Fortbildungen sind wichtig. Aber Rassismus zu verlernen ist etwas, wofür Polizistinnen und Polizisten sich jeden Tag neu entscheiden müssen. Dafür brauchen sie Freiräume, sagt Rassismuskritiker Prof. Dr. Karim Fereidooni.
Herr Prof. Dr. Fereidooni, warum fällt es der deutschen Polizei schwer, gemäß ihres Wissens über Rassismus in der Gesellschaft zu handeln?
Es müssen Möglichkeitsräume für Polizist*innen geschaffen werden, rassistische Wissensbestände zu verlernen. Das ist ein aktiver Prozess, für den sich Polizist*innen jeden Tag neu entscheiden müssen. Das heißt, es reicht nicht, einmal in der Ausbildung eine Schulung zum Thema interkulturelle Kompetenz gehabt zu haben. Sondern ich muss mich täglich mit Rassismus in meiner Polizeiarbeit auseinandersetzen können. Dafür brauche ich Freiräume, dafür muss ich Konzepte haben. Rassismuskritik sollte als Querschnittsaufgabe in der gesamten Polizeiausbildung und auch in den Fortbildungsveranstaltungen implementiert werden. Noch wichtiger ist die Schaffung einer Beratungs- und Beschwerdestruktur. Die Polizist*innen müssen die Möglichkeit haben, sich mit jemandem über relevante Ereignisse, zum Beispiel im Zusammenhang mit Rassismus, beraten zu können, ohne, dass sie sofort ein Verfahren auslösen. Zum Beispiel eine Einrichtung einer internen Informations- und Beschwerdestelle oder die Schaffung eines oder einer Antirassismus-Beauftragten. Status quo ist: Wenn Polizist X sich über Polizistin Y beschwert, weil sie etwas Rassistisches gesagt hat, wird ein Verfahren ausgelöst. Wir müssen über strukturelle Veränderungsmaßnahmen sprechen, damit wir eine nachhaltige Veränderung erreichen.
Im Projekt „Demokratische Resilienz“ arbeitet die saarländische Fachhochschule der Polizei mit externen Expertinnen und Experten zusammen. Ist dies sinnvoll?
Ich halte das für sinnvoll, aber auch da möchte ich auf strukturelle Maßnahmen verweisen, die aus der Institution Polizei selbst heraus entwickelt werden müssen. Natürlich ist es wichtig, mit externen Personen zusammenzuarbeiten. Aber es ist auch wichtig, dass Polizist*innen, die in Dienststellen mit besonders hohem Einsatzaufkommen arbeiten, Entlastungsangebote bekommen. Und dass eine Rotation stattfindet, damit Polizist*innen nicht 20 Jahre in derselben Dienststelle mit denselben Polizist*innen arbeiten. Denn dann schleicht sich ein unguter Korpsgeist ein. Der gute Korpsgeist ist, dass ich mich in brenzligen Situationen auf meine Kolleg*innen verlassen kann. Ein unguter Korpsgeist ist, wenn ich 20 Jahre mit einer Person zusammenarbeite, resistent bin gegen Schulungsmaßnahmen und die Kolleg*innen schütze, wenn Rassismus im Raum steht. Das Rotationsprinzip sollte stärker genutzt werden, als es bislang der Fall ist. Beim Thema Schulungen müssen wir bessere Formate zum Thema Erfassung von Hasskriminalität implementieren. Beispielsweise meldet das BKA für das Jahr 2018 1.078 vorurteilsmotivierte Gewalttaten für das gesamte Bundesgebiet. Betroffenenverbände sprechen von 1.212 Fällen. Wie kommt die Diskrepanz zustande? Wir müssen anerkennen, dass, wenn ich zum Beispiel Anzeige erstatten will, einige Polizist*innen nicht in der Lage sind, Fälle als vorurteilsmotivierte Gewalttat zu erfassen. Häufig ermittelt außerdem die Nachbarpolizeidienststelle, wenn ich Anzeige gegen einen Polizisten oder eine Polizistin erstatten will, die mir gegenüber rassistisch war. Auch im Fall Mouhamed Dramé hat die Polizei in Recklinghausen gegen die Dienstelle in Dortmund ermittelt. Gleichzeitig lief ein Verfahren von Dortmund gegenüber Recklinghausen. Da gibt es also Abhängigkeiten. Wenn beispielsweise eine Staatsanwaltschaft eines Bundeslandes zentral solche Ermittlungen gegen Polizist*innen führt, kommen diese Beziehungsgeflechte und Abhängigkeiten nicht zum Tragen.
Könnte die Polizeistudie Megavo als Grundlage dienen, rassistische Einstellungen in Bewerbungsgesprächen für die Polizei festzustellen?
Ich halte es für eine sinnvolle Idee, den Fragebogen der Megavo-Studie auch für Einstellungsprozesse zu benutzen. Gleichzeitig müssen wir aber auch anerkennen, dass es Polizist*innen gibt, die im Sinne der sozialen Erwünschtheit antworten. Anders als bei der Megavo-Studie – und da sind wir in einem forschungsethischen Bereich – können wir den angehenden Polizist*innen keine Anonymität zusichern. Bei der Megavo-Studie kann man nicht auf irgendwelche Personen zurückschließen und das müsste dafür aufgehoben werden.
Es geht auch darum, Kolleg*innen im Einsatzgeschehen fit zu machen für rassismusrelevante Verhaltensweisen ihrer Kolleg*innen. Wenn jemand rechtes Gedankengut im Polizeiberuf auslebt, aber im Einstellungsgespräch sozial erwünscht geantwortet hat, müssen Kolleg*innen in der Lage sein, mittels strukturellen Maßnahmen, die ich am Anfang des Gesprächs dargelegt habe, gegen diese Kolleg*innen vorzugehen.