Seit Monaten feiert die rechtsextreme AfD Umfragerekorde. Ratlosigkeit darüber macht sich vor allem bei der CDU breit. Vor allem, wo genau die Brandmauer von Friedrich Merz steht, ist derzeit unklar.
CDU-Fraktions- und Parteichef Friedrich Merz ist für einen knackigen O-Ton immer gern zu haben. Doch an diesem Donnerstag ist Merz für ein Statement nicht zu erreichen. Auch sein Generalsekretär Carsten Linnemann mag Mikrofone und Kameras nur zu gern. Doch auch ihm liegt das anstehende Thema nicht. Wieder mal gibt es für die CDU betrübliche Nachrichten aus der thüringischen Landeshauptstadt. Im Erfurter Landtag hat die CDU eine Gesetzesinitiative zur Senkung der Grunderwerbsteuer um anderthalb Prozent eingebracht. So weit, so unspektakulär. Doch die oppositionelle CDU hat ihr Vorhaben gegen die rot-rot-grüne Landesregierung durchsetzen können: mit den Stimmen der FDP und, entscheidend, der AfD. Kein Wunder, dass weder Friedrich Merz noch Carsten Linnemann an so einem Tag für irgendjemanden zu erreichen sind.
Wieder Ärger in Thüringen
Thüringen scheint für die CDU zu einem Menetekel zu werden. 2020 ließ sich der Thüringer FDP-Chef Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten wählen – mit den Stimmen der AfD und der CDU. Die damalige CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer reiste daraufhin extra an, um die dortige Landes-CDU zur Räson zu bringen. Vergeblich. Erst nach Druck der Bundes-FDP trat Kemmerich wieder zurück.
Genau diese Episode hat der heutige CDU-Chef wohl nicht vergessen. Mittlerweile regiert in Erfurt Ministerpräsident Bodo Ramelow von den Linken in der dritten Legislaturperiode in einer Minderheits-Regierung. Linke, SPD und Grüne können ohne fremde Hilfe keine Gesetze im Parlament verabschieden. Hilfe kommt von der CDU, die in dem Fünf-Parteien-Parlament in Erfurt die Oppositionsführung stellt.
Ministerpräsident Ramelow ist auf das Wohlwollen der CDU angewiesen. Bislang hat das, erstaunlich geräuschlos, halbwegs geklappt. Umgekehrt steckt die CDU in Thüringen damit in einer politischen Zwickmühle. Bei der Bevölkerung kommt an, die Landes-CDU ist zwar Oppositionsführer im Landtag, aber irgendwie auch Regierungspartei, denn sie stimmt mit Linken, SPD und Grünen oft gemeinsam ab. Zum Beispiel über den anstehenden Landeshaushalt von Thüringen für das kommende Jahr, vermutlich im Dezember. Die Haltung von FDP und AfD im Landesparlament ist klar: Beide Parteien stimmen gegen die Bewilligung des Landeshaushalts, deshalb kommt es erneut auf die CDU an. Stimmen die Christdemokraten ebenfalls gegen den Finanzplan der Minderheitsregierung, wird es heißen, erneut machen CDU und AfD gemeinsame Sache und blockieren die Zukunft Thüringens. Stimmt die CDU zu, dann wird ihre Rolle als profilscharfer Oppositionsführer in Thüringen weiter verwässert und infrage gestellt. Egal was Thüringens CDU- und Fraktionschef Mario Voigt und seine Parteifreunde im Landtag auch machen, es wird zu Kritik führen.
Die entscheidende Frage, trotz der Abwiegelungen von Merz, lautet: Wie hält es die CDU mit der AfD? Dabei hat Merz in einem ZDF-Interview zwar seine „Brandmauer“ gegenüber der AfD erneuert, gleichzeitig einer pragmatischen Tolerierung von gesetzgeberischen Initiativen auf lokaler Ebene einen Freifahrtschein erteilt. „Wenn dort ein Landrat, ein Bürgermeister gewählt wird, der der AfD angehört, ist es selbstverständlich, dass man dann nach Wegen sucht, wie man dann in dieser Stadt weiter gemeinsam arbeiten kann“, so Merz Ende Juli.
Der Aufschrei kam sofort und der CDU-Vorsitzende dementierte umgehend, er sei diesbezüglich missverstanden worden. Keine Zusammenarbeit mit der AfD in Kommunen, Land und schon gar nicht im Bund. Dann, nach der Steuersenkungsinitiative in Thüringen: Man schaue nicht nach anderen, die womöglich einem Vorschlag zustimmen würden, „wir machen unsere eigenen Vorschläge“, so Merz.
Daniel Günther, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, regiert sein Land ohne Zwischenrufe der AfD. Diese hat es nicht in den Landtag geschafft. Entspannt kann er daher ein „wie auch immer geartetes Zusammenarbeiten“ mit der AfD ausschließen. Merz hält dies für eine „Einzelmeinung“ in der CDU. Auch der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst, erlaubt sich diese Einzelmeinung und sagt, als Konservativer gelte: „Ich bilde keine Mehrheiten mit Extremisten.“ Und das unermüdlich twitternde CDU-Urgestein Ruprecht Polenz warnt mit schöner Regelmäßigkeit vor dem rechtsextremistischen Gedankengut, das sich über die AfD den Weg in die bürgerliche Mitte bahnt.
CDU von kommunaler Realität überholt
Die Realität hat die CDU längst überholt. Längst gibt es eine Zustimmung oder zumindest Annäherungen anlässlich ganz konkreter Anliegen auf Gemeinde- und Kreisebene – und das quer durch die Parteienlandschaft, aber mit hohem Ost-CDU-Anteil. In Sachsen bildet ein parteiloser, den Grünen zugeneigter Gemeinderat aus Gohrisch mit zwei Gemeinderäten von AfD und CDU eine Fraktion. In Plauen entzog die CDU im Stadtrat zusammen mit den Stimmen der AfD und der Neonazi-Partei „III. Weg“ einem Demokratieprojekt die Gelder. Im Dezember letzten Jahres stimmte die SPD im thüringischen Hildburghausen mit der AfD für ein Abwahlverfahren gegen den Bürgermeister der Linken.
Aber auch auf Landesebene haben in den letzten Jahren die demokratischen Parteien und die AfD zusammen abgestimmt – ob gewollt oder nicht. Im September 2020 beantragte die Baden-Württemberger SPD im Landtag die Duldung integrierter Asylsuchender zu prüfen. Dagegen stimmte die schwarz-grüne Regierungskoalition gemeinsam mit der AfD, der Antrag scheiterte.
Seit Jahren wird von allen Parteien immer wieder angekündigt, die offen rechtsextrem auftretende Konkurrentin inhaltlich zu stellen. Doch das gestaltet sich offenbar schwieriger als gedacht. Die ursprüngliche Partei der Professoren ist in den zehn Jahren ihres Bestehens zu einer umfassenden Dagegen-Partei mutiert. Mittlerweile aber hat sie einige ihrer Positionen aus Gründen der Wählbarkeit entschärft: Der Euroraum und die Europäische Union soll umgebaut werden, ein „Dexit“ ist nur noch die letzte Option. Das ist übrigens eine bewährte Strategie anderer rechter Parteien; ähnlich taktiert auch der französische Rassemblement National von Marine Le Pen und schaltet von schroffer Ablehnung auf etwas sanftere EU-Skepsis um. Auch die Schwedendemokraten setzten im Europawahlkampf 2019 auf einen deutlich weicheren EU-Kurs.
Ähnliches geschieht derzeit in der AfD. Und sie muss offenbar nur warten, bis ihre einfachen Parolen, ständig wiederholt, bei den Wählerinnen und Wählern verfangen. Von einer CDU unter Friedrich Merz hat sie erst einmal nichts zu befürchten.