Klima- und Umweltschutz haben höchste Priorität. Wirtschaftswachstum, bezahlbarer Wohnraum und vieles mehr aber auch. Interessenkonflikte sind vorprogrammiert – auch innerhalb der Bundesregierung.

Ende August war es vor der Ostseeküste wieder mal so weit, die Energiesicherheit für den kommenden Winter soll auf noch solidere LNG-Beine gestellt werden. Das Pipeline-Verlege-Schiff Castoro 10 ist vor Rügens Küste eingetroffen. Doch weder trällert begeistert ein Shanty-Chor beim Eintreffen der Castoro im Hafen von Mukran alte Seemannslieder, noch wird die Mannschaft von irgendwelchen Politikern herzlich willkommen geheißen. Im Gegenteil, die Freude über die Ankunft des Verlege-Schiffes bei der Bevölkerung auf Deutschlands größter Insel ist nicht nur verhalten, sondern es gibt seit Monaten massiven Protest.
Vorbei die Zeiten, als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit seinem Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) die ersten schwimmenden Flüssiggas-Bautrupps persönlich bei Nieselregen und Sturm empfangen hat. Nicht mal zwölf Monate ist das her.
Neben den Bürgerprotesten hat auch die Gemeinde Binz genau einen Tag vor Ankunft der Castoro Klage eingereicht. Das Bundesverwaltungsgericht soll die geplante und vom Bundeswirtschaftsministerium teilweise schon genehmigte 50-Kilometer-LNG-Pipeline von Mukran auf Rügen zum Gasknotenpunkt Lubmin verbieten und einen sofortigen Baustopp erteilen. Damit bräuchten die beiden noch erwarteten Spezial-Schiffe, die das flüssige Gas wieder in seinen ursprünglichen Aggregatzustand zurückverwandeln sollen, vor Rügen gar nicht erst vor Anker zu gehen. Ohne die Pipeline kann das Gas nicht eingespeist werden. Eine mögliche juristische Niederlage wäre für Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der in der Bundesregierung ja auch für den Klimaschutz zuständig ist, politisch ein Problem.
Klagen gegen LNG-Pipeline
Habeck hat in einem ministerialen Schreiben aus Berlin die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin aufgefordert, das Genehmigungsverfahren für die beiden weiteren LNG-Umschlag-Terminals inklusive 50 Kilometern Pipeline vor Rügen zu beschleunigen. Mecklenburgs Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) verweist auf das rechtsstaatliche Genehmigungsverfahren, auf das die Landesregierung keinen Einfluss habe, lässt aber ihre Zurückhaltung erkennen: „Man sollte solche Projekte nicht gegen die Bevölkerung durchsetzen“, erklärte sie im NDR-Sommerinterview. Schwesig verwies auf den für die Insel wichtigen Tourismus. Eine LNG-Anlage dürfe es nur als Zwischenlösung geben, um eine Gas-Notlage zu vermeiden. Angesichts inzwischen wieder ziemlich gefüllter Gasspeicher stelle sich aber die Frage, ob das nötig sei. Habecks Staatssekretär verwies aber auf die weiterhin angespannte Lage auf den Energiemärkten. Für Energieminister Habeck ist es nur eine der vielen Baustellen.
Schon lange dringend benötigte Stromautobahnen werden durch örtlichen Protest und Einspruch zumindest erheblich verzögert, nicht anders beim Ausbau von Windenergie- und auch Solaranlagen. Energiesicherheit, Klima- und Naturschutz unter einen Hut zu bringen ist keine einfache Sache, räumt der Minister ein. Wirtschaftsinteressen und Klimaschutz in einem Ressort zusammenzubringen, ebenfalls nicht. Es bleibt wie die berühmte Quadratur des Kreises widersprüchlich.
Mit ähnlichen inneren Widersprüchen hat auch Kabinettskollegin Klara Geywitz zu kämpfen. Die Bundesbauministerin soll schnelles und preiswertes Bauen vorantreiben – und gleichzeitig dabei für nachhaltigen Klimaschutz im Gebäudebereich sorgen.
Der Gebäudesektor hängt (mit dem Verkehrssektor) weit hinter den selbstgesteckten CO2-Einspar- und damit Klimaschutzzielen zurück. Gleichzeitig hatte die Bundesregierung angesichts des Mangels an bezahlbarem Wohnraum den Bau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr angekündigt. Aber auch dieses Ziel wurde verfehlt. „Wegen der hohen Zinsen gibt es kaum neue Aufträge und eine richtige Schockstarre in der Branche“, erklärte Geywitz am Tag der offenen Tür in der Bundespressekonferenz dem Publikum. Und sie räumt ein, dass die ambitionierten Klimaschutzauflagen im Baubereich auch zu den steigenden Baupreisen mit beitragen würden. Darum empfiehlt die Bundesbauministerin nun Anpassungen bei den Baustandards.Deutschland tendiere dazu, immer die Goldstandardlösung anzustreben. „Aber es geht auch darunter“, meinte die Ministerin. Was auch heißen könnte, Klimaschutzauflagen bei Neubauten zurückzufahren. Doch Klara Geywitz ist klug genug, dies nicht offen zu formulieren. Es gab schon genug Streitigkeiten in der Ampel, da will die 47-jährige Potsdamerin nun nicht auch noch einen weiteren öffentlich von Zaun brechen.
Konflikte vorprogrammiert
Doch die Bauindustrie-Verbände, egal aus welchem Gewerk, kritisieren die hohen Auflagen schon seit den ersten Ampeltagen, nachdem die neuen Klimavorschriften fürs Bauen vorgestellt wurden. Dabei ist die Debatte um klimagerechtes Bauen nur ein Teil der anstehenden Aufgaben für die Bundesbauministerin. Es geht auch um den immensen Flächenverbrauch für neuen Wohnraum. Jede grüne Wiese, die mit Wohnungen und damit auch Straßen versiegelt wird, hat nicht zu unterschätzende Auswirkungen auf die Umfeld-Erwärmung. Auch begrünte Hausdächer werden das nicht wirklich absorbieren können.

Bestes Beispiel ist da Berlin. In den über 30 Jahren seit dem Mauerfall ist die Berliner Innenstadt im Durchschnitt um zwei Grad wärmer geworden – obwohl die Luftverschmutzung durch CO2 und Kohlenmonoxyd im gleichen Zeitraum durch die beinahe völlige Deindustrialisierung der Stadt abgenommen hat. Grund für die erhebliche Stadterwärmung ist, dass alle großflächigen Brachen vom Potsdamerplatz über das Regierungsviertel bis zur Euro-City zu einem großen Teil mit Hochhäusern komplett versiegelt wurden.
Will also Bauministerin Geywitz das Ziel von jährlich 400.000 neuen Wohnungen erfüllen, geht sie automatisch auf Konfliktkurs zu Klimaschutzzielen. Irgendwo müssen die Häuser dafür gebaut werden. Wohnungen werde vor allem in den Ballungsräumen gebraucht, aber die Innenstädte sind bereits weitgehend verdichtet, dort gibt es kein freies Bauland mehr. Bleibt am Ende doch nur die grüne Wiese am Stadtrand. Argument der Naturschützer: Wenn schon Stadtrandlagen bebaut werden sollen, dann aber ökologisch anspruchsvoll, also am liebsten emissionsneutral und aus Holz. Doch damit würden die Neubauwohnungen in der Erstellung erheblich teurer, als das beim klassischen Plattenbauverfahren mit Beton der Fall ist. Klimaschutz und bezahlbarer Wohnungsneubau scheint damit beinahe ein Widerspruch in sich zu sein, den auch Bundesbauministerin Klara Geywitz nicht wird lösen können.