Derzeitige Regelungen zur Rente laufen 2025 aus, gleichzeitig gehen die Babyboomer-Jahrgänge in den Ruhestand. Um das Rentensystem zu sichern, fordert die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, unter anderem eine „Erwerbstätigenversicherung“ und lehnt Ideen wie das „Generationenkapital“ ab.
Frau Bentele, die Renten in Ost und West sind erstmals gleich. Sind Sie zufrieden mit der Entwicklung?
Mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung war das längst überfällig. Die Angleichung ist gut und richtig, allerdings reicht die aktuelle Erhöhung bei der nach wie vor hohen Inflation insbesondere für Personen mit einer niedrigen Rente nicht aus.
Stichwort Altersarmut: Die Zahl der Rentner, die zusätzlich Grundsicherung beziehen, steigt.
Ein Alarmsignal?
Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, haben knapp 1,2 Millionen Menschen im Dezember 2022 Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bezogen. Kleine Renten sind das Resultat von schlecht bezahlten Jobs, Arbeitslosigkeit, Krankheiten, aber auch von Kindererziehung oder der Pflege von Angehörigen. Menschen, die nach ihrem Erwerbsleben im Alter arm sind, haben damit meist bis zum Ende ihres Lebens zu kämpfen. Natürlich ist es ein Alarmsignal, wenn immer mehr Menschen Grundsicherung benötigen. Vor allem auch, weil wir wissen, dass viele Menschen, die einen Anspruch auf Grundsicherung im Alter haben, diesen nicht wahrnehmen. Das Problem der verdeckten und versteckten Armut ist also noch größer als die Zahlen uns glauben lassen. Um Altersarmut wirkungsvoll zu bekämpfen, brauchen wir unter anderem eine Steigerung des Rentenniveaus auf 53 Prozent, einen armutsfesten Mindestlohn von minimal 14 Euro pro Stunde, mehr Tarifbindung bei Unternehmen und eine Förderung von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen statt Minijobs und Zeit- und Leiharbeit.
„Aktuelle Erhöhung reicht nicht aus“
Der VdK warnt schon seit langem vor Altersarmut. Wird das Problem unterschätzt?
Zumindest wird nicht genug dagegen getan. Schon jetzt haben wir viele Rentnerinnen und Rentner in Deutschland, die kaum über die Runden kommen. Und junge Menschen machen sich heute bereits große Sorgen um ihre Altersversorgung. Wer Altersarmut wirklich bekämpfen und der jungen Generation Sicherheit geben will, muss mehr tun als die Regierung im Moment.
Ungleichheiten im System der Altersversorgung sind zuletzt noch einmal deutlich geworden an der Diskussion, dass Pensionäre (Beamte) einen Inflationsausgleich erhalten, Rentner nicht. Sehen Sie eine Chance, solche Ungerechtigkeiten zu überwinden?
Der VdK hat eine Klage gegen Ungleichbehandlung geprüft, allerdings hätte diese leider keine Aussicht auf Erfolg. Zwischen den Systemen der gesetzlichen Rentenversicherung einerseits und den Versorgungsbezügen der Pensionärinnen und Pensionäre des Bundes andererseits bestehen so gravierende Unterschiede, dass eine Ungleichbehandlung im rechtlichen Sinn nicht besteht. Das System bleibt aber unfair, besonders für ärmere Rentnerinnen und Rentner, deren Renten deutlich unter den durchschnittlichen Pensionen liegen. Als größter Sozialverband setzen wir uns jetzt weiterhin für den Inflationsausgleich für besonders arme Rentnerinnen und Rentner ein. Dass bei vielen der Eindruck der Ungerechtigkeit aufkommt, können wir als Sozialverband gut nachvollziehen.
Die Forderung nach einer Alterssicherung für alle, in die auch alle einzahlen, ist nicht neu, politisch aber offenbar nicht durchsetzbar. Warum?
Dass eine Rentenversicherung für alle Erwerbstätigen politisch durchaus machbar wäre, zeigt Österreich: Hier ist man den Weg gegangen, dass inzwischen wirklich alle Erwerbstätigen in die Rentenversicherung einbezogen werden, also auch Beamtinnen und Beamte sowie Selbstständige und Politikerinnen und Politiker. Es geht hier allein um den politischen Willen.
Der VdK hält das aktuelle Rentenniveau für zu niedrig, hält 50 Prozent, besser noch 53 Prozent für angemessen. Wie sollte das finanziert werden können?
Um die Finanzierung der DRV (Deutsche Rentenversicherung) langfristig zu sichern, muss aus Sicht des VdK konsequent sichergestellt sein, dass die gesamten versicherungsfremden Leistungen aus Steuermitteln finanziert werden. Aktuell werden rund 30 Prozent über den Bundeszuschuss finanziert. Da ist für den Bundeszuschuss noch deutlich Luft nach oben. Außerdem darf die Regierung nicht weiter dabei zuschauen, wie Menschen arbeiten, ohne sozialversichert zu sein. Sie muss dringend die Minijobs abschaffen. Jeder verdiente Euro stärkt die Rentenkasse. Je mehr Menschen einzahlen, desto stabiler ist die Alterssicherung. Selbstständige, Beamtinnen und Beamte, Abgeordnete, alle Erwerbstätigen müssen zusätzlich dieses System stärken – und ihm so eine sichere Basis für die Zukunft geben.“
„Politisch durchaus machbar“
Pläne der Bundesregierung sehen vor, die Haltelinie beim Rentenniveau (48 Prozent) über 2025 zu verlängern, die bei den Beiträgen (20 Prozent) aber nicht. Also höhere Beiträge?
Der VdK wird sich dafür stark machen, dass die Beiträge nicht steigen.
Diskutiert wird in der Bundesregierung auch ein sogenanntes „Generationenkapital“, also eine Variante der Aktienrente, um Belastungen abzufedern. Eine sinnvolle Idee?
Nein. Selbst Experten aus den eigenen Reihen der Ampelkoalition glauben nicht an das Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag und schlagen Alarm: Die Renditeaussichten bei dem angedachten Kapitalstock sind bescheiden. Diese „Wette auf die Zukunft“ kann richtig schiefgehen, daher muss der Staat andere Möglichkeiten nutzen, um für gute Renten zu sorgen, als in Aktien zu investieren. Wenn schwedische Aktienfonds in Deutschland in Pflegeeinrichtungen investieren, verteuert das die Pflege hierzulande. Dieses Beispiel zeigt, dass Gewinne am Aktienmarkt immer einen hohen Preis haben, den irgendwer bezahlen muss.
Kürzlich hat die Wirtschaftsweise Veronika Grimm vorgeschlagen, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln, heißt im Klartext: länger arbeiten, später in Rente. Hört sich das nicht plausibel an?
Wir lehnen eine Erhöhung der Regel-Altersgrenze generell ab. Schon heute schafft es nur eine Minderheit der Beschäftigten, Vollzeit bis 65 Jahre – geschweige denn länger – zu arbeiten. Eine weitere Erhöhung der Regel-Altersgrenze über 67 hinaus wäre somit eine reine Rentenkürzung. Diese trifft vor allem diejenigen, die in anstrengenden Jobs arbeiten und oft geringe Renten zu erwarten haben. Vielmehr müssen Menschen, die ein Leben lang in körperlich oder psychisch anstrengenden Berufen gearbeitet haben, früher in Rente gehen können. Denn die Realität sieht so aus: Ein Beamter mit gutem Verdienst und guten Arbeitsbedingungen lebt im Schnitt laut einer DIW-Studie vier Jahre länger als ein Arbeiter, der bis zur Rente am Fließband oder auf der Baustelle schuftet. Die Lebenserwartung ist daher nicht bei allen Berufsgruppen gleich und darf nicht an das Renteneintrittsalter gekoppelt werden.
Versorgung im Alter – die Situation in der Pflege ist bekannt: Personalmangel, steigende Preise, gleichzeitig steigender Bedarf. Sehen Sie eine Perspektive?
Pflege im Heim wird immer teurer. Im Schnitt rund 350 Euro mehr als im Vergleich zum Vorjahr mussten Pflegebedürftige und ihre Familien mit Stand zum 1. Juli für den Heimplatz zahlen. Für uns ist klar: Steigende Kosten in Pflegeheimen dürfen nicht allein auf die Bewohnerinnen und Bewohner zurückfallen. Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und muss solidarisch finanziert werden. Wir fordern daher den Umbau der Pflegeversicherung, die derzeit eine Zuschussversicherung ist, hin zu einer Vollversicherung, die alle pflegebedingten Kosten deckt. Investitionskosten der Heime müssen von den Ländern getragen werden, Ausbildungskosten müssen steuerfinanziert sein. Die Frage der Gewinnmaximierung von Heimbetreibern darf gar nicht erst aufkommen, Gewinne müssen gedeckelt werden. Hier ist noch viel Potenzial, um die Probleme bei der Pflege zu lösen.
„Mehr über Lösungen sprechen“
Eine Umfrage vor zwei Jahren hat gezeigt, dass das Vertrauen insbesondere der jüngeren Generation in die gesetzliche Rente sinkt. Hat sich das zwischenzeitlich gebessert?
Das Vertrauen vieler junger Menschen in eine anständige gesetzliche Rente ist schwer erschüttert. Wenn Experten zur Rente zitiert werden, dann oft damit, dass diese kaum mehr finanzierbar ist. Es wird Zeit, dass wir das Vertrauen zurückgewinnen und viel mehr über Lösungen für alle zur Stabilisierung der Rentenversicherung sprechen. Deshalb wiederhole ich unseren Lösungsvorschlag in Richtung einer Erwerbstätigenversicherung. Diese würde laut Studien der Universität Bochum kurzfristig zu Mehreinnahmen führen. Damit könnte der Übergang der Babyboomer in die Rente gut finanziert werden, ohne die junge Generation weiter zu belasten.
Bei einer Diskussion um die Rente ist ein Bezug auf den berühmten Satz von Norbert Blüm unvermeidlich: „Die Rente ist sicher“ (Wahlkampf 1986). Ist die Rente sicher?
Die Politik und wir alle zusammen können dafür sorgen, dass sie sicher bleibt. Dafür muss aber jetzt schleunigst an den richtigen Stellschrauben gedreht werden. Wir brauchen einen Kurswechsel, um die Rentenpolitik zu sichern und die Renten zu erhöhen.