DLRG-Rettungsschwimmer hat jeder schon mal gesehen: Sie halten Wache an Stränden und in Bädern und eilen zur Hilfe, wenn es nötig ist. Dass das Retten auch ein Leistungssport ist, wissen die wenigsten.
Sebastian Walle ist hoch konzentriert. Er steht, nach vorn gebeugt, auf einem Startblock und wartet auf das Signal. Als es ertönt, stürzt sich der zwei Meter lange Hüne ins Wasser und pflügt dieses mit einer Energie um, als wolle er das Becken alleine leerschaufeln. Plötzlich taucht er ab und wenig später wieder auf – mit einer Puppe im Schlepptau. Sebastian Walle ist Rettungssportler bei der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG). Zurzeit der erfolgreichste im Saarland.
Rettungssport? „Die wenigsten wissen, was wir überhaupt machen“, weiß wiederum Reiner Frey und erklärt: „Das liegt sicher auch daran, dass unsere Sportart nicht olympisch ist, was uns mehr finanzielle Möglichkeiten eröffnen würde.“ Frey ist seit 2012 der Landestrainer des DRLG Landesverbandes Saar. Das Jahr 2022 war bisher sein erfolgreichstes. Der DLRG-Schriftzug, der auf Booten, an Schwimmbädern oder Strandbädern die Einsatzstellen von Rettungsschwimmern anzeigt, ist vielen Menschen geläufig. Doch nur die wenigsten wissen, dass neben Medizin, Ausbildung und Einsatz von Rettungsschwimmern auch der Rettungswettkampf zum DLRG-Portfolio gehört.
Keine olympische Sportart
Über die schnellstmögliche Fortbewegung hinaus orientieren sich die Disziplinen in Becken und im Freiwasser an realistischen Einsatzszenarien: Schwimmstrecken werden als Hindernisparcours mit Tauchelementen bewältigt, es müssen schwere Puppen im Wasser gerettet werden – teilweise unter Einsatz spezieller Utensilien wie dem Gurtretter und mal mit, mal ohne Flossen – in jedem Fall aber mit der richtigen Technik. Auch in Freigewässern wird gerettet. Mit Rettungsski und Rettungsboard mit der Uhr und/oder Kontrahenten im Nacken. Hinzukommen weitere Disziplinen wie das Strandlaufen und Mehrkämpfe mit unterschiedlichen Kombinationen. Die Königsdisziplin im Freigewässer nennt sich „Ocean Man“ beziehungsweise „Ocean Woman“.

Nicht wenige der saarländischen Rettungsschwimmerinnen und -schwimmer sind talentiert und nehmen an nationalen wie internationalen Wettkämpfen teil. Die meisten gehören der DLRG-Ortsgruppe Völklingen an, die ebenfalls von Reiner Frey trainiert wird. So sorgten die Völklinger Mannschaften der Altersklassen 13/14 und 17/18 vor einem Jahr als Deutsche Mannschaftsmeister für Aufsehen: Die 17- und 18-Jährigen mit Alina Wagner, Johanna Seilner, Hannah Sophea Kube, Nika Abashev und Christina Lang landeten daraufhin bei der „Saarsportler“-Wahl 2022 in der Kategorie „Mannschaft des Jahres“ hinter Fußball-Zweitliga-Aufsteiger SV Elversberg auf Platz zwei. „Es gibt natürlich auch andere Ortsgruppen im Saarland, die gute Nachwuchsarbeit leisten. Beispielsweise Siersburg“, betont Frey. Neben Völklingen und Siersburg senden auch die DLRG-Ortsgruppen St. Wendel und Wadgassen Athletinnen und Athleten zur Deutschen Mehrkampf-Meisterschaft, die am 27. und 28. Oktober in Hannover ausgetragen wird.
Dort wird auch Sebastian Walle mitmischen. Seinen Platz an der Speerspitze des DLRG-Sports im Saarland hat er sich durch viel Eigeninitiative hart erarbeitet. Angefangen in einem der vielen DLRG-Schwimmlernkurse für Kinder. Später nahm er mit der DLRG Völklingen in der Altersklasse bis zwölf Jahre an seinen ersten Mehrkampfmeisterschaften im Rettungsschwimmen teil. Mit 14 wurde er zum ersten Mal Saarlandmeister seiner Altersklasse und qualifizierte sich auch im Einzel für die Deutschen Meisterschaften. Ein Schlüsselerlebnis für den Zwei-Meter-Mann. „In dem Moment hatte ich Blut geleckt. Ich habe mein Trainingspensum gesteigert, ging ernsthafter zur Sache und habe mir konkrete Ziele gesteckt.“ Der reine Schwimmsport, dem er zeitweise parallel in einem Schwimmverein nachging, habe ihn „nie so gefesselt wie der Rettungssport. Hier ist einfach viel mehr Action im Wasser. Man muss mit unterschiedlichen Geräten hantieren, hat viele Disziplinen, und alle machen unheimlich viel Spaß. Es ist einfach ein geiler Sport.“
Nach einem Sichtungslehrgang 2016 wurde Walle erstmals in den Bundeskader berufen, 2019 holte er mit der deutschen Junioren-Nationalmannschaft bei den Europameisterschaften im italienischen Riccione sieben Medaillen. In zwei Disziplinen wurde er mit seinem Team sogar Staffel-Europameister. Auch der World Cup-Sieg im September 2022 gelang ihm im dortigen Schwimmstadion. Bei den Deutschen Einzelstreckenmeisterschaften Anfang Mai in Stuttgart holte er über die Disziplin „100 Meter Retten mit Flossen und Gurtretter“ die Bronzemedaille. Wenn Walle, der aus der Gemeinde Großrosseln stammt und in Emmersweiler wohnt, nicht gerade schwimmt und rettet, studiert und arbeitet Sebastian Walle im Rahmen seines dualen Fitnessökonomie-Studiums an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) und beim Landessportverband für das Saarland (LSVS). Künftig möchte er noch den Master in Sportökonomie dranhängen.
Erfolgreiche Athleten
„Ich sage mal so: Er ist eines unserer Eigengewächse, aber er hat nie von Talent gelebt“, sagt Trainer Reiner Frey über seinen Schützling und findet: „Er ist vielmehr ein Paradebeispiel dafür, dass Talent allein nicht ausreicht, um etwas zu erreichen. Sebastian profitiert von seiner Größe, ist aber auch extrem fleißig, zielstrebig, zeigt Eigeninitiative und hat stets dem vertraut, was wir ihm vorgegeben haben.“ Noch vor den Deutschen Mehrkampf-Meisterschaften geht Walle Mitte September bei den Europameisterschaften im belgischen Brügge an den Start. Das große mittelfristige Ziel ist die Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2024 in Australien.
Das gilt auch für das wohl größte weibliche Talent der saarländischen Rettungsschwimmer-Szene: Johanna Seilner aus Schwalbach. Die 18-Jährige wurde jüngst in die Sportfördergruppe der Bundeswehr aufgenommen – laut Frey als erste Rettungsschwimmerin im Saarland überhaupt. Grundlage dafür waren die starken Leistungen und vorderen Platzierungen bei den offenen, also auch mit internationalen Topathletinnen besetzten Deutschen Einzelstrecken-Meisterschaften 2023, wo sie in fünf Disziplinen an den Start ging und viermal das A-Finale, also die Endrunde der besten Acht, erreichte. Nach dem Abi im Frühjahr 2023 bot sich ihr diese Chance und Seilner packte sie beim Schopf.
Ihre Grundausbildung wird sie in Hannover absolvieren und ab 1. Januar 2024 in Warendorf wohnen und trainieren. „Wir hatten das so nicht erwartet, aber das ist natürlich super“, freut sich Frey: „Sie ist sehr talentiert und wollte es unbedingt und kann sich nun voll auf den Sport konzentrieren. Sie ist ohnehin sehr trainingsfleißig und fokussiert. Ich bin sicher, dass sie große Fortschritte machen wird.“ Mit Katharina Seilner steht auch schon Johannas jüngere Schwester in den Startlöchern für eine erfolgreiche Rettungssport-Karriere. Sie gehört wie ihre ältere Schwester und Sebastian Walle schon dem Bundeskader an – und das als jüngste Athletin überhaupt. Der Rettungssport im Saarland steht demnach wohl vor einer erfolgreichen Zukunft.