu neuem Glanz verhelfen. „Markus soll den Club in dieser Saison stabilisieren und so schnell wie möglich zurück in die Top fünf führen“, sagte Geschäftsführer Gerd Hofele.
Sie sind anspruchsvoll im Schwabenland, bei Frisch Auf Göppingen ohnehin. Doch damit kommt Baur klar, der Ex-Weltmeister stellt ebenso hohe Ansprüche an seine Arbeit. Ausschlaggebend für seine Zusage sei „die Aufgabe und Chance“ gewesen, die die Clubführung ihm aufgezeigt habe, verriet der Trainer. Die Pause vom Handball habe ihm zwar „ganz gutgetan“, sagte er. Aber er sei auch froh, wieder Teil des Geschäfts zu sein. Sein Hauptziel: „Göppingen wieder salonfähig machen.“ Ein Rekord-Triumph in der European League wäre ein großer Schritt dafür.