Zinsen rauf, Aufträge runter: Die Baubranche beklagt weniger Hausbauprojekte, sagt der neue Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Bau Saar, Christian Ullrich. Einzig die Azubizahlen bleiben stabil – auch dank umlagefinanzierter Ausbildung, über die gerade bundesweit debattiert wird.
Herr Ullrich, die Auftragslage in der Baubranche verschlechtert sich, wie sieht es konkret im Saarland aus?
Die Auftragslage im saarländischen Bauhauptgewerbe ist so schlecht wie seit vielen Jahren nicht mehr. Im Wohnungsbau verzeichnen wir einen massiven Einbruch, die Auftragszahlen sind rückläufig. So wurden in Deutschland im ersten Quartal insgesamt 36 Prozent weniger Aufträge im Wohnungsbau erteilt, im Saarland waren es mehr als zehn Prozent. Das klingt nach nicht viel, doch muss man die Größe des Landes berücksichtigen: Ein stornierter Großauftrag verändert die Statistik im Saarland schon erheblich. Noch deutlicher ist der Rückgang der Aufträge im saarländischen Hochbau, hier sind es 32 Prozent weniger als im Vorjahr. Aus Mitgliedskreisen erhalten wir immer öfter Meldungen über stornierte oder rückläufige Auftragseingänge. Ab dem dritten Quartal befürchten wir eine Zuspitzung der Lage, die ersten Unternehmen melden trotz guter Wetterlage bereits jetzt Kurzarbeit an.
Welcher Bereich ist das größte Sorgenkind der Branche?
Unser größtes Sorgenkind ist der Wohnungsbau, privat wie durch Investoren. Neben anderen Faktoren hat sich die aktuelle Zinsentwicklung als größter Hemmschuh für Bauherren entwickelt: Wir sprechen derzeit bei Baufinanzierungen über vier bis fünf Prozent Zinsen. Da ist es für viele Verbraucherinnen und Verbraucher im Moment nicht möglich, ihren Traum vom Eigenheim anzugehen. Der Ukraine-Krieg und die Preissteigerungen bei Baumaterialien haben ihr Übriges getan, wir sprechen hier von Steigerungen von bis zu 17 Prozent. Ein großes Problem liegt auch in der Eigenheimförderung, die zunächst vollständig ausgesetzt wurde und – sofern neu aufgelegt – mit hohem bürokratischem Aufwand verbunden ist. Aber auch bei kommunalen Bauprojekten, im Straßen- und Tiefbau beispielsweise, melden unsere Mitgliedsunternehmen weniger Ausschreibungen, ebenso im Gewerbebau. Was die Lieferketten angeht, beruhigt sich die Lage bei einigen Materialien. Bei Baustahl wird die Lage deutlich besser, dieser war zeitweise nicht lieferbar. Dieselkraftstoff, der für unsere Branchen wichtig ist, wurde etwas billiger. Es ist zwar immer noch alles massiv teurer als noch 2021, aber wir erleben zumindest nicht mehr, dass manche Baumaterialien einfach wochenlang nicht mehr verfügbar sind.
Das Baugewerbe hat die Pandemie relativ gut überstanden. Merken Sie jetzt eine erhöhte Zahl an Insolvenzen?
Uns liegen leider keine aktuellen Zahlen vor. Ich kann jedoch berichten, dass wir keinerlei Insolvenzen aufgrund der derzeitigen Krisen durch den Krieg oder die Zinsentwicklung zu verzeichnen haben. Es gab sicherlich einige Insolvenzen, die jedoch andere Faktoren als Auslöser hatten.
Die Zahl der Auszubildenden im Bauhauptgewerbe bleibt deutschlandweit auch 2022 recht stabil. Ist dies auch im Saarland so?
Die Ausbildungszahlen sehen im Saarland auch noch recht stabil aus. Über die Jahre konnten wir durch viele Kampagnen- und Marketingaktionen wie „Azubi am Bau“ Überzeugungsarbeit leisten und Gott sei Dank entscheiden sich noch viele junge Menschen für eine Ausbildung in der Bauwirtschaft. Wir hätten gerne mehr, wir brauchen sie, auch wenn wir derzeit eine Konjunkturdelle verzeichnen – und wir hoffen alle, es ist nur eine Delle. Aber aufgrund der demografischen Entwicklung und vieler Fachkräfte, die demnächst in den Ruhestand gehen, brauchen wir diese Nachwuchskräfte. Die Aufstiegschancen sind groß und die Branche bietet mehr als ausreichend Arbeit. Vor allem angesichts des Erreichens der Klimaziele, denn Gebäude müssen ertüchtigt oder neu gebaut werden. Daher werden Fachkräfte im Bau weiterhin stark nachgefragt und daher sind wir auch sehr froh, dass es im Rahmen des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes Bewegung gibt.
Bundesweit hält die Debatte über die Ausbildungsplatzgarantie und eine umlagefinanzierte Ausbildung an. Das Bauhauptgewerbe praktiziert diese seit Jahrzehnten. Halten Sie dadurch die Azubizahlen stabil?
Sicherlich. Alle Betriebe zahlen für jeden gewerblichen Arbeitnehmer 2,4 Prozent von dessen Bruttolohnsumme im Monat für die Berufsausbildung an die Sozialkasse Bau. Dadurch finanzieren wir die Berufsausbildung der Bauwirtschaft. Die Betriebe erhalten Erstattungsleistungen, zum Beispiel erhalten sie im ersten Lehrjahr zehn Monate lang die Ausbildungsvergütung plus Sozialaufwendungen, im zweiten Lehrjahr sechs Monate, im dritten Lehrjahr einen Monat. Diese Umlage bezahlt außerdem die überbetriebliche Ausbildung. Es gibt ja in unserer Branche nicht nur den Betrieb und die Berufsschule, sondern auch ein gemeinsam finanziertes überbetriebliches Ausbildungszentrum. Die saarländische Bauwirtschaft hat in den letzten Jahren viel in ihr Ausbildungszentrum investiert, so zum Beispiel in neue Ausbildungshallen, ein neues Verwaltungsgebäude mit Schulungssälen und in den Umbau ihres ehemaligen Internats in ein modernes Gästehaus für Azubis, die nicht jeden Abend nach Hause fahren. Unsere 650 Azubis lernen alle Tätigkeiten von einem erfahrenen Ausbildungsmeister. Dass die Bauwirtschaft dabei mehr und mehr auf Digitalisierung setzt, beweisen unter anderem auch die Baggersimulatoren und die Drohnen, in deren Angebot für die Azubis die Bauwirtschaft rund 250.000 Euro investiert hat. Dies alles finanzieren die Betriebe mit. Ich kann die Bedenken anderer Wirtschaftszweige verstehen, aber bei uns funktioniert dies seit Jahrzehnten sehr gut. Dennoch hoffe ich in der Gesellschaft auf ein Umdenken: Viele halten das Handwerk für sehr wichtig, aber würden ihren Kindern nicht empfehlen, Handwerker zu werden. Bei unserem „Azubi am Bau“-Tag haben wir alle Schulen eingeladen, hatten über 1.000 Schülerinnen und Schüler zu Gast, aber von den saarländischen Gymnasien kam kein einziger.
Die Baubranche gilt wegen der klimaschädlichen Herstellung von Beton als eine der CO2-intensivsten Branchen. Wie kann sie sich in Zukunft selbst klimafreundlicher aufstellen?
In der Baubranche liegt in der Tat ein Riesenpotenzial für Nachhaltigkeit. Zum einen entstehen gerade eine Menge alternative Baustoffe, zum Beispiel Karbonbeton, der aus Beton und Kohlefasern besteht. Ein hochfester Beton, der jedoch erheblich weniger CO2-Emissionen in der Herstellung freisetzt. Wir werden auch in Zukunft noch Beton brauchen, etwa für Brücken oder Hochbau, aber die Zahl neuer Baustoffe wächst. Im Recycling von Baustoffen gibt es noch viel Potenzial. Beim Rückbau von Gebäuden oder Straßen können Teile davon wiederverwertet und in einen Kreislauf eingefügt werden. Auch im Holzbau liegen Innovationen: Mehrfamilienhäuser in Holzbauweise oder hybrider Bauweise sind heute durchaus möglich und werden realisiert. Das Bauhandwerk ist sehr wichtig für die Klimawende – um sie zu realisieren, brauchen wir aber auch den Nachwuchs, die Praktikerinnen und Praktiker, die daran Hand anlegen können.