In Deutschland fehlen Hunderttausende Wohnungen. Berlins Antwort: ein zweiter Anlauf von „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. Karla Hildebrandt, Aktivistin in der Initiative, über den Notstand und einen zweiten Anlauf.
Frau Hildebrandt, wie sieht der Wohnungsmarkt in Berlin derzeit aus?
Berlin ist eine der Städte, die die höchsten Mietsteigerungen erlebt haben. Allein in den ersten drei Monaten des Jahres 2023 sind die Angebotsmieten um 27 Prozent gestiegen, und zwar von 9,86 Euro auf 12,55 Euro, seit 2013 haben sich die Quadratmeterpreise verdoppelt. Das liegt daran, dass der Berliner Wohnungsmarkt von privatwirtschaftlichen Konzernen dominiert wird. Diese fahren hohe Profite ein, vor allem für Aktionäre. Mieten werden erhöht und Wohnungen schlecht instand gehalten. Mit unserem Grundbedürfnis zu wohnen wird also am Aktienmarkt gehandelt. Dabei sollte solch ein Grundbedürfnis ein öffentliches Gut sein, das nicht zuallererst Gewinne erwirtschaftet.
Wofür setzt sich die Initiative ein?
Wir wollen eine Vergesellschaftung der Wohnungskonzerne erreichen, eine Überführung in die öffentliche Hand und eine Demokratisierung dieser Bestände. Diese Wohnungen waren einst in öffentlicher Hand, wurden dann in den 90er- Jahren für sehr wenig Geld an private Konzerne verkauft. Die Mieten dieser Wohnungen sollen in die Instandhaltung der Wohnungen fließen und eben nicht als Dividende und Gewinn in die Hände von Investoren. Dies würde Druck auf den Mietmarkt ausüben, die Mieten nicht so exorbitant steigen zu lassen. Wir sehen das in Wien, wo viele Wohnungen in öffentlicher Hand sind. Dort bleiben Mieten günstig und erschwinglich.
Sie nehmen sich Wien als Vorbild?
Wien ist vor allem deshalb ein Vorbild, weil ein Großteil der Wohnungen in öffentlicher Hand sind. Andere Städte bauen Wohnungen gegen die Wohnungsnot, dort stellen wir aber fest, dass die Mieten trotzdem nicht sinken. In München oder Hamburg zum Beispiel.
Berlin hat mittlerweile mehr als 17.000 Wohnungen gebaut, aber das reicht nicht aus?
Nein, denn es werden vor allem Wohnungen in hochpreisigen Segmenten gebaut. Unerschwinglich für Menschen mit mittlerem oder niedrigem Einkommen. Gleichzeitig stagniert die Bauwirtschaft aus Gründen der Zinspolitik und aufgrund der hohen Baukosten im Augenblick. Vonovia hat seine Bauprojekte beispielsweise deshalb auch zurückgenommen. Das rein rechnerische Ziel erreichen wir also nicht, und wenn etwas gebaut wird, dann nicht entsprechend der Nachfrage. Mit hochpreisigen Wohnungen werden eben höhere Gewinne erwirtschaftet.
Die Bundesregierung möchte den Bau von Wohnungen beschleunigen. Eine positive Entwicklung in Ihren Augen?
Wir sind eine Initiative aus Berlin, konzentrieren uns also auf den Berliner Wohnungsmarkt. Wir halten es für ambitioniert und begrüßenswert, dass das Bauen erleichtert werden soll. Aber die Resultate, die wir in Berlin sehen, lösen das Problem nicht, weil vor allem Wohnungen im Hochpreissegment gebaut werden. Und man muss sagen, der Wohnungsbau alleine ist auch aus klimapolitischer Perspektive nicht der alleinige Weg aus dieser Krise.
Nun strengen Sie ein zweites Verfahren an, warum?
Beim ersten Volksentscheid vor zwei Jahren haben 59,1 Prozent, eine Million Berliner, dafür gestimmt, Wohnkonzerne mit über 3.000 Wohnungen in Berlin zu vergesellschaften. Der Auftrag ging dann an den Senat, ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden. Das hat der Senat nicht getan, obwohl eine juristische Expertenkommission grünes Licht für eine solche Vergesellschaftung gegeben hat. Sie sagte, dies sei rechtssicher, finanzierbar und das beste Mittel gegen die Mietexplosionen. Statt mit der Umsetzung zu beginnen, hat der Senat ein sogenanntes Rahmengesetz zur Vergesellschaftung angekündigt. Wir halten das für juristischen Unsinn, eine Verschleppungstaktik. Der Finanzsenator selbst sagte, das Gesetz führe nicht zur Umsetzung der Vergesellschaftung. Daher haben wir nun einen Gesetzesvolksentscheid gestartet.
Der sieht wie aus?
Wir legen ein Vergesellschaftungsgesetz vor. Dafür werden wir bis Ende des Jahres mit spezialisierten Juristen, Vertretern jener Expertenkommission und mit wissenschaftlicher Begleitung ein entsprechendes Gesetz ausarbeiten. Es soll so wasserdicht wie möglich sein, um auf dieser Basis einen zweiten Volksentscheid zu starten. Als wir den ersten Entscheid 2017 starteten, gab es kaum Debattenbeiträge zum Artikel 15 GG, auf dessen Grundlage wir dieses Gesetz stellen wollen. Heute sind wir viel weiter, besitzen mehr Wissen und Expertise.
Das Verfahren aber wird laut Experten länger dauern als der erste Volksentscheid, wohl mehrere Jahre. An der aktuellen Situation ändert sich also unmittelbar nichts.
Der Senat ist natürlich eingeladen, den ersten Volksentscheid so rasch wie möglich umzusetzen. Wir machen das nicht, weil wir so gerne Mietaktivismus betreiben, sondern weil wir möchten, dass der Volksentscheid zum Wohle Berlins umgesetzt wird. Uns bleibt also derzeit keine andere Wahl, weil schon der rot-rot-grüne Senat und auch der jetzige schwarz-rote Senat keinerlei Interesse zeigt, dies umzusetzen.
Warum rechnen Sie sich heute bessere Chancen aus als 2021?
Unsere Legitimität ist hoch, gemessen an dem vergangenen Volksentscheid. Ein Gesetzesvolksentscheid ist, wenn wir erneut genügend Stimmen sammeln, unmittelbar geltendes Recht. Das kann etwas dauern, aber letztlich muss die Vergesellschaftung dann eingeleitet werden. Wir würden es gerne mit Hilfe der Politik machen, aber wir sehen das derzeit nicht.
Warum ist das so, was glauben Sie?
Ich kann nicht für alle Politiker in Berlin sprechen, aber ich glaube, die Politik möchte das Geschäftsmodell der Konzerne nicht angreifen. Aber das muss ihr Interesse sein, wenn sie nicht will, dass Berlin ausverkauft wird und irgendwann eine Stadt wie London oder Paris ist, in der sich nur noch Menschen mit hohem Einkommen eine Wohnung leisten können. Andere Menschen werden dadurch verdrängt. Wir sehen, wie es in anderen Städten passiert, weltweit. Berlin aber lebt davon, dass es eine Stadt mit breiter Kiezkultur ist, in der Menschen mit verschiedenen sozialen Hintergründen zusammenleben können. Das steht zurzeit mehr denn je auf dem Spiel.
Was ändert sich denn, wenn Ihr Gesetz verabschiedet wird?
Die etwa 240.000 Wohnungen in Berlin, um die es geht, werden vergesellschaftet. Das heißt, sie werden in eine Anstalt des öffentlichen Rechts (AÖR) überführt. Dazu haben wir bereits ein Konzept vorgelegt. Sie verwaltet unter Mitbestimmungsrecht der Mieter diese Wohnungen. Wir wenden hier das Faire-Mieten-Modell an. Das heißt, die AÖR wendet die Mieten auf, um die Wohnungen instand zu halten und die Entschädigungen an die Wohnungskonzerne zu zahlen. Dies ist laut Expert:innenkommission auch umsetzbar. Wenn die Wohnungen in der AÖR gebündelt sind, sind sie dem Markt entzogen, das heißt, es können auf ihre Kosten keine Profite mehr gemacht werden. Damit werden die Angebotsmieten auf einem sehr großen Teil des Berliner Mietmarktes gesenkt. Das wirkt auf den gesamten Mietspiegel.
Baut diese Anstalt weitere Wohnungen? Diese fehlen ja dann nach der Vergesellschaftung immer noch.
Neubau ist nicht unser primäres Ziel. Wir schließen es nicht aus, denn es ist wichtig in einer wachsenden Stadt wie Berlin. Grundsätzlich ist es auch ein Problem der ungleichen Wohnraumverteilung: Ältere Menschen in großen Wohnungen, die sich gerne im Alter verkleinern möchten, können dies nicht, weil sie keine bezahlbare Wohnung finden, weil die Mieten so stark gestiegen sind. Gleichzeitig finden Familien keine geeignete große Wohnung. Wären die Mieten günstiger, würde sich dieses Problem entspannen. Die meisten Menschen in Berlin wohnen zur Miete. Viele kennen das Problem, dass Wohnen mittlerweile eine Ware ist und kein Grundrecht.