Luxemburg kämpft mit dem überbordenden Verkehr – an vielen Stellen erfolgreich, an anderen Stellen weniger gut. Das Auto greift die Regierungskoalition bislang nicht an, auch nicht der bisherige Verkehrsminister von den Grünen, François Bausch.
Banken- und Versicherungstürme, Ministerien, Teile der Universität, der Europäische Gerichtshof, der Europäische Rechnungshof und die Europäische Investitionsbank – das Kirchberg-Plateau überragt die Stadt Luxemburg, in seiner Bedeutung weit über die Landesgrenzen hinaus. Hier oben ist der Verkehr nicht ganz so dramatisch wie weiter unten, im engen Zentrum der alten Stadt, vor dem Gare Lëtzebuerg. Die Straßen sind breit, trotzdem gibt es kaum öffentlichen Parkraum, denn hier hat fast jedes Gebäude seine Tiefgarage. Fast schon verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit, im 16. Stock des European Convention Centers, blickt Mobilitätsminister François Bausch mit einiger Genugtuung über die Stadt, die sich über Hügel und Täler vor ihm ausbreitet.
Als erster Minister setzte er durch, dass der öffentliche Personennahverkehr eines ganzen Landes kostenlos wird. Ein Paukenschlag für Europa, plötzlich richteten sich alle Augen auf das kleine Land mit seinen gerade mal 660.000 Einwohnern. Um die Hauptstadt fit für die Pendlermassen zu machen, hat Luxemburg als eine der wenigen europäischen Hauptstädte das Experiment gewagt. Die Luxemburger Tram fährt mittlerweile quer durch die Stadt, im Drei-Minuten-Takt. 100.000 Passagiere befördert sie täglich, vorher waren es 15.000. Das entlastet die Straße, aber nicht die Staatskasse. Kostenpunkt des gelungenen Experiments: 500 Millionen Euro pro Jahr, getragen vom Steuerzahler. Die Summe kam jedoch nicht über Nacht. Schon zuvor waren viele Tickets subventioniert oder ganz kostenfrei, die Mehrkosten eines nun seit drei Jahren komplett kostenfreien Systems belaufen sich für den Steuerzahler auf gerade mal 41 Millionen Euro.
„Und gerade weil der Transport kostenfrei ist, muss er qualitativ hochwertig sein, damit er funktioniert und angenommen wird“, sagt Bausch. „Ein guter Kundendienst sozusagen.“ Zum Kundendienst gehören sollen bald digitale Tafeln an den Haltestellen. Sie können anzeigen, welche Wagen der nächsten Bahn schon voll sind und in welchen noch Platz ist – damit sich die Fahrgäste schon mal darauf einrichten können. Erweitert werden soll die Tram bis zum Luxemburger Flughafen.
Auch dieser spielt eine wichtige Rolle im Verkehrskonzept der Luxemburger Regierung. Er ist einer von gleich drei regionalen Flughäfen in der Umgebung: Da wäre Hahn, der neuerdings dem rheinland-pfälzischen Geschäftsmann Peter Adrian und dessen Triwo AG gehört, mit deutlichem Investitionsstau; der Flughafen Saarbrücken, der vom Saarland aus gesehen als unverzichtbarer Standortvorteil im Wettbewerb mit anderen Regionen in Deutschland gesehen wird, international aber kaum von Bedeutung ist. Und Luxemburg, das einzige große internationale Drehkreuz der Region mit vier Millionen Passagieren und 975.000 Tonnen Luftfracht pro Jahr. Seine Bedeutung soll nach Ansicht von Bausch weiter wachsen. „Wir haben noch Kapazitäten“, sagt er.
Dennoch bleiben Nadelöhre, vor allem für den Individualverkehr. Das mit prognostizierten 2,5 Prozent pro Jahr wachsende Bruttoinlandsprodukt von Luxemburg zieht deutliche Konsequenzen nach sich. Eine davon: Luxemburgs Wirtschaft braucht mehr Arbeitskräfte, als das Land an Einwohnern zu bieten hat. Die Folge: Staus durch 200.000 Einpendler jeden Tag über alle Grenzen mit den drei Nachbarländern Belgien, Deutschland und Frankreich. Die A 3, eine der Hauptverkehrsadern Luxemburgs, soll trotz hoher Investitionen in den Bahn- und Tramverkehr weiter ausgebaut werden. „Auf der dritten Spur sollen dann nur noch Busse und Autos, die mindestens drei besetzte Plätze aufweisen, fahren dürfen“, so Bausch. Ein Kamerasystem soll dies überwachen. Eine Park-and-Ride-App soll den Umstieg auf den ÖPNV erleichtern.
Bahn nach Frankreich wird weiter ausgebaut
Denn das Auto ist noch immer das beliebteste Verkehrsmittel in Luxemburg. Nirgendwo ist die Autodichte höher. Das Benzin ist billig, Bausch will den Autoverkehr nicht benachteiligen. Dort müsste die Regierung jedoch ansetzen, um dem täglichen Verkehrschaos schneller Herr zu werden. Der Minister aber möchte Anreize setzen – und nicht auf den Markt vertrauen. Daher baut der Staat nun auch Hunderte Kilometer Radwege, gelegentlich an zuvor undenkbaren Stellen wie direkt unter der Pont Adolphe die mit 1,2 Kilometern längste Fahrradbrücke Europas.
Ein weiterer Anreiz: der Ausbau der Bahn. Der Hauptbahnhof in Luxemburg wird erweitert, mehr Gleise und Verbindungen sollen hinzukommen. Kein leichtes Unterfangen in den beengten Verhältnissen der Stadt. Um sie mit dem Süden und damit dem neuen Wissenschaftszentrum Belval zu verbinden, gibt die Regierung drei Milliarden Euro aus. Alleine die neue Zugverbindung kostet 400 Millionen Euro. Am Ende erwartet François Bausch einen Zug alle sieben Minuten zwischen Thionville und Luxemburg zu Spitzenzeiten, morgens und nachmittags. Jetzt gilt Zugfahren in Luxemburg immer noch als Risiko, inklusive Ausfällen und Verspätungen.
Deutschlands 49-Euro-Ticket im Regionalverkehr findet Bausch eine hervorragende Idee, die man „absolut auch auf Luxemburg“ ausweiten könne. Einziger Wermutstropfen: „Die Leute werden das Angebot testen. Dann sehen sie, woran es hakt, und entscheiden dann, ob sie es weiter nutzen.“ Das heißt, ohne Investitionen in die Infrastruktur Deutschlands sei ein günstiges Nahverkehrsticket alleine nicht sinnvoll, so Bausch. „Der Markt alleine regelt in der Mobilitätsinfrastruktur gar nichts.“ Am Netz müsse der Staat arbeiten. Seit Jahren schon versucht die Regierung dieses Problem in den Griff zu bekommen. Und seit Jahren tut dies bereits François Bausch, Verkehrsminister der Grünen und einer der am längsten in der Regierung vertretenen Minister.
Das Interesse Luxemburgs an einer funktionierenden Bahn-Infrastruktur reicht jedoch weit über die Landesgrenzen hinaus. Luxemburg beteiligt sich am Refit der Strecke nach Metz mit 250 Millionen Euro. Ob die TGV-Verbindung zwischen Paris und Berlin nun über Straßburg führt, was der französische Präsident Emmanuel Macron favorisiert, oder über Saarbrücken, ist ein Politikum, das Bausch nur mittelbar beeinflussen kann.
Grundsätzlich aber sei man bereit, zusammen mit dem Saarland, aber auch mit dem Nachbarn Rheinland-Pfalz in Berlin vorstellig zu werden, um gemeinsame Infrastrukturprojekte voranzubringen und „die Perspektive der Großregion dort einzubringen“, so Bausch. Diese bräuchten zudem eine Gesamtstrategie, heruntergebrochen bis auf die kommunale Ebene, um einen gut vernetzten ÖPNV zu gewährleisten – leicht gesagt in einem Land mit zwölf Kantonen, die in etwa so groß wie deutsche Landkreise sind. Sich ein Beispiel an Luxemburg zu nehmen, ist jedoch für viele europäische Länder und Städte in den vergangenen Jahren ein Muss. Denn es zeigt, dass eine Verkehrswende funktionieren kann – mit entsprechend hohen Investitionen.