Die erfolgreiche Berliner Köchin, Autorin und Gastronomin Sophia Hoffmann begeistert mit leckeren, farbenfrohen veganen Rezepten. Mit FORUM sprach sie unter anderem über ihre Zero-Waste-Philosophie.
Frau Hoffmann, wie genau sieht Ihre pflanzliche Zero-Waste-Küche aus?
Zero-Waste-Küche bedeutet für mich eine möglichst ganzheitliche, wertschätzende Verarbeitung von Lebensmitteln, denn das Gegenteil von Verschwendung ist Wertschätzung.
Wertschätzende Verarbeitung bedeutet nicht nur, dass ich versuche, so viel wie möglich etwa von Gemüse und Obst zu verarbeiten, sondern auch, Reste und bereits etwas müde Zutaten zu verwenden.
Ich nenne mal ein paar Beispiele. Bei der Ganzheitlichkeit können das etwa Stiele und Blätter von Gemüse sein, die bei vielen Menschen im Müll landen: So kann man Brokkoli- oder Blumenkohl-Stiele prima mitverarbeiten, wenn man die holzige Außenschicht entfernt. Toll auch als Basis für eine cremige Pastasoße oder als feine Püree-Beilage.
Gemüseblätter wie etwa vom Kohlrabi oder von Roter Bete lassen sich im Grunde wie Blattgemüse (Spinat, Mangold) verarbeiten, gedünstet, angebraten, immer lecker. Herrlich sind auch die äußeren Blumenkohlblätter, mit einer Marinade aus Olivenöl, Ahornsirup und Sojasoße bepinselt und im Ofen knusprig gebraten. Das mögen auch viele Kinder, die einfach bis zum Strunk abzuknabbern.
Beim Thema Reste ist natürlich altbackenes Brot ein großes Thema. Anstatt immer nur Semmelbrösel daraus zu machen, gibt es viele köstliche Alternativen. Mein Lieblingsrezept sind die sogenannten Brotlinge, eine Art gebratener Knödel: Dabei werden die Brotwürfel oder -scheiben einige Minuten mit etwas warmem Wasser übergossen und dann zu einer formbaren Masse verknetet; das gelingt mit purer Muskelkraft oder einer Küchenmaschine. Dann entweder herzhaft (Zwiebelwürfel, gehackte Kapern, getrocknete Tomatenstücke, Senf, Petersilie) oder süß (Zimt-Zucker) würzen, zu Bratlingen formen und in der Pfanne knusprig braten. Schmeckt köstlich herzhaft zu gemischtem Salat oder süß mit Vanillesoße oder Apfelkompott.
Überschüssiges altbackenes Brot am besten bereits vor dem Trocknen in Scheiben schneiden und auf einem Teller trocknen. In einer luftdicht verschlossenen Box hält es an einem trockenen Ort locker einige Monate und kann jederzeit „zum Leben erweckt werden“. Köstlich auch als Einlage mitgekocht in einem mediterranen Eintopf – „Minestra di pane“ ist in Italien ein traditionelles Brotverwertungsrezept.
Apropos Wiederbelebung: Viele Lebensmittel werden nur schlaff wegen Wasserverlust: Karotten, Salat, Gurken, Zucchini und Co. bekommt man nach einigen Stunden in kaltem Wasser wieder knackig.
Es wird vor allem in Supermärkten so unglaublich viel entsorgt. Spielt es da überhaupt eine Rolle, ob eine Privatperson etwas mehr oder weniger Müll hat?
Ja – ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir als Privatpersonen ein Mindset der Wertschätzung entwickeln und achtsam mit Dingen und mit Menschen und Tieren umgehen, also nicht nur mit Lebensmitteln, sondern auch mit anderen Konsumgütern und Ressourcen. Eine „Alles egal“-Haltung ist sehr wenig emphatisch und aus meiner Sicht keine gute Lebenseinstellung.
Denken Sie, dass sich diesbezüglich bei Supermärkten und Unternehmen auch mal etwas ändern wird?
Natürlich sind auch die großen Hebel in Handel und Wirtschaft notwendig und hierfür braucht es ganz klar politische Lösungen. Selbstkontrolle, wie sie die ehemalige Ministerin für Ernährung und Landwirtschaft gefordert hat, die gleichzeitig große Lobbyistin war, ist eine Illusion. Wir benötigen dringend neue Gesetzgebungen, die den Handel und die lebensmittelerzeugende Industrie viel stärker in die Verantwortung nehmen. Diese Ressourcenverschwendung können wir uns in Zeiten der Klimakrise schlichtweg nicht leisten.
Sie machen Ihre Nudeln am liebsten selbst. Was benötigt man dafür alles und ist das sehr zeitintensiv?
Man benötigt im Grunde nur Mehl – oder Hartweizengrieß, oder einen Teil Mehl und einen Teil Hartweizengrieß –, eine Prise Salz und Wasser für den Teig. Ich mache den Teig nach Gefühl, gebe nur so viel Wasser dazu, dass er sich einigermaßen verkneten lässt. Sollte er zu feucht werden, muss mehr Mehl/Grieß dazu. Ich empfehle eine Pastamaschine, damit lässt sich der Teig in Nullkommanichts ausrollen und formen.
Wer keine Maschine hat, kann auch mal die sogenannten Scissors Noodles ausprobieren. Hierfür wird der Teig in kleinen Stücken direkt mit einer Küchenschere in das kochende Salzwasser geschnitten, sie sind somit etwas dicker, ein bisschen wie Spätzle. Sie schmecken köstlich mit einer cremigen Soße und geröstetem Gemüse.
Was ist an selbstgemachten Nudeln besser als an gekauften?
Sie schmecken einfach viel besser. Wer einmal selbstgemachte Nudeln probiert hat, möchte wahrscheinlich keine gekauften mehr essen.
Womit färben Sie Ihre schönen bunten Nudeln?
Bei den roten Nudeln verwende ich Rote-Bete-Saft statt Wasser, bei den gelben Nudeln etwas pürierte gekochte Karotten und/oder Kurkuma, bei den grünen Nudeln gebe ich mit Wasser pürierten Spinat oder Kräuter (Petersilie, Kerbel, Dill) mit in den Teig.
Worauf achten Sie bei Ihren Gerichten?
Ich versuche, fast ausschließlich regional-saisonal zu kochen. Ausnahmen sind aber erlaubt. Ich verbiete mir keine Avocado oder Ananas, wenn ich ab und zu Lust darauf habe, achte aber darauf, dass sie bio und fair produziert wurden. Sprich, die Basis meiner Gerichte sowohl zu Hause als auch im Restaurant bildet das, was gerade verfügbar ist, und es ist meine kreative Herausforderung, daraus immer neue leckere Gerichte zu zaubern. Jetzt im Winter sind meine Basics Kartoffeln, Karotten, Äpfel, Wurzelgemüse, alle Arten von Kohl. Und ich finde immer neue Wege, sie zu interpretieren, das macht mir großen Spaß.
Wenn ich Kochbücher schreibe, achte ich natürlich auch darauf, dass die Rezepte leicht nachzukochen sind beziehungsweise versuche ich, meinen Lesern intuitive Küche zu vermitteln: ein Rezept/Zubereitungsprinzip als Basis zu sehen und sich dann zu trauen, selbst darauf aufzubauen, Zutaten auszutauschen, zu variieren, Spaß dabei zu haben, Neues auszuprobieren.
Ist Bio ein Muss für Sie?
Für mich persönlich ist Bio der kleinste gemeinsame Nenner für das, was ich von Lebensmittelproduktion erwarte: keine Pestizide, weniger Monokultur, mehr Umweltschutz, mehr Wertschätzung. Einfach ein Minimum an Standards.
Mögen Sie „Ersatzprodukte“ aus Seitan, Soja, Lupinen und so weiter?
Seitan, Soja und Lupine sind in meinen Augen keine Ersatzprodukte, sondern wunderbare pflanzliche Proteinquellen, die teils schon seit Jahrtausenden in der menschlichen Ernährung genutzt werden. Gerade Tofu hat eine superspannende Kulturgeschichte in Asien und ist in der traditionellen Herstellung artenreich und eher vergleichbar mit Käse. Es ist schon etwas ignorant gegenüber dieser Kulturgeschichte, das „nur“ als Fleischersatz zu betiteln. Ich verwende sowieso statt „Ersatzprodukt“ lieber das Wort „Alternative“, denn es geht ja nicht darum, etwas zu ersetzen, sondern eine tier- und umweltfreundliche Alternative bewusst zu wählen. Fleischalternativen sind in meinen Augen eher Produkte wie vegane Wurst, Braten oder Ähnliches. Ich persönlich brauche das nicht dringend in meiner Küche, habe aber auch absolut kein Problem damit. Jeder Burger, der nicht aus Rindfleisch hergestellt wird, ist besser fürs Klima und für viele Menschen sind diese Produkte ein guter Weg, ihren Fleischkonsum zu verringern oder ihre Ernährung umzustellen. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und ein Schwein wird schließlich auch nicht als Wurst geboren. Es ist einfach eine praktische Form, um etwas auf den Grill zu schmeißen.
Wie entstand die Idee, Ihr eigenes Restaurant in Berlin zu eröffnen?
Nachdem ich viele Jahre, sogenannte Wanderjahre, Pop-up-Dinner-Events, Kochkurse und Kochshows an vielen verschiedenen Orten im gesamten deutschsprachigen Raum umgesetzt hatte, sehnte ich mich immer mehr nach einem eigenen analogen Ort, einem kulinarischen Zuhause, wo ich mich weiterentwickeln kann und die Menschen zu mir kommen. Diese Idee wuchs langsam aber stetig. Allerdings war mir klar, dass ich das nicht alleine umsetzen wollte. Durch das Thema Lebensmittelverschwendung traf ich 2017 meine heutige Geschäftspartnerin Nina Petersen, die damals mit der Organisation „Restlos Glücklich“ ein Zero-Waste-Pop-up-Restaurant in Berlin betrieb. Schnell stellten wir fest, dass unser Wertekatalog und unsere Vision von einem solchen Ort sehr ähnlich waren, und nach einigen Verzögerungen und eingehender Planung konnten wir 2022 endlich starten.
Wie genau werden Zero-Waste-Philosophie und Nachhaltigkeit in Ihrem Restaurant „Happa“ umgesetzt?
Wir haben uns bewusst entschieden, das Restaurant nicht als „Zero Waste“ zu bezeichnen, sondern als „Low Waste“, denn es ist schier unmöglich, gar keinen Müll zu erzeugen. Jedoch zieht sich Nachhaltigkeit bei uns durch wirklich alle Bereiche. Das fängt bei der Wahl des Stromanbieters und der Bank an, bei der Wahl der Lebensmittel genauso wie bei der Wahl der Reinigungsmittel. Einen Großteil unserer Lebensmittel beziehen wir von Querfeld, einem Gastro-Lieferservice, der Obst und Gemüse mit Fehlern vertreibt, das regulär nicht in den Handel käme: Ober-/Untergrößen, Schalenfehler und so weiter. Unser Kernkonzept ist der Mittagstisch mit einem kleinen, flexiblen Menü, das uns erlaubt, alles ganzheitlich zu verarbeiten. Freitags gibt es ein Dinner-Event mit Fünf-Gänge-Menü und Getränkebegleitung. Auch soziale Nachhaltigkeit wird bei uns großgeschrieben, wir achten auch auf uns als Gründerinnen und auf unsere Mitarbeiterinnen und haben unser Konzept rund um unsere Bedürfnisse wirtschaftlich gestaltet. Wir wollen Gastronomie als Arbeitsort familien- beziehungsweise privatlebenfreundlicher gestalten.
Ist pflanzliche Ernährung generell ein großes Thema in Berlin, für das die meisten Menschen offen sind?
Absolut. Berlin gilt ja sogar als „vegane Hauptstadt Europas“. Sprich: Es gibt sogar einen Tourismus spezifisch für vegane Gastronomie. Sogar die traditionellste aller Currywurstbuden, „Konnopke“, verkauft mittlerweile vegane Currywurst und meines Wissens nach besteht eine enorme Nachfrage. Hier leben so viele junge Menschen aus aller Welt, die alle auch ihre kulinarischen Einflüsse mitbringen, und viele von ihnen ernähren sich vegan oder vegetarisch, sodass es sogar unzählige Restaurants für vegane Länderküchen gibt, egal ob levantinisch, japanisch, thailändisch, italienisch oder ganz klassisch das deutsche Wirtshaus, nur halt rein pflanzlich. Für mich ist diese Stadt die beste der Welt, egal ob um ein veganes Restaurant zu betreiben oder um selbst essen zu gehen.