Die letzten Jahre sind an der jungen Generation in Europa alles andere als spurlos vorbeigegangen. Wobei Corona nicht an allem schuld ist. Die Skepsis wächst – aber das Vertrauen in Europa bleibt erstaunlich groß.
Europa bemüht sich sehr um seine Jugend. Es gibt eine EU-Jugendstrategie, die über das Denken in reinen Wahlperioden hinausreicht und ausgesprochen hehre Ziele formuliert. Wie aber geht es „der Jugend“ in Europa, was denkt sie zur Halbzeit der aktuellen Jugendstrategie, die für den Zeitraum 2019 bis 2027 formuliert war, ein Jahr nach dem „Jahr der Jugend“ (2022) und ein Jahr vor der Europawahl (2024)?
Europa war immer auch eine große Zukunftsidee, ein Versprechen an die junge Generation. Die hat ein grenzenloses Europa lange als eine weitgehende Selbstverständlichkeit erlebt, und ebenso selbstverständlich schien, dass die „Erasmus-Generation“ das Projekt Europa mit eigenen Ideen weiterentwickeln wird.
„Erasmus“, beziehungsweise inzwischen „Erasmus+“ ist das große europäische Förderprogramm, zunächst für Studieren im Ausland, inzwischen gilt es auch für schulische und berufliche Bildung, für Jugendprojekte und Sport. Insgesamt stellt die EU in der Förderperiode 2021 bis 2027 rund 28 Milliarden Euro zur Verfügung. Damit wird eine Generation gefördert, die einen wirklich europäischen Blick entwickelt, durch Sprachkenntnisse, vor allem aber durch Begegnung und im weitesten Sinn kulturellen Austausch.
Natürlich sind Aussagen über „die Jugend in Europa“ schwierig, das gelingt schon kaum für die Entwicklungen in den einzelnen Mitgliedstaaten. In Langzeitstudien lassen sich aber immerhin Trends ausmachen. So zeigt beispielsweise die Studie „Junges Europa“ (Tui Stiftung, durchgeführt von Yougov), dass über die letzten Jahre bei jungen Menschen (16 bis 26 Jahre) der Optimismus schleichend zurückgegangen ist und sich eine pessimistischere Stimmung breitmacht.
Vertrauen ist hoch, aber rückläufig
Gleichzeitig zeigt die Studie: Das Vertrauen junger Menschen in die EU und ihre Institutionen ist durchweg höher als das vergleichbare Vertrauen in das eigene Land. Folgerichtig gibt es einen ausgeprägten Wunsch zu engeren Beziehungen der Mitgliedsstaaten untereinander und mehr Kompetenzen für die EU.
Für die Studie wurden über 7.000 junge Menschen in den sechs größten EU-Mitgliedsstaaten (Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Polen und Griechenland) sowie dem Vereinigten Königreich befragt. Die Umfrage fand online im März dieses Jahres statt.
Die bröckelnde Zuversicht bei den Zukunftsperspektiven ordnet der Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der FU-Berlin, der die Studie wissenschaftlich begleitet hat, so ein: „Das passiert nicht sprunghaft, sondern schleichend. Einen einschneidenden ‚Ukraine-‘ oder ‚Corona-Effekt‘ gibt es aber nicht. Das Lebensgefühl junger Europäer und Europäerinnen trübt sich längerfristig und kontinuierlicher ein. Das bedeutet nach vorne schauend: Eine plötzliche Trendumkehr ist nicht sehr wahrscheinlich.“
Die Analyse entspricht folglich nicht dem verbreiteten Bild, wonach die Pandemieerfahrungen bei Jugendlichen zu einem besonderen Knackpunkt geworden seien. Dagegen spüren gerade junge Menschen die Folgen von Krieg und insbesondere Inflation. Sie sagen selbst, dass sie sich nicht mehr so viel leisten können wie früher und sich auch im Alltag einschränken müssen. Durch die Bank hat die Einschätzung, dass es einem künftig schlechter gehen wird, zugenommen, entsprechend abgenommen hat die Erwartung, dass es besser wird. In Frankreich und Polen sind die negativen Aussichten sogar stärker ausgeprägt, in den übrigen Ländern überwiegt noch der Teil mit eher positiven Zukunftserwartungen. Was Jugendliche in allen Ländern besonders stört, sind Ungerechtigkeiten. Das Ungleichheitsempfinden betrifft vor allem Bereiche wie Einkommen, Wohnen, Karrieremöglichkeiten oder Vermögen, wobei es signifikante Unterschiede gibt. In Griechenland ist das Empfinden von Ungleichheit besonders stark ausgeprägt, in Spanien liegen die Werte unter dem europäischen Durchschnitt, in Deutschland eher im Mittelfeld.
Was die Studie zugleich deutlich macht: Junge Menschen in Europa verstehen sich als sehr europäisch und haben eine ziemlich übereinstimmende Meinung darüber, was ihnen wichtig ist. Umwelt- und Klimaschutz stehen dabei natürlich weiter ganz oben (wobei die Werte dafür und im europäischen Durchschnitt vor zwei Jahren noch deutlich höher waren), gefolgt von Wirtschaftsfragen und der Migrations- beziehungsweise Asylpolitik. Wenig verwunderlich, dass Gesundheitspolitik inzwischen an Bedeutung zugenommen hat. In der Frage der wichtigen Probleme sind sich Jugendliche in der EU ziemlich einig, die Kurven der Entwicklungen auf der Zeitachse für die einzelnen Themenfelder sind für die einzelnen Länder zwar nicht völlig identisch, aber auffallend im Gleichklang. Was wiederum die Alltagserfahrung bestätigt.
Und was die „Erasmus-Generation“ betrifft: Eine klare Mehrheit fühlt sich europäisch – aber nicht überall gleich stark ausgeprägt. Zudem ist ein leichter Trend zur nationalen Identität festzustellen.
Weniger als 30 Prozent der Jugendlichen sehen sich rein als Bürger oder Bürgerin eines Landes, 55 Prozent bezeichnen sich als Bürger eines Landes und als Europäer, eine kleine Minderheit (unter fünf Prozent) nur als Europäer. Die Unterschiede in den Ländern sind in diesem Fall aber deutlich. In Polen ist der Anteil derer, die eine rein nationale Identität angeben, mit 45 Prozent besonders groß – die überzeugtesten Europäer sind junge Spanier und Italiener.
Auch wenn der Optimismus nachgelassen und das Gefühl einer (rein) nationalen Identität leicht zugenommen hat: Die Jugend in Europa ist eine europäische Jugend, die sich zunehmend mehr europäische Integration wünscht. Eigentlich eine gute Basis für die Zukunft Europas.
Die EU hat bereits 2019 eine Jugendstrategie mit elf jugendpolitischen Zielen (Youth Goals) verabschiedet. In den halbjährlich wechselnden Ratspräsidentschaften fließen Ergebnisse von EU-Jugendkonferenzen als Empfehlungen an die Mitgliedsstaaten in die sogenannten „Schlussfolgerungen“ ein, in denen zu konkreten Fragen konkrete Maßnahmen oder konkrete Ziele genannt werden (die dann auch in die Gesetzgebung einfließen können). Mit den „Schlussfolgerungen“ bestimmt die EU die Agenda ihrer Politik.
Jugend wünscht sich mehr Europa
Das Problem auch bei der Jugendpolitik ist, dass die eigentliche Kompetenz dafür nach wie vor bei den Mitgliedsstaaten liegt, die die europäische Jugendstrategie in ihre nationalen Strategien übernehmen sollen. Schon das macht deutlich, dass es nicht so ganz einfach ist.
Mit Förderprogrammen werden aber klare Akzente gesetzt. Erasmus+ ist ein Beispiel, die „Jugendgarantie“ ein weiteres: Junge Menschen, die sich anmelden, sollen innerhalb von vier Monaten ein Angebot für einen Arbeits- oder Lehrstellenplatz, eine Ausbildung oder Qualifikation erhalten. Es ist eine Reaktion auf die in einigen Mitgliedsstaaten hohe Jugendarbeitslosigkeit. Das Programm gibt es seit 2013, jährlich haben sich nach EU-Angaben rund drei Millionen junge Menschen, also insgesamt bislang gut 36 Millionen, beteiligt. Das Europäische Jahr der Jugend, EU-Jugendkonferenz und -dialog halten das Thema oben auf der Agenda.
Dass Jugendliche den Eindruck haben, Interessen Älterer würden viel stärker von der Politik berücksichtigt, überrascht nicht wirklich. Auch hier gibt es aber deutliche Unterschiede. Spanien scheint auch in diesem Zusammenhang einiges ganz gut hinzukriegen. Über 20 Prozent der jungen Menschen meinen, dass Interessen der Jugend berücksichtigt werden – ein einsamer Spitzenwert (Durchschnitt: elf Prozent), außerdem meint ein Drittel, dass Interessen der jungen und der älteren Generation gleichermaßen berücksichtigt würden. Die Kurven in anderen Ländern liegen da deutlich weiter auseinander.