Der europäische Green Deal ist einen wichtigen Schritt weitergekommen. Das Renaturierungsgesetz hat eine knappe Mehrheit gefunden. Die Auseinandersetzungen darüber sind ein Vorgeschmack auf den Wahlkampf zur Europawahl in knapp einem Jahr.
Nach heftigen Debatten hat das EU-Parlament – mit denkbar knapper Mehrheit – ein Gesetz zur Wiederherstellung der Natur auf den Weg gebracht.
Bekannt geworden sind beispielsweise die Diskussionen um die Wiedervernässung von Mooren. Im Kern geht es darum, dass EU-weit 20 Prozent der Ökosysteme zu Land und zu Wasser in einen möglichst natürlichen Zustand zurückversetzt werden sollen. Das gilt für Moore ebenso wie für Wälder und selbst Meeresboden. Die ambitionierte Renaturierung ist Antwort auf den massiven Ressourcenverbrauch der Vergangenheit.
Nach monatelangen heftigen Auseinandersetzungen stimmten letztlich 336 EU-Parlamentarier dafür, 300 dagegen. Wie knapp am Ende der Erfolg der Befürworter war, wird deutlich an der Entwicklung bis zur Schlussabstimmung. Gleich in drei Ausschüssen war das Vorhaben zuvor mehrheitlich auf Ablehnung gestoßen. Gleichzeitig haben rund 3.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Pläne in einem offenen Brief unterstützt.
Viele Debatten um Renaturierung
Das harte Ringen hat nur zum Teil mit inhaltlichen Argumenten zu tun. Es gab etwa Bedenken aus der Landwirtschaft, gar die Befürchtung, mit dem Beschluss des Renaturierungsvorhabens werde die Ernährungssicherheit gefährdet. Auf der anderen Seite stehen Klimaschutz und Biodiversität, also Erhalt der Artenvielfalt, was letztlich auch zum Vorteil von Bauern und Wirtschaft sei.
Der tiefere Kern und damit die Erklärung für die Verbissenheit der Auseinandersetzung liegt aber auf einer anderen Ebene, die allerdings mit Fragen des Klimaschutzes einen engen Zusammenhang und europaweite Dimensionen hat.
Die italienische Zeitung „Corriere della Sera“ bringt es in einem Kommentar zur den Vorgängen ziemlich prägnant auf den Punkt: „Wie die ‚demokratische Frage‘ im 19. Jahrhundert und die ‚soziale Frage‘ im 20. Jahrhundert schickt sich die ‚grüne Frage‘ an, die große Trennlinie zwischen Rechts und Links in den 2000er-Jahren zu werden.“ Der österreichische „Kurier“ spricht von einem „regelrechten Kulturkampf“.
Was im Europaparlament in der Auseinandersetzung um das Renaturierungsgesetz abgelaufen ist, erklärt sich nicht zuletzt durch Entwicklungen und Diskussionen in vielen Mitgliedsstaaten.
Manfred Weber, Vorsitzender der EVP-Fraktion, des Zusammenschlusses konservativer, christdemokratisch-bürgerlicher Parteien, hatte versucht, zusammen mit Parteien vom rechten Rand ein Bündnis gegen die Klimapolitik zu schmieden. Weber agiere dabei „so populistisch wie der frühere US-Präsident Trump“, wird der Vorsitzende des Umweltausschusses, Pascal Canfin von den französischen Liberalen, zitiert.
Heftig diskutiert wurde auch, dass sich Webers Versuch einer Zusammenarbeit in einem rechten Bündnis nicht nur gegen das geplante konkrete Gesetz richte, sondern damit indirekt auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen treffe – schließlich ist der „Green Deal“ ein ganz zentrales Projekt ihrer Präsidentschaft. Und von der Leyen wird als EVP-Spitzenkandidatin für die Europawahl im kommenden Jahr gehandelt. Sie selbst hat sich bislang noch nicht dazu geäußert. Trotzdem wurde Webers Versuch als Beschädigung der Kommissionspräsidentin gesehen. Einige EVP-Mitglieder wollten Webers Kurs folglich auch nicht mittragen.
War die verlorene Abstimmung nun eine „Ohrfeige“ für Weber, eine „Bruchlandung“, eine „gescheiterte Revolte“, gar ein „gescheiterter Kreuzzug“ – um nur eine kleine Auswahl von Kommentarüberschriften zu zitieren?
Manfred Weber, zugleich CSU-Vize, gilt als Machtpolitiker. Über die Motive der Annäherung der EVP an rechte Parteien ein knappes Jahr vor der nächsten Europawahl wird folglich viel spekuliert. Zumal in etlichen Mitgliedstaaten in jüngster Vergangenheit populistische Protestparteien Auftrieb verzeichnen konnten.
Landwirte und Klimaschutzpolitik gegeneinander auszuspielen, ist ein bekanntes Muster. Objektive Interessenkonflikte werden mit Schlagworten (wie dem der vermeintlich gefährdeten Ernährungssicherheit) emotionalisiert. Prominentes Beispiel sind die Niederlande, wo die Bauern-Bürger-Bewegung einen rasanten Aufstieg hingelegt hat zulasten der bürgerlichen Parteien, darunter auch der Christdemokraten.
Dass der Fundamentalwiderstand gegen das Gesetz im Namen einer bedrohten Landwirtschaft auch etwas mit der bevorstehenden Wahl in Bayern am 8. Oktober zu tun hat, ist für Webers Kategorien vielleicht eher zu kleinteilig gedacht, Kollateraleffekte wären aber sicherlich nicht unerwünscht.
Zwischen Kulturkampf und Brandmauern
Das Renaturierungsgesetz war sicher auch eine willkommene erste Gelegenheit, einen Beschluss der EVP in die Tat umzusetzen. Die hatte sich wohl kaum zufällig für ihren Parteitag im Mai ausgerechnet München ausgesucht. Manfred Weber betonte dort auch gleich: „Wir sind die Bauernpartei Europas“, darauf könnten sich die Landwirte verlassen.
Die Delegierten waren der Meinung, dass es jetzt mal genug sei mit Regulierungen in Sachen Klima und Umwelt. Zuvor hatte die EVP nach einem Überblick von Agenturen 32 Umweltgesetzen zugestimmt (nur beim Aus für Verbrenner gab es Widerstand).
Im selben Zuge wurde der sozialdemokratische EU-Vizepräsident Frans Timmermans, zuständiger Kommissar für Klima und Umwelt, zum erklärten Gegner der EVP. Wohl kaum ein Zufall, wenn praktisch zur gleichen Zeit CDU-Chef Friedrich Merz in Deutschland die Grünen „auf absehbare Zeit“ zum Hauptgegner der CDU erklärt.
Das Wort vom „Kulturkampf“ scheint in Anbetracht all dessen nicht völlig zu hoch gegriffen.
Gleichzeitig testet Weber auch neue Zusammenarbeiten mit Parteien rechts der christdemokratischen Konservativen. Dass er Italiens Regierungschefin Georgia Meloni mehrfach getroffen hat, hat in der EVP auch Kritik ausgelöst. Eine Nähe zu Melonis Partei Fratelli d’Italia, die als postfaschistisch eingestuft wird, geht vielen dann doch zu weit, die fürchten, dass die „Brandmauer“ gegen rechts brüchig werden könnte. Weber selbst verteidigt indes solche Kontakte: Die gebe es nur mit proeuropäischen Kräften, die den Rechtsstaat respektieren und die Ukraine unterstützen. Ansonsten sei klar, dass die Brandmauer gegenüber den radikalen Rechten Bestand habe und jede Kooperation, auch mit der AfD in Deutschland, „undenkbar“ sei.
Die Episode um das Renaturierungsgesetz dürfte damit in mehrfacher Hinsicht eine Art Vorspiel für den Europawahlkampf sein – und für die Zukunft des „Green Deal“.