Noch jede Menge Gestaltungspotenzial sieht der „Neue“ für Europafragen in der Staatskanzlei des Saarlandes in den deutsch-französischen Beziehungen – vor allem wenn es um die vielen Grenzgänger geht. Deniz Alkan ist seit diesem Sommer neuer Leiter der Europa-Abteilung.
Herr Alkan, nach rund 25 Jahren „back to the roots“, zurück ins Saarland. Wie kommt’s?
Seit der letzten Landtagswahl gibt es eine spürbare Aufbruchstimmung und einen Gestaltungswillen, wie das Saarland seine Europapolitik neu ausrichtet und wie sich das Land künftig in Europa verankern möchte. Erstes sichtbares Zeichen der Landesregierung war die Bündelung der Europa-Kompetenzen unter dem Dach der Staatskanzlei. Neben der Transformation der saarländischen Wirtschaft mit der Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen gehören Europa und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu den wichtigen Leitlinien der saarländischen Landesregierung.
Als die Stelle des Leiters der Europa-Abteilung in diesem Jahr frei wurde, da meine Vorgängerin in den Ruhestand gegangen ist, war die Versuchung sehr verlockend, in meinem Heimat-Bundesland tätig zu werden. Die Ministerpräsidentin macht das Thema persönlich sehr stark, und hier sehe ich Möglichkeiten, mein Wissen und meine europapolitischen Erfahrungen einzubringen. Ich möchte gerne Teil dieses ambitionierten europäischen Projekts sein.
Die Frankreichstrategie soll in ein Leitbild des Saarlandes für Europa münden. Was können wir uns darunter vorstellen?
Die Entwicklung dieses Leitbilds bis zum Sommer 2024 gehört mit zu meinen wichtigsten Aufgaben. Als das wohl frankophilste Bundesland kommt dem Saarland in den deutsch-französischen Beziehungen eine Sonderrolle zu. Es bildet quasi ein Scharnier zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der EU. Mit dem Leitbild sollen Anstöße für eine europäische Industriepolitik in der Transformation oder einen durchgängigen europäischen Schienenverkehr über Grenzen hinweg gegeben werden. Auch wollen wir aufzeigen, wie das Land, seine Menschen und auch die Verwaltung fit gemacht werden können für Europa. Dabei soll das Thema Partnerschaften ebenso abgedeckt werden wie die Förderung der Sprachkompetenz und der Verwaltungsaustausch über Grenzen hinweg. Gleiches gilt selbstverständlich auch für den Luxemburg-Plan, der als dritte Säule neben der Frankreich-Strategie und dem Europa-Leitbild stehen soll.
Zwar ist die Europa-Kompetenz im Saarland unter dem Dach der Staatskanzlei gebündelt, aber Europa ist immer auch ein Querschnittsthema und betrifft alle Ressorts in ihren Zuständigkeiten. Das ist auch richtig so. Deshalb gibt es eine interministerielle Arbeitsgruppe für Europafragen, die sich in wichtigen Dingen regelmäßig abstimmt.
In der öffentlichen Wahrnehmung läuft der deutsch-französische Motor auf Bundesebene allerdings alles andere als rund, ob nun bei Sicherheitsfragen, in der Energiepolitik oder der europäischen Integration. Wie kann sich das Saarland in Berlin und Paris besser Gehör verschaffen?
Es gibt übergeordnete europäische Themen, die in Brüssel und den Hauptstädten Paris und Berlin besprochen und entschieden werden, und der Blick in den Grenzregionen auf diese Themen ist nun mal nicht selten ein anderer. Diese Expertise und unmittelbare Betroffenheit gilt es in den Prozess einzuspeisen. Europa zum Anfassen findet nun einmal in den Grenzregionen statt. Mit dem Saarland, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sind wir drei Bundesländer mit Landesgrenzen zu unserem Nachbarn Frankreich. Zusammen haben wir durchaus die Kraft, uns in Berlin Gehör zu verschaffen. Ministerpräsidentin Anke Rehlinger ist seit diesem Jahr Kulturbevollmächtigte der Bundesrepublik Deutschland für die deutsch-französischen Bildungs- und Kulturbeziehungen. Das Potenzial für eine noch intensivere Zusammenarbeit, mit dem Ziel, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Großregion zu stärken und dadurch die Alltagsprobleme der dort lebenden Menschen zu verbessern, ist vorhanden. Hinzu kommt seit dem Aachener Vertrag der Ausschuss für grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit paritätischer deutsch-französischer Besetzung.
Das Saarland hat seine französische Landesgrenze zum Département Moselle. Wie ist der Blick von Mainz aus auf Frankreich?
Aufgrund meiner früheren Tätigkeit in der Landeshauptstadt Mainz und meiner Erfahrungen sehe ich durchaus einen unterschiedlichen Blickwinkel auf Frankreich in Rheinland-Pfalz, obwohl das komplette Bundesland zur Großregion gehört. Die Südpfalz richtet bei Frankreich den Blick auf das elsässische Département Bas-Rhin, während die Südwestpfalz mit Pirmasens und Zweibrücken größtenteils an das Moseldepartement grenzt. Hinzu kommen die relativ langen Landesgrenzen zu Luxemburg und Belgien. Die historische Verbundenheit mit Frankreich, die Identität sowie die wirtschaftliche Bedeutung von Frankreich für das Saarland und umgekehrt sind im Saarland von einer noch herausgehobeneren Bedeutung und prädestinieren dieses Bundesland für eine Sonderrolle in den deutsch-französischen Beziehungen. Übrigens ist der Blick von Nordrhein-Westfalen auf Frankreich noch einmal anders. Da gibt es zwar eine Regionalpartnerschaft, aber nicht einmal eine gemeinsame Landesgrenze.
Wo sehen Sie in den nächsten Jahren die größten Herausforderungen, um den deutsch-französischen Beziehungen neuen Schwung zu verleihen?
Die Bürgerinnen und Bürger der Großregion messen den Erfolg der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit an den Antworten, die wir auf die Fragen des Alltags geben. Wer vorankommen will, der braucht zuweilen Geduld und Beharrlichkeit, ob nun in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, im Zugverkehr über Grenzen hinweg oder eben auch in groß angelegten grenzüberschreitenden Infrastrukturprojekten wie zum Beispiel „mosaHYc“ (Moselle-Saar-Hydrogen-Conversion). Gleiches gilt für die Förderung der französischen und deutschen Sprache im jeweiligen Land, aber Sprache ist ein entscheidendes Vehikel für das Verständnis untereinander.
Der politische Wille ist stets da zu einer koordinierten Zusammenarbeit und Verbesserung, aber die Systeme sind oft unterschiedlich und nicht so einfach zusammenzubringen. Die Gründe dafür sind sehr komplex und historisch gewachsen. Das macht es für alle Beteiligten in der grenzüberschreitenden Praxis oft schwierig, und die angestrebten Veränderungen dauern aus Sicht der Bewohner der Grenzregionen manchmal zu lange.
Ein Grund zur Sorge ist natürlich, wenn anti-europäische Kräfte erstarken, die die europäische Integration oder die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ablehnen oder auf die lange Bank schieben. Wir müssen uns auch um Nachwuchs in vielen Belangen der deutsch-französischen Zusammenarbeit kümmern, das sehen Sie mit einem Blick ins Publikum bei Veranstaltungen im Bereich der Städtepartnerschaften. Auch bei vielen deutsch-französischen Verbindungen müssen wir gezielt um Nachwuchs werben, damit es aktiv weitergeht. Von den rund 100 Partnerschaften im Saarland ist gut die Hälfte deutsch-französisch ausgerichtet und fast alle befinden sich in Grenznähe. Gerade die sind ein wichtiges Instrument der Begegnung. Dafür lohnt sich das Engagement.