Der Geschmack von Wein ist unbeschreiblich – Warum versuchen manche es trotzdem?
In vino veritas! Ob die alten Lateiner ihre Erkenntnis auch auf die heutigen professionellen Weinbeschreibungen ausgedehnt hätten, erscheint fraglich. Obwohl wir als Spross einer Weinfamilie den Rebensaft schon mit der Muttermilch aufgesaugt und seitdem schon so manche Flasche geleert haben, fehlt uns bis heute wohl die fachkundige Zunge, um all die Geschmacksbeschreibungen der Weinverkäufer immer nachvollziehen zu können.
In Onlineportalen haben die fantasievollen Händler meist lateinisch klingende Namen. Mehr wollen wir wegen der Sicherstellung unserer weiteren Versorgung nicht verraten, sonst bekommen wir Ärger mit Vicampo, weil Vinos, Vinzery und Hawesko möglicherweise öfter erwähnt werden als Weinheld und Belvini.
In ihren Angeboten lesen wir jedenfalls über einen spanischen 2019er-Garnacha, dass er mit seinem „herrlich saftigen Duftstrauß nach reifen dunklen Früchten wie Brombeeren und Pflaumen, aber auch asiatischen Gewürzen“ für ein „Super-Frucht-Erlebnis am Gaumen und einen mundfüllenden Nachhall“ sorgt. Und über einen roten 2022er-Spanier namens Lumos, dass er „intensive Noten hat von Brombeeren, Schwarzkirsche und Zwetschge bis hin zu Lakritz, Lorbeer und einem Hauch von Veilchen“.
Nachdem wir drei Flaschen dieses Weines geleert hatten und danach fest überzeugt waren, sogar die Kernchen der Brombeeren zwischen den Zähnen zu spüren, konnten wir immer noch nicht den „Hauch von Veilchen“ herausschmecken. Eine vierte Flasche musste her, die wir allerdings nicht bei vollem Bewusstsein überstanden haben.
Bei anderen edlen Tropfen fahndeten wir vergeblich nach den versprochenen Anklängen an Schokolade, Kakao und Vanille. Unentdeckt blieben uns auch der angepriesene „Duft von Zedernholz“, den wir sonst von Strandspaziergängen am Mittelmeer kennen, und der „Hauch von Tabak“, der uns als Nichtraucher ohnehin vom weiteren Kauf dieses Weines abhalten würde.
Da auch das Auge mittrinkt, versprach man uns bei Rotweinen oft schon ein „funkelndes Violett“ oder bei Weißen „strohgelbe Reflexe“, die nach mehreren kräftigen Schlucken auch tatsächlich zu einer deutlich sichtbaren Rötung unserer Augen geführt haben.
Noch fruchtig-blumiger als bei Rotweinen geht es bei den Weißen zu: Ein Verdejo aus dem Jahr 2022 wird da angepriesen mit seinem „exotischen Bouquet nach Passionsfrucht, Ananas, Melone und Pfirsich, untermalt vom Duft einer Sommerwiese und einem Hauch von Anis“. Oder ein Spanier namens La Orphica, der „frische Noten von Limette und Grapefruit, gepaart mit Nuancen von reifen Pfirsichen, Stachelbeeren und Orangenblüten“ aufweist.
Außerdem finden wir in den schwärmerischen Geschmacksbeschreibungen noch Früchte wie Quitte, Nektarinen, Mirabellen, Zitronen und Stachelbeeren oder auch Kräuter- und Gewürznelken. Von Trauben hört man dagegen eher wenig. Wir wundern uns, dass bisher noch niemand Bananen herausgeschmeckt hat. Das könnte bestimmt manchen überzeugten „Banane-Weizen“-Trinker zum Traubensaft bekehren.
Weingenuss ist offenbar auch ein akustisches Erlebnis: So heißt es über eine 2019er-Rioja-Crianza: „Aromen von Vanille, Kakao und Schokolade erzählen von der Holzfassreife!“ Und in der Tat haben die beiden im Alleingang konsumierten Flaschen noch am nächsten Tag mit uns gesprochen, wobei die einseitige Kommunikation allerdings nicht übers Ohr, sondern über Schädel und Magen-Darm-Trakt erfolgt ist.
So sehr uns diese üppigen Wein-Profile die Kaufentscheidung erleichtern, so wenig hilfreich finden wir den Tipp: „Geben Sie dem Wein gut Luft oder dekantieren Sie ihn eine Stunde vorm Genuss!“ Leider gestatten unsere trinkfreudigen Gäste meist weder uns noch dem Wein Zeit zum Luftholen. Einen einmaligen Dekantier-Versuch mussten wir sogar abbrechen, weil man uns die gerade entkorkte Flasche gierig aus der Hand gerissen hat.
In vino veritas? Das geht Weinhändlern runter wie Öl! Vielleicht mit einem leichten Anklang an Schwindelei, einer Nuance Show und einem winzigen Hauch Selbstbeweihräucherung.