Luxemburg hat sich in den letzten zehn Jahren massiv verändert. Die Bevölkerung ist enorm gewachsen, die Wirtschaft steht in einem großen Transformationsprozess. Das reiche Großherzogtum hat ebenso reichlich Baustellen vor der Brust und damit ausreichend Themen für einen spannenden Wahlkampf.
Luxemburg wählt am 8. Oktober ein neues Parlament, und nicht erst im Endspurt ist es ein spannender Wahlkampf in einem interessanten Land mit einer höchst spannenden Entwicklung.
Premierminister Xavier Bettel strebt eine dritte Amtszeit an in einem Land, das ebenso klein wie durch und durch europäisch ist.
Ehemalige Luxemburger Regierungschefs haben anschließend gleich mehrfach höchste politische Führungsfunktionen in der Europäischen Union übernommen. Gaston Thorn war von 1981 bis 1985 Präsident der Europäischen Kommission, Jacques Santer war Kommissionspräsident von 1995 bis 1999, und später auch Jean-Claude Juncker (2014 bis 2019), zuvor war Juncker auch Chef der Eurogruppe, also der Länder mit dem Euro als offizieller Währung.
Allein das spricht für die europäische Kompetenz. Für das kleine Land ist die aber auch überlebensnotwendig. Zur Zeit von Jacques Santer hatte Luxemburg gerade mal knapp 400.000 Einwohner (2000), zum Ende der Ära Juncker ging es auf die 600.000 zu, heute sind es geschätzt bereits über 660.000. Allein in den vergangenen zehn Jahren war ein Zuwachs von 20 Prozent zu verzeichnen. Ein einsamer Spitzenwert in Europa. Bis 2030 ist die Marke von 700.000 in Reichweite.
Flächenmäßig ist Luxemburg etwa so groß wie das Saarland, nur im Gegensatz zum Saarland ist Luxemburg eben kein kleines Bundesland weit weg von der Bundeshauptstadt am Rande der Republik, sondern ein Nationalstaat im Herzen Europas. Drehscheibe, Transitland, Finanzstandort, Magnet für Pendler – und einziges Großherzogtum der Welt. Nur die Hälfte der Einwohner hat die luxemburgische Staatsbürgerschaft, praktisch alle sind mehrsprachig, viele viersprachig. Bei den Amtsgeschäften dominiert Französisch, in den Medien Deutsch, im Alltag Letzeburgisch. Mit Englisch kommt man überall durch, in einigen Regionen wird Portugiesisch parliert, in einer internationalen Schule in Differdingen ist Portugiesisch Hauptsprache. Mit knapp 100.000 Einwohnern und damit gut einem Sechstel machen Portugiesen den größten Teil ausländischer Bewohner Luxemburgs aus.
Die enge Verbindung geht zurück auf das Ende des 19. Jahrhunderts. Im Zweiten Weltkrieg war Luxemburg Zufluchtsort des größten Teils der großherzoglichen Familie, in den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts kamen viele Portugiesen nach Luxemburg, teils zum Arbeiten, teils auf der Flucht vor der damaligen Salazar-Diktatur in Portugal, die erst 1974 mit der sogenannten Nelkenrevolution beendet wurde.
Großherzog Henri hat im politischen Alltagsgeschäft keine bedeutende Rolle. Als Türöffner in einigen Regionen der Welt sieht das schon ganz anders aus. Wirtschaftsdelegationen wissen zu schätzen, dass ein großherzoglicher Auftritt in einigen Weltregionen mit großen Palasttraditionen tatsächlich noch eine besondere Bedeutung hat. Und schließlich gibt es, wie gesagt, nur einen Großherzog. Andere Kleinstaaten müssen sich mit einem einfachen Herzog begnügen.
Henris Gattin, Großherzogin Maria Teresa, hat in der Vergangenheit immer mal wieder für Schlagzeilen gesorgt. Ihr Umgang mit Etikette und höfischen Bediensteten entsprach nicht immer höfischer Souveränität und Eleganz.
Rascher Wandel mit langfristiger Strategie
Ein Luxemburger Wahlspruch sagt: „Mir wëlle bleiwe wat mir sinn“ (Wir wollen bleiben, was wir sind). Nur was „die Luxemburger“ sind, ist nicht so ganz leicht zu ergründen. Katholisch sind sie. Die Erzdiözese, die das gesamte Land umfasst, besteht allerdings erst seit 1988. Vorher war dem Land und seinen Teilen das typische Schicksal einer Grenzregion beschieden. Mal gehörte es zu Trier, Metz, Köln, Lüttich oder Reims.
Jahrzehntelang war die CSV (Chrëschtlech-Sozial Vollekspartei, vergleichbar mit der deutschen CDU) an der Regierung, stellte bis auf eine Unterbrechung den Regierungschef, unterbrochen nur von 1974 bis 1979 von Gaston Thorn von der liberalen DP. Vor zehn Jahren wiederholte Xavier Bettel das Kunststück, die CSV abzulösen, und sorgte für die zweite Regierungsübernahme eines DP-Politikers.
Unter seiner Regierung wurde zwischen 2015 und 2018 schrittweise die Trennung von Staat und Kirche umgesetzt. An einer katholischen Grundprägung des Landes mit liberalen Zügen hat das (noch) wenig geändert. Offizielle Zahlen über Kirchenzugehörigkeit gibt es nicht. In Luxemburg zählt die religiöse Überzeugung zu sensiblen Daten, die per Datenschutzgesetz geschützt sind.
In den zurückliegenden zehn Jahren hat sich Luxemburg in einem rasanten Tempo entwickelt. Wie bei den Nachbarn in der Großregion, Saarland und Lothringen, bestimmte der Strukturwandel die Entwicklungen. Eines der sichtbarsten Zeichen für das neue Luxemburg ist der Campus Belval. Die junge Universität wurde 2003 gegründet und hat in Esch-Belval architektonisch die Stahl-Vergangenheit in die Zukunft eines Wissenschaftsstandorts integriert. In einer gezielt langfristig angelegten Strategie ist dort der Nukleus für den weiteren Strukturwandel gelegt, der Luxemburg auch breiter aufstellen soll, als nur Finanzplatz zu sein. Die große Überschrift ist die digitale Transformation.
Luxemburg ist ein reiches Land. Nach einem Ranking des Internationalen Währungsfonds IWF vom April 2023 ist Luxemburg sogar das reichste Land der Welt, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Einwohner. Der Wert liegt für Luxemburg bei rund 130.000 Dollar pro Einwohner. Zum Vergleich: Deutschland liegt mit knapp 52.000 Dollar auf Rang 20. Das ärmste Land der Welt ist Burundi mit knapp 310 Dollar pro Einwohner.
Mit Geld lässt sich Strukturwandel natürlich leichter gestalten. Aber das reiche Luxemburg ist alles andere als sorgenfrei. Lux Leaks sitzt allen noch tief in den Knochen. 2014 wurden geleakte Papiere öffentlich, die die luxemburgische Praxis zeigte, insbesondere mit Großkonzernen aggressive Steuervermeidungsmodelle gedealt zu haben.
Luxemburg hat sich nach Einschätzung von Experten, die die Vorgänge analysiert haben, die staatliche Souveränität eines kleinen Landes zunutze gemacht. „Wir lassen uns nicht gern ‚Steuerparadies‘ nennen. Wir erlauben multinationalen Konzernen, sich bei uns niederzulassen, um symbolische Steuern zu zahlen. Wenn wir das nicht tun, werden es andere tun“, hieß es damals. In Hintergrundgesprächen wird deutlich, dass Lux Leaks bis heute mental nachwirkt.
Luxemburg ist heute das Ziel der größten Pendlerströme in einer europäischen Grenzregion. Das galt sogar in der Zeit der Pandemie für einen gewissen Protest-Pendelverkehr. Auch Luxemburg erlebte große Demos gegen Covid-Maßnahmen, bei denen insbesondere französische Gruppen kräftig mitmischten. Und auch Luxemburg hat seine eigene „Schwurbler“-Szene, vergleichbar den deutschen „Querdenkern“.
Die Attraktion sind gute und vor allem gut bezahlte Arbeitsplätze. Aber Luxemburg ist selbst auch ein teures Land. Mobilität und Wohnungsmangel sind eine enorme Herausforderung. Der Mangel an bezahlbaren Wohnungen ist auch Thema Nummer eins in diesem Wahlkampf, dessen Ausgang als ziemlich offen gilt. Journalistische Beobachter sehen einen leichten Vorteil für Xavier Bettel und seine bisherige Koalition, Umfragen lassen aber andere Koalitionen als möglich erscheinen.