Die demografische Entwicklung ist eine ebenso große Herausforderung wie Klimaschutz oder wirtschaftliche Transformation. Der Umgang mit einer schrumpfenden Bevölkerung wirkt sich in allen Lebensbereichen aus.
Die Deutschen werden älter und bleiben dabei länger gesund und fit. Eine Standardaussage, wenn es um die Beschreibung der demografischen Entwicklung und die Herausforderungen geht, die damit einhergehen.
Dass die Lebenserwartung der Menschen in Deutschland steigt, ist eine erfreuliche Entwicklung. Statistisch gesehen, kann ein heute geborenes Mädchen damit rechnen, 93 Jahre alt zu werden, Jungs immerhin 90 Jahre.
Das sagen zumindest heutige Prognosen. Aber mit Prognosen ist es auch bei der Demografie so eine Sache. Es ist noch nicht allzu lange her, dass man den Eindruck haben musste, dass Deutschland erst vergreist und sich dann in weiten Teilen zu einer menschenleeren Landschaft entwickelt. Die Beschreibung war etwas überspitzt, kennzeichnete aber eine Entwicklung, die sich seit Anfang der 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts abgezeichnet hat. Vor 50 Jahren gab es die entscheidende Wegmarke in der Entwicklung. 1972 war das erste Jahr, in dem die Zahl der Sterbefälle die Zahl der Geburten in der Bundesrepublik überstieg. Die Entwicklung hält bis heute an.
Die Geburtenziffer wird für das Jahr 2021 mit 1,58 angegeben. Um die Bevölkerungszahl stabil zu halten, wäre eine Geburtenziffer von 2,1 erforderlich.
Trotz dieser Entwicklung ist die Bundesrepublik mit 84,3 Millionen Einwohnern weiter das bevölkerungsreichste Land Europas – hinter Rußland mit 144 Millionen. Dass das Land nicht ausstirbt, ist der Migration zu verdanken. Knapp 24 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund im weitesten Sinn leben in der Bundesrepublik.
Deutschland stirbt nicht aus – dank Migration
Beim Blick in die Zukunft gehen die so genannten Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnungen (Statistisches Bundesamt) davon aus, dass die Bevölkerungszahl in Deutschland bis 2050 beziehungsweise 2060 sinken wird. Um wieviel, hängt von den unterschiedlichen Varianten der Berechnung ab. Deshalb handelt es sich auch nicht um echte Prognosen, die Vorausagen bis 2050, 2060, einige sogar bis 2070 liefern, sondern um Wenn-Dann-Rechnungen nach dem Motto: Wenn sich beispielsweise die Geburtenrate in einer bestimmten Richtung entwickelt, heißt das …
Allerdings hängt die Bevölkerungsentwicklung von derart vielen Faktoren ab, dass Voraussagen naturgemäß mit Zurückhaltung zu werten sind. Im Demografiebericht der Bundesregierung heißt es deshalb vorsorglich: „Ob Deutschlands Einwohnerzahl bis 2060 zurückgehen wird, ist aus bevölkerungswissenschaftlicher Sicht noch offen.“ Für verlässliche Voraussagen ist zu viel in Bewegung.
Das bringt für eine vorausschauende politische Planung einige Unwägbarkeiten mit sich. Und die betreffen dann alle Lebensbereiche.
Die Planung von Kitas und Schulen war beispielsweise lange darauf ausgerichtet, mit sinkenden Geburten- und Bevölkerungszahlen zu planen. Die Zahlen haben sich aber geändert, die Geburtenrate stieg leicht – und sinkt seit 2022 wieder –, gleichzeitig stieg aber der Anteil ausländischer Kinder an Schulen (unabhängig vom Krieg in der Ukraine).
Auch die Polizei hat sich teilweise in den Planungen auf eine zurückgehende Bevölkerungszahl eingestellt. Gleichzeitig sind aber neue Deliktsfelder entstanden, die im Zusammenhang mit einer älter werdenden Bevölkerung stehen, beispielsweise der „Enkeltrick“.
Für die öffentliche Planung braucht es die statistischen Grundlagen über die Bevölkerungsentwicklung. Demografischer Wandel ist aber weitaus mehr als nur eine zahlenmäßige Entwicklung der Bevölkerung.
Gleichwertige Lebensverhältnisse
Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) hat im vergangenen Jahr eine Veröffentlichung mit dem vielsagenden Titel „Demografischen Wandel neu entdecken“ vorgelegt und verspricht dabei „bislang unbekannte Perspektiven“ auf den demografischen Wandel insbesondere der letzten drei Jahrzehnte.
Ziel war es, die „innere Vielfalt“ der demografischen Entwicklung aufzuzeigen. Das Land wird „älter, bunter und individueller“. Die Studie auf der Basis einer Sonderauswertung des Mikrozensus 2021 zeigt über viele Lebensbereiche von Bildung über Mobilität, Erwerbssituation und Familienstand bis Lebensform, wie dynamisch sich die Gesellschaft in Deutschland entwickelt hat, und dass es zur Beschreibung kein einfaches Modell gibt. Das zeigt sich auch in den unterschiedlichen regionalen Entwicklungen und in den Auswirkungen in fast allen Politikfeldern.
Zunehmend hochbetagte Menschen bedeutet zugleich einen zunehmenden Bedarf an Pflege und im Gesundheitsbereich. Die Herausforderungen sind bekannt, neben der Fachkräftesituation ist die Finanzierung mit die schwierigste Frage. Gefragt sind aber auch kreative neue Modelle im Zusammenspiel vor Ort in den Kommunen zwischen unterstützenden Familien, sozialen Einrichtungen, Pflege und medizinischer Versorgung.
Eine schrumpfende Bevölkerung ist zugleich eine Herausforderung für die Daseinsvorsorge, um Abwanderungstendenzen entgegenzuwirken.
Um ein Auseinanderdriften der Regionen zu vermeiden, hat die vorherige Bundesregierung bereits 2018 die „Kommission gleichwertige Lebensverhältnisse“ ins Leben gerufen. Die hat 2019 fünf zentrale Ziele formuliert, von der gerechten Verteilung von Ressourcen und fairer Teilhabe in allen Teilen des Landes über die Verringerung von Disparitäten bis dazu, „die traditionelle Stärke Deutschlands mit seiner dezentralen Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur auch in Zeiten des Wandels zu erhalten“.
Dazu sollte ein „Modernisierungsprogramm für das ganze Land“ aufgelegt werden. Gemeint war damit: „Vor allem Arbeitsplätze, bezahlbarer Wohnraum, zeitgemäße Mobilitätsangebote, eine starke digitale Infrastruktur, leicht erreichbare Einkaufsmöglichkeiten, eine gute Versorgung mit sozialer Infrastruktur wie Kitas, Schulen, Pflege- und Gesundheitseinrichtungen sowie lebendige Sport-, Kultur- und Freizeitangebote“.
Für viele sind Digitalisierung und die Nutzung von KI Schlüsseltechnologien bei der Gestaltung einer schrumpfenden Gesellschaft. Insbesondere sollen sie helfen, den Mangel an Fachkräften in vielen Bereichen von der öffentlichen Verwaltung bis zum Gesundheitssektor aufzufangen.
Auch eine geänderte Zuwanderungspolitik gilt als Baustein, um den Folgen der demografischen Entwicklung zu begegnen.
In der Familienpolitik haben die jüngsten Diskussionen um Elterngeld oder Kindergrundsicherung gezeigt, wie schwer sich die Bundesregierung tut, notwendige Mittel zur Verfügung zu stellen. Das gilt auch für andere, bereits beschlossene Maßnahmen wie etwa das Recht auf Ganztagsbetreuung, zunächst in Kitas, dann auch Schulen. Sinnvolle Maßnahmen, für deren konsequente Umsetzung aber erhebliche Mittel erforderlich sind. Um die wird nach den Krisenjahren, die milliardenschwere Hilfsprogramme erfordert haben, und angesichts der aktuellen Herausforderungen – Folgen des Krieges in der Ukraine, Inflation, wirtschaftliche Stagnation – intensiv gerungen. Und viele Projekte im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel geraten finanziell in Gefahr.
In der öffentlichen Wahrnehmung mögen derzeit die Themen Klimaschutz und Transformation der Wirtschaft besondere Aufmerksamkeit genießen, die demografische Entwicklung bleibt aber eine mindestens ebenso zentrale Herausforderung für den gesellschaftlichen Zusammenhang.