Quasi über Nacht wurde Maxim Kovalenko aus Heusweiler zu einem der Hoffnungsträger bei den deutschen Kunstturnern. Sein nächstes großes Ziel: die Olympischen Spiele 2024 in Paris.
Der 18-jährige Turner Maxim Kovalenko vom TV Bous hat Anfang Juli die Deutsche Meisterschaft Gerätturnen der Herren aufgemischt. Es war sein erster Wettkampf bei den Herren und der war gleich in die Großveranstaltung „Die Finals 2023 Rhein-Ruhr“ in Düsseldorf eingebettet – fand also vor Sportdeutschlands Augen statt. Kovalenko holte Silber beim Sprung und schrammte nur knapp an Bronze im Mehrkampf vorbei (FORUM berichtete).
„Für mich ist es das erste Jahr bei den Männern – ich möchte mich einfach nur gut präsentieren und schaffen, was ich mir vorgenommen habe“, sagte der unbedarfte Kovalenko noch vor den Deutschen Meisterschaften und liebäugelte insgeheim mit dem Einzug in das Boden-Finale. Aufregung? Kennt er nicht. „Nö. Ich habe ja nix zu verlieren“, merkte er damals nüchtern an. Sein Fazit: „An den Ringen bin ich eigentlich immer stabil, Sprung war auch gut, nur am Barren hat es nicht so ganz geklappt, wie ich es mir vorgestellt hatte“, fasst er seinen starken Mehrkampf (vierter Platz) zusammen: „Am Reck war es auch wieder okay, nur am Boden habe ich viel verloren. Das war etwas ärgerlich.“ Kovalenko hatte unter anderem zwei Mal übertreten und ein Element nicht gestanden.
Bei der Junioren-Europameisterschaft im vergangenen Jahr in München ist ihm etwas Ähnliches passiert: Kovalenko, der sich mit der höchsten Vornote als Bester für das Finale qualifizierte, lag auf Goldkurs und den EM-Titel am Boden schon so gut wie sicher. Doch dann stürzte er. Nicht bei der Ausführung eines anspruchsvollen Elements, sondern beim „in die Ecke gehen“ zwischen zwei Elementen. Ausgerechnet Kumpel, Trainings- und Mannschaftskamerad Daniel Mousichidis war der Nutznießer. Statt eines saarländischen Doppelerfolgs wurde Kovalenko letztlich Achter und bescherte Mousichidis statt der silbernen die goldene Medaille. „Das war in der ersten Zeit schon belastend. Mittlerweile denke ich aber nicht mehr so oft darüber nach“, verrät Kovalenko und schiebt nach: „Es war halt einfach schade. Aber das Schicksal wollte es so, und irgendwas hat es bewirkt.“ Die bittere Erfahrung hat ihn noch stärker gemacht. Mental und auch körperlich.
Das sportliche Talent wurde Kovalenko in die Wiege gelegt: Vater Sergiy Kovalenko war Weltklasse-Ringer – unter anderem bei Bundesligist KSV Köllerbach. Der Ukrainer kam zusammen mit seiner russischstämmigen Frau Violetta auch wegen des Profisports ins Saarland, wo neben Maxim auch noch dessen Geschwister Diana (elf Jahre) und Konstantin (9) geboren wurden. „Meine Eltern sprechen mit mir Russisch, aber ich antworte auf Deutsch. Das ist leichter für mich. Ich sehe mich auch als Deutscher“, merkt Maxim keck an. Seine Miene wird ernster, wenn er auf den Krieg in der Ukraine angesprochen wird: „Wir reden schon oft darüber, bekommen auch die Nachrichten aus dem Kriegsgebiet mit, und wir sind uns alle einig: Der Krieg ist einfach schrecklich und hätte nie ausbrechen dürfen“, sagt Kovalenko und spricht seiner Familie damit aus der Seele.
„Das Gefühl zu fliegen, hat mich fasziniert“
Die Mutter brachte ihren ältesten Sohn schließlich zum Turnen: „Sie hatte mir damals Youtube-Videos von Parkour-Sportlern gezeigt. Das fand ich cool und wollte das unbedingt auch mal ausprobieren“, erinnert sich Maxim. Dazu kam es allerdings nicht: „Meine Mutter hat mich dann mit fünf Jahren zum TV Bous geschickt.“ Statt der Trendsportart Parkour, einer urbanen Freistil-Fortbewegungsart, um möglichst akrobatisch und effizient und nur mit den Fähigkeiten des eigenen Körpers von A nach B zu gelangen, war klassisches Turnen angesagt. „Das war dann doch etwas anderes, aber es hat mir auch gefallen“, erzählt er.
Der Bub lernte schnell. Schon bald konnte er seinen Freunden einen Salto vorführen – und zwar technisch ausgereifter als es Parkour-Athleten tun. „Das Gefühl zu fliegen, hat mich von Anfang an fasziniert. Ich hatte immer schon eine gute Koordination und kann meinen Körper in der Luft gut kontrollieren“, berichtet er und erklärt: „Ich weiß in der Luft immer, wo ich gerade bin. Ich kann mir das irgendwie räumlich vorstellen.“
Diese Gabe hilft Maxim Kovalenko, immer neue Elemente zu lernen, sie bis zur Perfektion einzustudieren und letztlich auch in seine Übungen zu übernehmen. Am liebsten am Boden und beim Sprung. Davon kann man sich in den Wettkämpfen der TG Saar in der Männer-Bundesliga überzeugen, wo Kovalenko schon seit zwei Jahren mitmischt. „Das ist schon cool und macht mir sehr viel Spaß. Hier kann man viel lernen“, findet er. Das gilt auch für das Sportinternat des Saarbrücker Rotenbühl-Gymnasiums, das der Schüler besucht. Wochentags wohnt er an der Sportschule und an den Wochenenden bei seiner Familie in Heusweiler. Nach dem Abi strebt Kovalenko eine berufliche Karriere bei der Landes- oder Bundespolizei an, um als mögliches Mitglied der Sportfördergruppe auch weiterhin Leistungssport auf höchstem Niveau machen zu können.
Einen wesentlichen Anteil daran, dass Maxim Kovalenko seine Ziele bisher immer erreichen konnte, hat Landestrainer Waldemar Eichorn. Der Routinier und der Jungspund im TG-Bundesligakader arbeiten schon seit zehn Jahren zusammen und absolvieren bis zu 28 Trainingsstunden pro Woche. „Die Erfolge sind das Ergebnis harter Arbeit“, betont Eichorn, wenn er von seiner Trainingsgruppe spricht, zu der neben Kovalenko auch Daniel Mousichidis und Moritz Steinmetz (TV Bous/TG Saar) gehören: „Die Jungs hatten von Anfang an große Ziele und wollten früh erfolgreich sein“, verrät er. Aber dass sie schon als Zwölfjährige sämtliche Medaillen abräumen, war nicht das Ziel ihres langfristig denkenden Trainers: „Zum einen ist man bei einer behutsamen Vorbereitung auf den Aktivenbereich weniger verletzungsanfällig und zum anderen hat man eine bessere Grundlage für die höheren Schwierigkeitsgrade bei den Aktiven.“ Übersetzt heißt das: Eichorns Jungs mussten früher als andere schwerere Elemente einstudieren. Das bringt ein erhöhtes Frustrationspotenzial mit sich und verlangt den jungen Athleten eine gehörige Portion Geduld ab. Doch es hat sich gelohnt, findet Eichorn.
Um sich vom Stress und auch dem Trainingsalltag in der Turnhalle zu erholen, geht Maxim Kovalenko gern ins Schwimmbad oder einfach nur spazieren. „Wenn man so viel Zeit in der Halle verbringt, ist ein bisschen Zeit an der frischen Luft zu verbringen ganz gut“, hat er festgestellt. In letzter Zeit schwirrt ihm bei den Spaziergängen vor allem eines durch den Kopf: die Olympischen Spiele 2024 in Paris. Eigentlich hatte der 18-Jährige erst die Spiele 2028 in Los Angeles anvisiert. Durch das Auftrumpfen bei den Deutschen Meisterschaften in Düsseldorf rückt aber Paris in den Fokus. „Es wird schwer, aber Chancen sind da, und die wollen wir jetzt nutzen. Wir werden uns darauf vorbereiten und die Quali mitturnen, dann sehen wir, was dabei rauskommt“, sagt Kovalenko, der jüngst von Bundestrainer Valeri Belenki ins Trainingslager der Nationalmannschaft in Italien einberufen wurde. Die Ziele gehen dem Turntalent also so schnell nicht aus.