Der 36-jährige Freiwasser-Spezialist krönt seine erfolgreiche Karriere mit einer historischen Leistung im Ärmelkanal. Oder geht da noch mehr?
Überglücklich. Das beschreibe seinen Gefühlsstand auch einige Tage nach seinem wohl größten Coup als Leistungssportler. So richtig fassen konnte Andreas Waschburger da noch nicht, was zuvor passiert war. Am 9. September unterbot der 36-jährige Saarbrücker bei seiner Durchquerung des Ärmelkanals von Dover nach Cap Gris Nez (bei Calais) den elf Jahre alten Weltrekord um rund zehn Minuten. „Waschis“ Bestzeit von 6 Stunden, 45 Minuten und 25 Sekunden markiert seinen Eintrag in die Geschichtsbücher. „Es war schon lange Zeit in meinem Kopf. Die Vorbereitung war nicht immer einfach, und deshalb ist es großartig, diesen Rekord geknackt zu haben“, berichtet der Freiwasser-Spezialist und ergänzt: „Es ist richtig geil, dass ich das am Ende meiner Karriere noch geschafft habe.“ Nur Platz acht bei den Olympischen Spielen in London 2012 hat für den mehrfachen Vize-Europameister einen noch höheren Stellenwert.
Nur Olympia mit höherem Wert
Die äußeren Bedingungen am Rekordtag waren geradezu ideal. „Einmal hatte ich eine Zwischenströmung, gegen die ich anschwimmen musste. Aber ansonsten war die Linie perfekt – ich bin sogar etwas weiter geschwommen als Trent damals“, erzählt Waschburger. Mit Trent meint er den vorigen Rekordhalter Trent Grimsey. Die Strecke zwischen Dover und Calais ist zwischen 32 und 34 Kilometer lang – je nach Wetter- und Strömungsverhältnissen. Auf die niedrige Wassertemperatur von letztlich 18,5 Grad bereitete sich Waschburger in einer Kryopraxis des Gesundheitszentrums Körperglück in Saarbrücken vor, wo er bis zu acht Minuten bei -80 Grad in einem Kälteraum durchhalten musste. Es hat sich gelohnt: „Ich hatte zu keinem Moment kalt. Es gab keine Phase, in der ich mich schlecht gefühlt hätte.“
Auch machten ihm weder Treibgut noch Meeresgetier einen Strich durch die Rechnung. Einmal nur schickte ihm ein kreuzender Tanker eine große Welle vorbei, und einmal musste er einer Riesenqualle ausweichen. „Glücklicherweise habe ich die gesehen. Die war so groß wie ein Fußball“, berichtet er. Kurz vor der Küste wurde er dann von einem riesigen Quallenfeld empfangen. „Das waren bestimmt 50 Stück. Aber ich bin dann einfach durchgeschwommen“, sagt er. Dass ihn zwei Tiere mit ihren Tentakeln am Arm erwischten, hielt ihn nicht auf: „Es hat schon etwas gezwickt, aber sie waren zum Glück nicht giftig.“ Im 20-Minuten-Rhythmus wurde Waschburger von seinem Begleitboot aus mit einem Kohlehydrat-Gemisch verpflegt. Auf dem Boot tummelten sich neben seiner Verlobten Jasmin Alt, Bootsführer Michael Oram, Trainer Jan Wolfgarten auch Rouven Christ (Videobegleitung) sowie zwei Offizielle des Verbandes für die Überwachung des offiziellen Rekordversuches. Darüber, wie es gerade läuft, wurde Waschburger permanent informiert.
Nach gut 6 Stunden und 45 Minuten war es dann so weit: Das Quallenfeld war durchquert, das Cap Gris Nez (bei Calais) in greifbarer Nähe. Um den Rekord offiziell zu besiegeln, musste Waschburger festen, trockenen Boden unter den Füßen haben. Der 36-Jährige erklomm den erstbesten Felsvorsprung und reckte triumphierend die Arme in die Luft. „Ich war überglücklich, als ich es endlich geschafft hatte und dass ich auch den Rekord geknackt hatte“, erinnert er sich: „Weil mein Trainer mir immer einen geringeren Vorsprung genannt hatte, dachte ich erst, ich wäre nur etwa fünf Minuten schneller. Dass es sogar zehn geworden sind, ist einfach nur geil.“ Was im Moment des Glücks fehlte: Jemand an seiner Seite, den er hätte herzen können. Das Begleitboot musste weiter draußen ankern und konnte aus Sicherheitsgründen nicht näher an die Küste ran. Für Waschburger bedeutete dies: zurück ins Wasser. Nach der stundenlangen Tortur schwamm er mit deutlich geringerer Schlagfrequenz zu seinen Begleitern und ließ sich dort gebührend feiern. Aus nicht allzu großer Distanz wurden einige Touristen auf einer Aussichtsplattform zufällig und – wohl ohne es zu wissen – Zeugen des historischen Moments. Was ihnen durch den Kopf ging, als plötzlich ein Mann aus dem Meer stieg, jubelte und sich anschließend wieder in die Gischt stürzte, ist nicht überliefert.
So bilderbuchmäßig der Tag des Rekords auch ablief, so hart war die Vorbereitung darauf. Nicht nur sportlich. Am 7. Juli verstarb Andreas Waschburgers Mutter im Alter von 74 Jahren. „Da habe ich kurz infrage gestellt, ob ich es wirklich durchziehen soll“, gibt der Sportpolizist zu. Kurz zuvor war ein Feuerwehrmann beim Versuch, den Ärmelkanal zu durchqueren, ums Leben gekommen. Sein Körper wurde bis heute nicht gefunden. „Meine Mutter sagte daraufhin: Lass es doch sein“, erinnert er sich. Und ergänzt nach einem tiefen Atemzug: „Sie war immer stolz auf mich. Aber dass ich auch längere Strecken geschwommen bin, hatte ihr noch nie gut gefallen.“
Schwierige Vorbereitung
Als sei dieser schwere persönliche Schicksalsschlag nicht schon genug, musste sein Vertrauter, Schwimmer-Kollege Christof Wandratsch, seine Unterstützung vor Ort aus beruflichen Gründen kurzfristig absagen. Er hatte Waschburger den erfahrenen Bootsführer vermittelt, mit dem er selbst am 1. August 2005 einen neuen Ärmelkanal-Weltrekord aufgestellt hatte (7 Stunden und 3 Minuten). Auch spielten zum ersten Versuchszeitraum die Witterungsverhältnisse nicht mit: Wind und Regen waren zu stark und auch die Gezeiten ließen einen aussichtsreichen Versuch im August nicht zu. Das Team reiste wieder ab und kam erst Anfang September wieder zurück nach Dover. „Das alles war nicht optimal“, stellt Waschburger fest und ergänzt: „Es war nicht ganz einfach, das Training wieder hochzufahren. Ich hatte mich in der Woche der Rückreise nicht perfekt gefühlt, aber ich habe es gut durchgestanden.“ Am Montag, 4. September, erhielt er die Nachricht, dass es am folgenden Freitag um 7 Uhr mit einem Start klappen könnte. Mittwochs erfolgte dann die Anreise. „Ich war schon beruhigt, dass es nicht mitten in der Nacht sein wird. Ich bin zwar auch so um 5 Uhr aufgestanden, aber dennoch war ab dann alles perfekt.“ Den Rekord hat er vorerst in der Tasche – die Frage ist aber: wie lange? Der Franzose Axel Reymond, zweifacher Weltmeister über 25 Kilometer, will die neue Bestzeit Mitte Oktober angreifen. „Wenn mein Rekord irgendwann fällt, dann ist es halt so. Aber ich hoffe, dass er etwas länger steht als vier Wochen“, sagt Waschburger.
Egal, wie lange er hält: Markiert der weltweit beachtete Weltrekord den krönenden Abschluss von Andreas Waschburgers erfolgreicher Leistungssport-Karriere? Nicht ganz: Vom 1. bis 4. Februar 2024 werden im rumänischen Oradea erstmals Europameisterschaften im Eiswasser-Schwimmen ausgetragen. Hier will Waschburger als amtierender Weltmeister noch einmal auftrumpfen. Danach ist aber Schluss. Oder? „Es gibt noch etwas …“, gibt Waschburger zu und nennt die „Ocean’s Seven“, also die Durchquerung sieben bekannter Meerengen. Neben dem Ärmelkanal zählen dazu zum Beispiel die Straße von Gibraltar, die Tsugaru-Straße in Japan oder die Cookstraße bei Neuseeland. „Einige Leute reden schon eine Weile auf mich ein, ob ich das nicht noch angehen wollte“, verrät Waschburger, der im kommenden Jahr seine Verlobte Jasmin heiraten möchte: „Das muss ich mir erst in Ruhe durch den Kopf gehen lassen.“