Die Berlin Thunder scheinen im Vergleich zur Vorsaison in der European League of Football einen Schritt nach vorne gemacht zu haben. Das Saisonziel lautet Play-off-Teilnahme.
In der Vergangenheit hat RTL den Zeitgeist im Sport oft früher erkannt als andere. Boxen mit Henry Maske und den Klitschko-Brüdern, Formel 1 mit Michael Schumacher und später Sebastian Vettel, Skispringen mit Sven Hannawald und Martin Schmidt. Und jetzt setzt der Privatsender auf American Football, er hat sich die TV-Rechte in Deutschland an den NFL-Übertragungen gesichert. Die Spiele in der besten Footballliga der Welt waren zuvor zehn Jahre lang bei ProSieben und Sat1 zu sehen – mit zunehmender Beliebtheit vor allem beim jungen Publikum. „American Football“, begründete RTL seine nicht unerheblichen Investitionen, „ist nach Fußball die beim 14- bis 49-jährigen Publikum begehrteste Sportart hierzulande“. Also bedeutender als Handball, Basketball, Eishockey oder Tennis. Das ganze Ausmaß des Hypes war im November in München zu bestaunen, als die NFL-Partie zwischen den Seattle Seahawks und den Tampa Bay Buccaneers mit Superstar Tom Brady für einen Ausnahmezustand sorgte. Nach Angaben des Veranstalters hatten sich 750.000 Menschen für die verfügbaren 50.000 Tickets interessiert.
Football-Hype in Deutschland
Von dieser Euphorie will auch die European League of Football (ELF) profitieren, die seit Anfang Juni in ihre dritte Auflage ging. Bei der Premierensaison 2021 waren noch acht Clubs am Start, nun sind es 17 aus neun Ländern. Acht Mannschaften kommen aus Deutschland, darunter auch die Berlin Thunder. Vom Endziel mit 24 Teams aus 15 unterschiedlichen Ländern ist die ELF zwar noch ein Stück entfernt, aber Liga-Geschäftsführer Zeljko Karajica betont: „Ich bin zu 1000 Prozent überzeugt davon, dass das kein finanzielles Fiasko wird.“ Auch wenn der Investor und frühere Sport1-Geschäftsführer mit dem Projekt nach eigener Aussage noch keinen Gewinn erwirtschaftet, ist er mit dem bislang Erreichten schon sehr zufrieden.
„Wir haben schon jetzt etwas geschafft, was andere Ligen in 60 Jahren nicht hinbekommen haben: Ein Produkt auf die Beine zu stellen, das man weltweit im Fernsehen, am Laptop oder Handy verfolgen kann. Hochklassigen Sport, der Menschen an den Bildschirmen fesselt und in den Stadien fasziniert“, sagte der 52-Jährige in der „FAZ“: „Dort legen wir den Grundstein dafür, dass die ELF langfristig erfolgreich ist.“ Und zwar auch mit Marketing-Elementen, die die Fans auch der NFL kennen. „Wir wollen keine schlechte Kopie sein, aber trotzdem gucken, dass wir den Hype in die Stadien bringen.“ Denn die Fans sind so etwas wie auf Entzug, die neue NFL-Saison beginnt erst Anfang September. „Was ist in der Zeit dazwischen? Der Fan ist ja trotzdem da, warum sollte er also nicht auch an American Football made in Europe oder Germany interessiert sein?“, meinte Karajica, „das war letztlich die Überlegung, die wir in die Tat umgesetzt haben.“
Die Berlin Thunder sind ELF-Gründungsmitglied. Sie waren von 1999 bis 2007 auch Mitglied der legendären NFL Europe, einem direkten Ableger der National Football League in Europa. Insgesamt konnte der Hauptstadtclub dreimal den World Bowl gewinnen. Der prominenteste Name befindet sich nicht auf dem Spielfeld und auch nicht auf der Trainerbank: Der frühere NFL-Profi Björn Werner, der bis heute einziger deutscher Erstrundenpick beim gnadenlosen NFL-Draw ist, ist bei den Thunder als Miteigentümer und Sportdirektor eingestiegen. Als waschechter Berliner war das für ihn eine Herzensangelegenheit, außerdem hegt er sehr gute Kontakte zu Ligaboss Karajica. Werner ging mit großer Vorfreude in die neue Spielzeit: „Ich bin überwältigt von der Energie und dem Enthusiasmus, den wir in dieser Saison mitbringen.“
Der famose Saisonstart gab Werner recht. Die Berlin Thunder feierten zum Auftakt einen überragenden 36:3-Sieg beim ungarischen Liga-Neuling Fehérvár Enthroners und sprangen sofort an die Spitze der Eastern Conference. Diese Euphorie ist auch nach dem dritten Gruppenspiel nicht verflogen, die Berliner rangieren auf einem guten zweiten Platz und dürfen sich berechtigte Hoffnungen auf die anstehenden Play-offs machen, da ihre Leistungen durchaus ansprechend sind. Nächster Gegner sind am kommenden Sonntag (25. Juni) die Hamburg Sea Devils.
„Wir können jeden schlagen“
Auch die Berlin Thunder haben den Show-Anteil bei Heimspielen im Jahnsportpark etwas erhöht, um ihren Zuschauerschnitt aus der Vorsaison von knapp 3.700 Besuchern zu erhöhen. Doch hauptsächlich wollen sie mit sportlichen Erfolgen für mehr Zulauf sorgen. Trainer Jonny Schmuck wagte gar eine Zielansage, die er sich vor einem Jahr noch nicht zu sagen getraut hatte: „Wir können jeden schlagen.“ Im letzten Jahr verpassten die Thunder die Playoffs knapp, diesmal soll die K.o.-Runde erreicht werden – und das soll nur das Minimalziel sein. „Das Ziel ist immer, den Titel zu holen“, sagte Kyle Kitchens. Der Defensive End aus den USA ist einer von acht erlaubten Profis im Kader, der sich in der deutschen Hauptstadt privat sehr wohl fühlt, weil hier „irgendwo immer was los“ sei.
Kitchens ist einer von einigen Leistungsträgern, die aus der Vorsaison gehalten werden konnten. Doch wirkliche Zuversicht lösen die Neuzugänge aus.
Max Zimmerman sei einer der drei besten europäischen Receiver, schwärmte Schmuck. Jonas Gacek einer der besten deutschen Cornerbacks. Wide Receiver Aaron Jackson ein absoluter Top-Profi und Donovan Isom ein „sehr starker Quarterback“. Der US-Amerikaner war vor der Saison von den Berlin Rebels aus der German Football League (GFL) zu den Thunder gewechselt, sein Einstand gegen Fehérvár war mit zwei Touchdownpässen stark – aber nur ein Anfang. „Ich hätte hier nicht unterschrieben, wenn wir nicht an den Titel denken würden, wir sind ein großartiges Team“, sagte Isom.
Doch im zweiten Spiel setzte es gegen Titelverteidiger Vienna Vikings trotz einer starken Aufholjagd eine knappe 24:27-Niederlage. „Es war anfangs noch ein bisschen zu viel Respekt von unseren Spielern vorhanden“, meinte Coach Schmuck, der die Wiener auch in dieser Saison als „das stärkste Team der Liga“ einstuft, im Nachgang. Und dieser Top-Mannschaft haben die Thunder alles abverlangt, was Hoffnung für den Rest der Saison macht. „Da haben einige Energie von ziehen können und gemerkt, dass dieses Jahr eine Menge geht, wenn wir unser Können auf den Platz bringen“, sagte Schmuck. Der Anspruch des Teams sei es, „ganz oben zu stehen“ und mittelfristig „hier was aufbauen“ zu wollen. Dafür müssten die Spieler noch mehr begreifen, wie gut sie eigentlich sind. „Momentan spielen wir noch etwas mit angezogener Handbremse, weil die Leute Angst haben, einen Fehler zu machen“, sagte Schmuck. „Da müssen wir freier aufspielen.“ Außerdem brauche es noch Zeit, bis das veränderte Playbook verinnerlicht und Automatismen eingespielt seien.
Dass sich das Team von der Niederlage gegen Wien nicht aus der Bahn werfen lässt, bewies es beim jüngsten 36:27-Sieg gegen die Wroclaw Panthers. Das war ganz nach dem Geschmack des Trainers, der eine „Gewinner-Kultur“ in der Mannschaft implementieren will. Es gehe darum, „den Spielern Selbstbewusstsein einzupflanzen, damit sie ihr ganzes Potenzial abrufen“. Dass er als ehemaliger Nationalspieler über viel Erfahrung als Spieler verfügt, helfe dabei: „Da habe ich natürlich eine andere Glaubwürdigkeit.“