Eine einzigartige Pflanzen- und Tiervielfalt ist im Unesco-Weltnaturerbe Wattenmeer zu Hause. Der Titel verpflichtet dazu, ein empfindliches Ökosystem zu schützen. In dieser Pflicht steht auch die Schifffahrt. Dabei kann Ultraschall helfen.
Wo Wasser ist, sammelt sich vieles an – in Rohren und Leitungen oder an Außenflächen. Üblicherweise werden Bewuchs, harte Ablagerungen, Muscheln und sogenanntes „Biofouling“ mit Bioziden und Chemikalien beseitigt. Sonst verstopfen Leitungen, und Schiffe brauchen viel mehr Kraftstoff. Doch die üblichen Reiniger haben massive Nebenwirkungen auf die Umwelt.
Jan Kelling wollte das nicht mehr hinnehmen. Seit er ein Kind war, kratzte und putzte er als Segler Boote von Bewuchs frei. Jahr für Jahr. Für solche kleineren, eher privaten Meeresfahrzeuge gibt es mittlerweile Ultraschallgeräte, die mit Schwingungen Bewuchs verhindern sollen. Ultraschallreinigung per se ist Stand der Technik, doch es ist auch eine sehr leistungsstarke Technologie, die zerstören kann. Deshalb sollte sie mit ausgeklügelten Verfahren, geeigneter Sensorik und digitaler Anbindung konstruiert, produziert und angewendet werden.
Für Seriosität sorgen Patente zu Verfahren, wie Schalltechnologie passend eingesetzt werden kann. Das von Jan Kelling mitbegründete Start-up Hasytec aus Kiel besitzt zwei Patente für eine Technologie, die es für den größeren Maßstab – für die Weltschifffahrt und für die Industrie – vor 2016 nicht gab. Grundlagenforschung und Anwendungsentwicklungen von Hasytec sind „made in Germany“ – Montage-Support soll über ein globales Netzwerk jeder bekommen, wohin auch immer die Handels- und Kreuzfahrtschiffe unterwegs sind.
Das Ziel für immer größer werdende Flotten, die mit „Ultraschall-Antifouling“ ausgestattet sind, hat einen einfachen Ausgangspunkt und eine große Perspektive: Rost, Bewuchs und Ablagerungen sollen mittels fein portionierter Schwingungen von wasserleitenden Oberflächen ferngehalten werden, damit auf herkömmliche Reinigung verzichtet werden kann und damit keine Gifte und Schwermetalle mehr in die Weltmeere gespült werden. Motiv und Vorgabe dahinter sind, eine Schifffahrt mitzugestalten, die immer ökologischer wird.
Auf mehr als 650 Schiffen im Einsatz
„Vor fünf Jahren sind wir belächelt worden. Teils hieß es am Anfang: ‚Wieder so eine Idee‘“, erzählt Jan Kelling und lächelt. Und doch ist ihm die Erschöpfung bei unserem Gespräch am Rande des deutschen Innovationsgipfels in München anzumerken. Er erinnert sich an die harten Jahre, in denen die Hasytec-Gründer selbst eingebrachtes und geliehenes Geld investierten – und an einem bestimmten Abend vor dem persönlichen Ruin und dem der Firma standen. Damals schienen Barschaft und Aufträge nicht mehr auszureichen für die Betriebsausgaben und die Gehälter der Mitarbeiter, die ihnen vertrauten. Doch in letzter Minute kam die Wende, durch einen großen Auftrag, der die Auftraggeber nach ausführlichen Probeläufen dann doch noch überzeugte.
„Die Stimmung und das Klima in der Geschäftswelt haben sich in den letzten fünf Jahren enorm gedreht. Nicht nur mit Blick auf unsere konkrete Entwicklung, sondern auch bezüglich der Themen, die in Zukunft mit Umwelt- und Klimaschutz zu tun haben. Das nimmt richtig Fahrt auf, und das ist wichtig“, sagt der Geschäftsführer.
Die Technologie kommt nach Unternehmensangaben inzwischen auf mehr als 650 Schiffen zum Einsatz – darunter drei Tui-Schiffe. Und nicht nur dort. Selbst beim Bierzapfen streichelt KI-gebändigter Ultraschall die Industrieanlagen, um den Einsatz von Chemie zu reduzieren. Die Entwickler erhielten dafür den deutschen Innovationspreis, weil ihre Methode nicht nur Ablagerungen vermeidet, sondern auch dem Betrieb und der Umwelt Belastungen erspart.
Mittlerweile haben sich die Kieler einen Namen auf dem Weltmarkt gemacht. Sie versuchen aber dennoch, ihre Technologie weiterzuentwickeln, um Nachzüglern immer „drei, vier Schritte“ voraus zu sein. „An uns hängen 40 Mitarbeiter und deren Familien“, sagt der Vater einer Tochter und eines Sohnes, die dem Papa genau auf die Finger schauen bei dem, was er tut und was er bewirkt. Für Kelling und seine Teamkollegen sei es eine unverzichtbare Motivation, in den Augen ihrer Kinder bestehen zu können, indem das Unternehmen auf der Seite der Ökologie bleibt.
Schallwellen werden mithilfe von KI gesteuert
Gibt es Konkurrenten? „Im Moment keinen seriösen“, sagt Kelling. „Irgendwann wird es aber einen geben.“ Auch deshalb arbeitet das Start-up jetzt schon an weiteren, umfassenderen Projekten mit, welche die Schifffahrt ökologischer gestalten sollen. Jan Kelling setzt auch für die Zukunft weiter strikt auf Vermeidung. Nicht nur von Bewuchs, der den Schiffen und Leitungen die freie Fahrt schwer macht, sondern eben auch auf die Vermeidung von allem, was die Umwelt belastet: Chlor, Gift, Schwermetalle, CO2-Emissionen. Daher ist ihm auch das Wattenmeer ein besonderes Anliegen. Der Norddeutsche kann seine Emotionen kaum unterdrücken, wenn er auf die LNG-Terminals angesprochen wird, die neuerdings für die Gasversorgung im Einsatz sind. Offenkundig geht es ihm hier nicht nur darum, „noch ein Schiff“ mit Ultraschall-Antifouling auszustatten. Sondern ihm liegt daran, mithilfe von passend entwickelter Technologie seinen Beitrag zur Bewahrung eines unersetzlichen Ökosystems zu leisten.
Die Excelsior in Wilhelmshaven, eine sogenannte Floating Storage and Regasification Unit (FSRU), werde Ende des Jahres 2023 mit der umweltfreundlichen Technologie der Hasytec-Gruppe ausgerüstet sein, meldeten die Kieler Ende Mai. So müsse kein Chlor verwendet werden, um die Pipelines des LNG-Terminals zu reinigen. „Wir sind stolz darauf, dass sich das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Excelerate Energy als Schiffseigner und Tree Energy Solutions als Betreiber für unsere nachhaltige Lösung entschieden haben, um das Unesco-Weltnaturerbe Wattenmeer zu schützen“, betont Kelling. Was so offiziös klingt, hat in diesem Fall einen weiten Horizont: „Wir hoffen, dass diese Initiative als Beispiel für andere Schiffe dient, um auf umweltfreundliche Alternativen umzusteigen.“
Denn von Esbjerg in Dänemark bis nach Den Helder in den Niederlanden reicht das Unesco-Weltnaturerbe Wattenmeer, dessen Schätze zum Staunen und Träumen einladen – zumindest solange sie unberührt wirken. Doch jetzt sind dort die LNG-Terminals: Bei Wilhelmshaven wird dort, wo das Wattenmeer im Sonnenuntergang fantastische Fotomotive liefert, auf Schiffen flüssiges in festes Gas umgewandelt. Zum einen soll damit der Engpass abgefedert werden, der durch die russische Invasion in der Ukraine begonnen hat. Zum anderen soll dadurch ein Übergang geschaffen werden, bis es möglich ist, vorrangig erneuerbare Energien zu nutzen. Der Handlungsort in der Nordsee ist vor allem dann problematisch, wenn die Rohrleitungssysteme mit potenziell giftigen Substanzen gereinigt werden.
Die umweltschonende Alternative des Start-ups aus Kiel sieht vor, dass das Wassersystem von Substanzen freigehalten wird und damit gar nicht erst gesäubert werden muss. Und das funktioniert bei Terminals wie bei Kreuzfahrtschiffen im Grundsatz gleich: Schallwellen verhindern, dass überhaupt geputzt werden muss, gesteuert von Künstlicher Intelligenz. Schallköpfe messen dafür direkt am Einsatzort ihre Umgebung. Dadurch ergibt sich im besten Fall eine optimale Kombination aus Frequenz und Leistung im Einsatz der sogenannten Ultraschall-Antifouling-Methode.
„Riesenauswirkung auf unsere Natur“
Hasytec hat die Technologie als erster für derart großflächige Anwendungen entwickelt. Seit sechs Jahren setzt es – derzeit noch als einziger und damit als Weltmarktführer – den KI-gesteuerten Ultraschall in der Weltschifffahrt sowie in der Industrie ein. Nichts setzt sich fest, nichts wächst zu. Das „Antifouling“ erspart der Atmosphäre sowie den Ozeanen tonnenweise Kohlendioxid, Schwermetalle und Chlor. Und das ganz einfach, indem es der Festsetzung von Bewuchs und damit dem Einsatz von Bioziden und Chemikalien vorbeugt.
Die Hasytec-Gruppe soll deshalb im Auftrag des Bundes ab September ihre umweltfreundliche Präventionstechnologie an eines der LNG-Terminals in Wilhelmshaven liefern. „Dafür haben wir diese Firma gegründet, um nachhaltig Dinge zu verbessern. Das tun wir im Kleinen schon Stück für Stück, jeden Tag in der Schifffahrt. Aber das hier ist alles oder nichts“, freut sich Kelling, der als Ideengeber und Mitgründer von Hasytec eine sichere, etablierte berufliche Existenz für sein vor sieben Jahren gestartetes Risikogeschäft aufgegeben hat, der Umwelt zuliebe.
Die Begeisterung für die Sache nimmt man dem 48-jährigen Familienvater ab. „Das ist ein Riesenschritt in der Transformation. Wir reden nicht nur über Innovation, wir nutzen sie. Das sollte eine Riesenauswirkung auf unsere Natur haben. Auch für das Weltnaturerbe, das Wattenmeer, wird tatsächlich Innovation umgesetzt.“