Kanadische Forscher haben ermittelt, wie moderne Menschen rund um den Globus ihren Tag verbringen und wie viel Zeit sie dabei vom 24-Stunden-Budget in die verschiedensten Aktivitäten investieren.
Anfang 1967 hatten die Beatles in den Abbey Road Studios den Titel „A Day in the Life“ für ihr legendäres Album „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ aufgenommen. Der Song, in dem typische Alltagsaktivitäten wie Aufwachen, das Kämmen der Haare oder der morgendliche Run zum Bus neben eher Skurrilem wie dem Sieg im Krieg oder nervenden Schlaglöchern in einer Gemeinde der Grafschaft Lancashire thematisiert wurden, wurde vom renommierten Musik-Magazin „Rolling Stone“ als beste Produktion der vier Pilzköpfe überhaupt klassifiziert. Doch die Autoren John Lennon und Paul McCartney hatten in das Lied natürlich nur ganz persönliche Eindrücke von einem aus ihrer Sicht typischen Tag im damaligen Großbritannien einfließen lassen. Im Unterschied dazu hatten sich Forschende der McGill University im kanadischen Montreal unter Federführung von William Fajzel vom Departement für Erd- und Planeten-Wissenschaften die Frage gestellt, ob es möglich ist, bei mehr als acht Milliarden Menschen einen für die Gesamtheit repräsentativen Tagesablauf zu ermitteln. Die Aufgabe lautete: „Wir wollten wissen, wie die Zeitaufteilung der Menschheit im Durchschnitt aller Menschen und Länder aussieht. Mit anderen Worten: Wenn die Welt ein einziger durchschnittlicher Mensch wäre, wie würde sein Tag aussehen?“, so Fajzel.
Für ihre kürzlich in den „Proceedings“ der US-nationalen Akademie der Wissenschaften (PNAS) veröffentlichte Studie haben sie einen ungewöhnlich großen Aufwand betrieben und dabei Daten zur täglichen Zeiteinteilung aus über 140 Ländern im Zeitraum zwischen 2000 und 2019 gesichtet und ausgewertet, was einen Überblick über rund 90 Prozent der Weltbevölkerung ermöglichte. Konkret nutzten die Forschenden beispielsweise Informationen von statistischen Ämtern, aber auch Daten von Unicef, der Weltbank oder der Internationalen Arbeitsorganisation. Um die unterschiedlichen nationalen Erhebungsmethoden miteinander in Einklang bringen und vergleichbar machen zu können, musste das Team um Fajzel alle erfassten Tagesaktivitäten nach ihrem Zweck sortieren. Doch statt den Tag wie allgemein üblich nur in bezahlte und unbezahlte Aktivitäten aufzuteilen, kategorisierten sie die verschiedenen Tätigkeiten entsprechend der ihnen zugrunde liegenden Motivation. Insgesamt kamen dabei mehr als 20 Kategorien zusammen, die sich vier großen Gruppen zuordnen ließen. Man habe, so die Forschenden, durch die unorthodoxe Einteilung menschlicher Aktivitäten eine „Vogelperspektive auf das menschliche Leben“ entwerfen wollen.
20 Kategorien in vier Gruppen
In der ersten großen Gruppe drehte sich alles um Schlaf und Bettruhe. Stolze 9,1 Stunden entfallen darauf. Dass diese Zahl so hoch ausgefallen ist, war damit zu erklären, dass in die Statistik auch die Schlafenszeiten von Kindern und Jugendlichen eingerechnet wurden, die in der Regel mehr Zeit im Bett verbringen als die sieben Stunden, die die Forscherinnen und Forscher durchschnittlich für die Erwachsenen ermittelten. Zusätzlich wurde auch noch die Zeit mit einbezogen, in der man zwar schon im Bett liegt, aber noch nicht schläft. In der zweiten großen Gruppe wurden Aktivitäten zusammengefasst, die unmittelbare Folgen auf einen selbst haben, und auf einen selbst oder andere ausgerichtet sind. Dazu zählten etwa Hygiene, Pflege des Aussehens, Gesundheitsmaßnahmen, Nahrungsaufnahme, Treffen mit Freunden, Kinderbetreuung, Sport, Lesen, Spielen, Bildschirm-Aktivitäten, Spazierengehen, Religionsausübung, Weiterbildung, Faulenzen oder Erholung. Insgesamt knapst der moderne Mensch mit Aktivitäten aus dieser Gruppe 9,4 Stunden vom Tages-Budget ab. Am zeitaufwendigsten sind dabei Lesen, Spielen, Interaktionen mit dem Bildschirm, Spazierengehen, Kontakte pflegen oder auch Nichtstun, allein dabei kommen schon etwa 4,6 Stunden zusammen. Aber auch zum Essen nimmt sich der Mensch die nötige Zeit: Im Durchschnitt sind es täglich 1,6 Stunden, wobei es dabei keinen Unterschied zwischen Bewohnern von armen und reichen Ländern gibt. Fürs Kochen geht täglich etwa eine Stunde drauf.
In der dritten Gruppe wurden alle Aktivitäten mit „äußerer Wirkung“ gebündelt, die die Welt um uns verändern können. Dazu zählten die Studienautoren den Anbau, die Verarbeitung und die Zubereitung von Lebensmitteln, die Gewinnung von Rohstoffen, Materialien und Energie, die Gebäudeerrichtung, die Herstellung diverser Produkte oder die Abfallentsorgung. Hierfür gehen täglich rund 3,4 Stunden drauf. Wobei für die Abfallentsorgung gerade mal eine Minute aufgewendet wird, während für Infrastrukturmaßnahmen wie den Häuserbau im globalen Schnitt etwa 15 Minuten anfallen. Große Unterschiede im Zeitbudget gibt es laut den Forschenden beim Anbau und der Beschaffung von Lebensmitteln zwischen Bewohnern von armen und reichen Nationen. Während erstere dabei mehr als eine Stunde investieren müssen, brauchen wohlsituierte Bürger dafür statistisch weniger als fünf Minuten. „Dieser auffällige Trend kann weitgehend auf arbeitssparende Technologien zurückgeführt werden“, so die Wissenschaftler, „die es ermöglichen, die gleiche Menge an Nahrungsmitteln in deutlich weniger Zeit zu produzieren.“ Zudem sind in den reichen Ländern die Wege kurz zum nächsten Supermarkt, während Menschen in ärmeren Regionen ihre Nahrung selbst vom Feld holen oder zu Fuß weite Strecken zum Kauf von Lebensmitteln zurücklegen müssen.
In der vierten Gruppe dreht sich alles um organisatorisch motivierte Aktivitäten, von Pendeln mit öffentlichen Verkehrsmitteln über das Einkaufen bis hin zum Aufräumen der Wohnung. Dafür sind rund 2,1 Stunden einzusetzen. Für die Personenbeförderung wurde eine Stunde ermittelt, fürs Aufräumen und das Instandhalten der Wohnung waren es 45 Minuten.
Wohlstand spielte geringere Rolle
Einige ihrer Detailergebnisse fanden die Forschenden selbst überraschend. Darunter der Sachverhalt, dass der größte Anteil des „globalen menschlichen Tages“ darauf verwendet wird, sich um sich selbst oder andere zu kümmern. „Überraschenderweise ändert sich der Zeitaufwand für Aktivitäten wie Mahlzeiten, tägliche Reisen, Hygiene und Körperpflege sowie die Zubereitung von Lebensmitteln nicht systematisch mit dem materiellen Wohlstand einer Bevölkerung“, so das Team um Fajzel. Was verblüffend war, war der Anteil, der auf wirtschaftliche Aktivitäten wie das tägliche Arbeiten zum Broterwerb entfällt. Gerade mal 2,6 Stunden werden täglich für das Geldverdienen verwendet, wobei global Tätigkeiten in Land- und Viehwirtschaft dominieren, gefolgt von Jobs in Handel, Finanzen und Recht. „Das mag zwar gering erscheinen, doch für die zwei Drittel der Weltbevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15 bis 64 Jahre), die die Erwerbsbevölkerung bilden, entspricht dies einer 40-Stunden-Woche“, so die Forschenden. Durch die Berücksichtigung von Kindern, nicht arbeitenden Elternteilen oder Rentnern wird die auf die gesamte Menschheit berechnete Arbeitszeit deutlich minimiert.
Als Resultat ihrer Studie entdeckten die Wissenschaftler, dass mit Blick auf die globalen Nachhaltigkeitsziele noch deutlich Luft nach oben ist. Da weltweit gerade mal sechs Minuten für Energie- und Materialversorgung benötigt werden, sei in diesem Bereich noch viel Luft nach oben. „Lösungen für den Klimawandel, wie zum Beispiel die Verlagerung von Arbeit weg von der fossilen Brennstoffindustrie und hin zum Aufbau einer globalen Infrastruktur für erneuerbare Energien, sind im Hinblick auf das globale Zeitbudget in hohem Maße machbar“, so die Forschenden, „Zeit, so heißt es, ist die Währung des Lebens – und in einer global vernetzten Gesellschaft ist es unabdingbar, ein umfassendes Verständnis dafür zu haben, wie diese ausgegeben wird.“