Der 62-jährige amerikanische Saxofonist Kenny Garrett gastiert am 7. Juli beim neuen internationalen Jazzfestival „Fill in“ im Deutsch-Französischen Garten mit seiner Band.
Mister Garrett, Sie sind vor allem für Ihre Zusammenarbeit mit Miles Davis bekannt. Wenn Sie zurückblicken – war er als Mensch so schwierig, wie er oft beschrieben wurde?
Nicht in der Zeit, als ich in seiner Band war. Auf mich bezogen war er gar nicht schwierig. Ich hatte zwar Geschichten darüber gehört, aber auch eine große Bewunderung für Miles. Er und ich hatten ein sehr gutes Verhältnis. Da gab es keine Probleme.
Wie war es, mit Miles zu spielen? Gab es auf der Bühne angesichts seines Perfektionismus einen gewissen Druck?
Nein. Ich kam ja von Art Blakey (amerikanischer Jazzschlagzeuger; Anm. d. Red.), das half mir, um bei Miles bestehen zu können. Und auch um wertschätzen zu können, mit ihm zu spielen. Als ich dort war, passierte zum Beispiel Folgendes: Miles spielte eine Line oder eine Melodie. Ich antwortete ihm.
Das war für mich völlig natürlich, niemand sagte mir, dass ich genauso wie er spielen sollte.
Was ist Ihre Lieblingsplatte von Miles Davis?
Nun, ich möchte nicht selbstverliebt wirken, aber das ist schon „Amandla“, wo ich dabei war. Der Klang und die Wiedergabe gefielen mir sehr gut. Das war meine Zeit bei Miles. Natürlich hat er auch vorher großartige Alben aufgenommen, das ist klar.
Sie waren ein junger Musiker, als Miles Sie in die Band holte – jetzt spielen Sie selbst gerne mit jungen Musikern. Ist das eine Art Lehrer-Schüler-Ding?
Das ist oft so ein Mentoren-Ding, wenn man es so sehen will. All die Leute, die mir auf dem Weg geholfen haben, haben das gerne gemacht. Und das will ich zurückgeben. Ich hatte das mit Art Blakey, der mir viel mitgegeben hat. Jetzt will ich meine Erfahrungen mit jüngeren Leuten teilen.
Was haben Sie von Art Blakey gelernt?
Als ich zu ihm kam, habe ich erst mal gespürt, wie groß die Fußstapfen sind, in die ich trete. Er hat mir dann beigebracht, ein Bandleader zu sein. Außerdem hat er mir gezeigt, wie man Musik schreibt und sie dem Publikum vorstellt.
Was war der Unterschied zwischen ihm und Miles Davis?
Das waren schon zwei ganz verschiedene Schulen, die ich durchlaufen habe. Mit Blakey waren es mehr die grundsätzlichen Dinge: Wie man ein Solo aufbaut. Da hatte ich zwei Chorusse, um meine Aussage zu machen. Im Gegensatz dazu konnte ich bei Miles ein zehnminütiges Solo spielen – das war kein Problem!
Ein anderer großer Mentor von Ihnen war Pharoah Sanders …
Er war einer meiner Helden. Er hatte die Aura eines Priesters. Wenn er spielte, hörte ich den Geist von John Coltrane – auch wenn Pharoah (amerikanischer Jazzmusiker, Tenorsaxofonist, Anm. d. Red.) für viele Stilrichtungen offen war. Umgekehrt sagte er oft, dass ich ihn an Coltrane erinnere.
Sanders starb 2022 – so einige Ihrer Weggefährten sind in den letzten Jahren gestorben.
Zu Beginn der Pandemie starben Wallace Roney und Ellis Marsalis (der Vater von Wynton und Branford Marsalis) an Covid-19. Vor allem der Tod von Wallace hat mich sehr geschockt, auch wenn ich wusste, dass er vorher schon krank war. Ich kannte ihn, seit ich 17 war, wir spielten zusammen bei Miles. Dann starb Chick Corea 2021 an Krebs. All diese Musiker, die immer da waren, in meiner Nähe, waren plötzlich weg. Ich habe dadurch aber eine größere Motivation gefühlt, die Musik voranzubringen. Auch habe ich damit begonnen, die Erinnerungen an all die schönen Momente mit diesen Musikern wertzuschätzen – und mich mehr über jeden Moment zu freuen, der mir noch bleibt.
John Coltrane haben Sie zusammen mit Pat Metheny auf einem Album gewürdigt – wie kam es dazu?
Das war nicht meine Idee. Ich hatte schon vor, mit Pat ein Album aufzunehmen. Dann ist uns aber die Zeit davongerannt, wir konnten das alles nicht richtig vorbereiten. Mein damaliger Manager meinte dann, wir könnten doch ein Coltrane-Album zusammen machen, und Pat war einverstanden. Ich wollte das eigentlich nicht, Coltrane auf dem Altsaxofon spielen …
Warum haben Sie nicht mit der Five Peace Band (mit Chick Corea und John McLaughlin) weitergemacht?
Ah, das war nur ein Projekt für eine Tour, keine richtige Band.
Es heißt, Sie möchten immer, dass das Publikum tanzt – ist das immer noch so?
Es ist nicht unbedingt so, dass ich dazu aufrufe, aber die Musik lädt dazu ein. Manche Leute kommen sowieso zum Tanzen. Wir müssen nicht danach fragen, die Leute tun es einfach. Manchmal kommt es zu einer großen Party. Tanzen war immer ein Teil der Musik: Jazz hat damit angefangen, dass Leute getanzt haben. Wir machen Musik, zu der die Leute tanzen können oder einfach nur zuhören.
In vielen Google-Einträgen steht, dass Sie mit Bruce Springsteen und Peter Gabriel zusammengearbeitet haben – leider wird aber nicht vermerkt, um welche Art von Zusammenarbeit es sich dabei handelte. Können Sie mir etwas dazu sagen?
Ich hatte mal das Privileg, mit Sting zu touren. Wir waren dann alle zusammen bei der Amnesty International Tour, da waren auch Bruce Springsteen und Peter Gabriel dabei. So hatte ich die Möglichkeit, auch mal mit ihnen auf der Bühne zu stehen, bei der Abschluss-Session am Ende der Konzerte.
Ihr letztes Album heißt „Sounds from the Ancestors“ („Klänge der Vorfahren“) – bezieht sich der Titel auf die afrikanischen Wurzeln im Jazz?
Nicht in diesem Sinne! Es geht eher um meine Wurzeln. Um das, was ich als Kind gehört habe. Natürlich gab es auch in dieser Musik eine afrikanische Tradition. Aber ich dachte einfach über all die Musik nach, die mich berührt hat. Zum Beispiel habe ich an Thanksgiving (Ende November) meine Lieblingsplatten, meine 45er und 78er, weggesperrt und an Weihnachten wieder rausgeholt. Ich habe sie dann wieder gehört und sie haben mein Herz und Seele überflutet fürs nächste Jahr. Daraus hat sich eine Tradition entwickelt. Ich wollte mit dem neuen Album zu diesem Gefühl zurückgehen und Stücke schreiben, die es den Hörern vermitteln können.
Ist das Stück „When the Days Were Different“ eine Hommage an die Motown-Ära?
Nicht unbedingt, auch wenn ich aus „Motown“ Detroit stamme. Bei „The Days Were Different“ geht es um meine Erziehung, mein Heranwachsen, und wie das ein bisschen anders war. Jede Generation wächst ja ein bisschen anders auf. Bei mir ging es noch viel um Gospel und Aretha Franklin.