Seit vielen Jahren gehört der gebürtige Saarländer Andreas Waschburger zu den besten Freiwasser-Schwimmern der Welt. Zum Abschluss seiner Karriere hat er sich etwas ganz Besonderes vorgenommen.
Er gilt als der Mount Everest des Freiwasserschwimmens: der Ärmelkanal. Die rund 33 Kilometer breite Meerenge zwischen Frankreich und Großbritannien reizte schon über 2.000 Schwimmerinnen und Schwimmer, sie zu überqueren. Bald wird es einer mehr sein: Der saarländische Freiwasser-Schwimmer Andreas Waschburger möchte der schnellste Mensch sein, der diese Strecke ohne Hilfsmittel bewältigt haben wird. Irgendwann zwischen dem 23. und 28. August 2023 wird der 36-jährige Sportpolizist seinen Rekordversuch haben. Wann genau, wird er erst kurzfristig erfahren.
„Ich hatte das schon immer im Kopf“
„Ich hatte das schon immer im Kopf. Ich kenne ja auch schon viele Leute, die das schon einmal gemacht haben“, sagt Waschburger und verrät: „Konkreter wurde es aber erst Ende des vergangenen Jahres. Die Tatsache, dass bei den Weltmeisterschaften die 25-Kilometer-Strecke aus dem Programm gestrichen wurde, hat mir die Entscheidung leichter gemacht.“ Der mehrmalige Vize-Europameister und Olympia-Achte von London 2012 machte sich kundig und fand heraus: Es gibt lediglich zwei Organisationen, die solche offiziellen Rekordversuche von England aus nach Frankreich anbieten. Normalerweise sind Startplätze auf zwei, drei Jahre hinweg ausgebucht. Doch dank seiner Kontakte in der Szene ging es etwas schneller. Waschburger hörte bei seinem Kollegen Christof Wandratsch nach, mit welchem Bootsführer dieser am 1. August 2005 einen neuen Ärmelkanal-Weltrekord aufgestellt hatte. Wandratsch kam nach 7 Stunden und 3 Minuten am französischen Festland an und ist mit dieser Zeit noch immer bester Deutscher und drittschnellster „Kanalschwimmer“ aller Zeiten.
Geführt wurde er damals von dem Experten schlechthin auf dem Gebiet der Bootsführung im Ärmelkanal, Michael Oram. Er hatte auch den aktuellen Rekordhalter Trent Grimsey (6:55 Stunden, 2012) und den zwischenzeitlichen Weltrekordler, den Bulgaren Petar Stoychev (6:57 Stunden, 2007), durch die tückischen Strömungen der Nordsee gelotst. „Auf meine erste E-Mail hatte mir Oram gar nicht geantwortet“, berichtet Waschburger. Erst, nachdem er über Wandratsch und Stoychev, der bei den Olympischen Spielen in London hinter Waschburger ins Ziel kam, nachhakte, kam der Kontakt zustande. „Auf normalem Wege hätte ich keinen Slot mehr bekommen, weil das Ding eigentlich auf Jahre ausgebucht ist“, weiß Waschburger. Sein „Slot“, also der Zeitraum, in dem er seinen Rekordversuch in die Tat umsetzen darf, reicht vom 23. bis zum 28. August. Im gleichen Zeitraum sind auch andere Schwimmer im Kanal unterwegs, aber zur gleichen Uhrzeit wohl niemand. „Wann ich schwimme, entscheidet der Bootsführer“, stellt Waschburger fast schon ehrfürchtig klar: „Er wird mir das dann einen Tag vorher mitteilen.“ Ausschlaggebend sind die Witterungs- und Strömungsverhältnisse. Schlimmstenfalls lassen die Bedingungen innerhalb des gebuchten Slots keinen Start zu.

Die Vorbereitung auf den Rekordversuch laufe ähnlich wie die auf einen 25 Kilometer-Wettkampf, findet Andreas Waschburger: „Nur, dass wir eine höhere Belastung von bis zu 30 Kilometern, also etwa sechs Stunden im Becken, hinzugenommen haben.“ Die Strecke zwischen Dover und Calais ist zwischen 32 und 34 Kilometer lang – je nach Wetter- und Strömungsverhältnissen. Hinzu kommen die vielen Einflüsse, die sich in einem Schwimmbecken nicht simulieren lassen. Neben dem möglichen Kontakt mit Schiffen, Booten, Treibgut oder jedwedem Getier wie Quallen, Schweinswalen oder Robben wird hier die Wassertemperatur entscheidend sein. „Wenn es gut läuft, liegt die bei 19 Grad, wenn es schlecht läuft, bei 16 Grad“, weiß Waschburger und merkt an: „Ich darf weder einen Neopren- noch einen Freiwasser-Anzug tragen. Das Einreiben mit Vaseline ist zwar erlaubt, aber das bringt nicht viel. Dafür habe ich etwas an Fett zugelegt. Das schützt.“ Er darf lediglich, wie beim Eiswasserschwimmen, eine Schwimmhose tragen, die maximal bis zu den Knien reicht (sog. „Jammer“). Auf die extreme Belastung bereitet er sich mithilfe einer Kryokammer vor, die er mehrmals pro Woche für vier, fünf Minuten besucht und in der knackige 86 Grad Minus herrschen. „Das Eiswasserschwimmen war schlimmer“, kommentiert Waschburger mit Blick auf den Weltmeistertitel, den er im Januar 2023 mit der deutschen 4x50-Meter-Freistil-Mixstaffel im französischen Samoëns holte. Beim Eiswasserschwimmen darf das Wasser nicht wärmer als fünf Grad sein.
„Ich kann das auf jeden Fall schaffen“
Zum Ablauf des Rekordversuchs durch den Ärmelkanal: Begleitet wird Waschburger von einem Boot. Auf diesem werden neben Bootsführer Michael Oram auch ein Offizieller des Verbandes für die Überwachung des Rekordversuchs sein, aber zur Unterstützung auch Kumpel Christof Wandratsch, Trainer Jan Wolfgarten und Waschburgers Verlobte Jasmin Alt. Für die Videobegleitung ist Rouven Christ mit an Bord und auch SR-Reporter Thomas Braml darf für eine Berichterstattung hautnah dabei sein. Pausen wird es nicht geben. „Die kann ich mir nicht erlauben“, weiß Waschburger. Auch Festhalten am Boot ist nicht drin. Der Rekordversuch würde in diesem Fall sofort für ungültig erklärt werden. Die Verpflegung während des sechs- bis siebenstündigen Trips wird hauptsächlich aus stark kohlehydrathaltiger Flüssignahrung bestehen, „vielleicht mal ein Riegel und gegen Ende dann nur noch Cola“, erklärt Waschburger. Wichtig ist, dass er am Ende der Strecke möglichst schnell einen sicheren Tritt findet. Erst, wenn er aufrecht auf französischem Boden steht, stoppt die Uhr. „Wenn es gut läuft, komme ich an einer entsprechenden Stelle an, falls nicht, muss ich mich eben noch einmal beeilen“, sagt er und lacht. Das Ziel: den aktuellen Rekord von 6:55 Stunden zu unterbieten. „Ich kann das auf jeden Fall schaffen“, ist Andreas Waschburger sicher. Entscheidend ist allerdings vor allem die Arbeit des Bootsführers und etwas Glück bei den Strömungen. „Ich möchte mich auf jeden Fall schon mal vorab bei meinem Sponsor Ursapharm bedanken, der mir dieses Erlebnis überhaupt ermöglicht“, sagt der 36-Jährige.
Bevor es so weit ist, nimmt er noch einmal an den Deutschen Meisterschaften und an einem Wettkampf in den USA teil. „Aktuell hält sich meine Aufregung noch in Grenzen. Das wird sich natürlich ändern, sobald wir nach England fahren. Dass ich bis kurz davor nicht genau weiß, an welchem Tag ich ins Wasser steigen werde, macht es mir vielleicht ein bisschen leichter“, sagt er und ergänzt: „Ich hoffe nur nicht, dass es nachts um 3 Uhr losgeht. Aber wenn die Bedingungen dann passen, dann soll es so sein. Ich vertraue dabei meinem Bootsführer.“ Mit seiner Ankunft auf dem Festland wird seine Freiwasser-Saison 2023 beendet sein. Mehr noch: „Eigentlich sollte diese Aktion auch den Abschluss meiner Karriere darstellen“, sagt Waschburger. Allerdings könnte es noch einen Nachschlag geben: Im Februar 2024 werden erstmals Europameisterschaften im Eiswasserschwimmen ausgetragen. Sie finden vom 1. bis 4. Februar 2024 im rumänischen Oradea statt. An denen würde der Saarländer gern noch teilnehmen.