Auf die Verfilmung von Wolfgang Hohlbeins Fantasy-Roman „Der Greif“ mussten Fans jahrzehntelang warten. Nun ist sie vor Kurzem endlich in Form einer sechsteiligen Serie auf Amazon Prime erschienen.
Das deutsche „Stranger Things“? Diese Frage wurde bereits bei der Serie „Dark“ gestellt, die sich als eine der erfolgreichsten deutschen Serienproduktionen der jüngeren Vergangenheit erwies. Die Frage wiederholt sich scheinbar in regelmäßigen Zyklen, denn auch bei „Der Greif“ wurde sie mehrfach gestellt. Auf der einen Seite ist es kein schlechter Clickbait-Schachzug, wenn man „Stranger Things“ in einem Atemzug mit einem beliebigen anderen Titel unterbringt, andererseits ist es etwas ermüdend und auch unfair gegenüber neuen Fantasy-Serien, sie immer wieder mit dem übergroßen amerikanischen Vorbild zu vergleichen.
Nach einem Roman von Wolfgang Hohlbein
Doch schauen wir etwas genauer hin: „Der Greif“ ist die Serienverfilmung von Wolfgang Hohlbeins gleichnamigem Fantasy-Roman, der 1989 veröffentlicht wurde: Ost und West waren da noch durch die Mauer getrennt, der Kalte Krieg kühlte zwar gerade ab, war aber noch nicht ganz erloschen. Es gab keine Smartphones, kein Internet, keine Streamingdienste und auch das Unterhaltungsangebot war ein anderes. Bücher, die etwas mit Fantasy zu tun hatten, waren in literarischen Zirkeln weitgehend verpönt. Selbst der Erfolg von Michael Endes „Die unendliche Geschichte“ änderte daran nur wenig, wenngleich sie vielleicht den Nährboden schuf, auf dem sich Wolfgang Hohlbeins Romane und Erzählungen ausbreiten konnten.
„Der Greif“ ist definitiv einer der bekanntesten Hohlbein-Romane, und es war nur eine Frage der Zeit, bis der Stoff früher oder später den Weg auf den Bildschirm schaffen würde. In diesem Fall eher später, denn viele Ansätze scheiterten am Veto des Autors. Doch dann kamen Sebastian Marka und Erol Yesilkaya, die beiden jetzigen Showrunner, und überzeugten Hohlbein von ihrer Idee, den Greif nicht als Film, sondern als Serie zu verfilmen. Gerade Fantasy-Serien „made in Germany“ hatten lange keinen guten Stand. „Dark“ hat in dieser Hinsicht möglicherweise einige Türen geöffnet und „Der Greif“ wird es vielleicht ebenso tun. Wichtig ist dabei natürlich, ob eine Serie vom Publikum angenommen wird oder nicht. Das wiederum hängt zu einem großen Teil auch von der Qualität der Produktion ab. Und in dieser Hinsicht kann „Der Greif“ punkten.
Schon die ersten Folgen zeigen, dass sich die Serienmacher sehr intensiv mit dem Setting und der Atmosphäre der Serie beschäftigt haben. Eine der großen Änderungen im Vergleich zur Romanvorlage besteht in der Verschiebung der Story ins Jahr 1994. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, die Protagonisten, die im Buch Kinder waren, ins Teenagerleben zu katapultieren und so der Serie einen noch dunkleren Ton geben zu können. Dazu passt auch die geniale Songauswahl, die eng mit der Handlung verwoben ist, und die von Soundgarden über Nirvana und Radiohead bis hin zu Blind Guardian reicht. Sicherlich kein Zufall, denn Wolfgang Hohlbein ist seit jeher ein großer Blind Guardian-Fan.
Die Story spielt im fiktiven Ort Krefelden – Wolfgang Hohlbein wuchs in Krefeld ohne „en“ auf – und begleitet den 16-jährigen Mark Zimmerman (Jeremias Meyer), der gemeinsam mit seinem Kumpel Memo (Zoran Pingel) seinem großen Bruder Thomas (Theo Trebs) in einem Plattenladen aushilft. Als die neue Schülerin Becky (Lea Drinda) an die Schule kommt, verliebt Mark sich in sie. Der Zeitpunkt könnte unpassender nicht sein, denn Mark wird immer häufiger von schlimmen Alpträumen geplagt, die mit dem Tod seines Vaters vor zehn Jahren zusammenhängen, und er fürchtet, seinen Verstand zu verlieren. Zu seinem Geburtstag bekommt er dann noch von seinem Bruder Thomas ein seltsames Buch geschenkt, das untrennbar mit der Geschichte seiner Familie und auch dem Schicksal seines Vaters verbunden ist und alle Regeln des gesunden Menschenverstands außer Kraft setzt. Das Buch wird Mark schließlich in eine Welt ziehen, in welcher der titelgebende, furchterregende Greif regiert und in der dessen steinerne Sklavenjäger ihr Unwesen treiben. Schnell wird klar, dass Mark eine ganz besondere Rolle einnehmen soll.
Auf zwei weitere Staffeln angelegt
„Der Greif“ ist gut gemachte Fantasy mit Witz, vielen musikalischen Anspielungen und dem Flair der 90er-Jahre. Hervorzuheben ist, auch wenn es den aktuellen Sehgewohnheiten nicht mehr wirklich entspricht, ist der Verzicht auf animierte Figuren zugunsten einer aufwendigen Maske, etwa bei den steinernen Sklavenjägern. Die Welt des Greifs wirkt dadurch realistisch und bedrückend, und auch die Sklavenjäger bekommen dadurch individuelle Persönlichkeiten.
Die erste Staffel hat insgesamt sechs Folgen. Wenn es nach den Serienmachern geht, werden noch zwei weitere Staffeln folgen. Doch das liegt auch am Publikum und damit dem kommerziellen Erfolg der Serie. Wir jedenfalls wünschen uns definitiv eine Fortsetzung.