Der Wahlkampfendspurt in Bayern und Hessen war deftig, obwohl alle Umfragen darauf hindeuteten, dass die alten Koalitionen weitermachen können. Über Konsequenzen für die Bundespolitik war schon im Vorfeld spekuliert worden.
Er hatte es wieder mal geschafft. CDU-Chef Friedrich Merz dominierte zehn Tage vor dem Urnengang in Bayern und Hessen bundesweit die Schlagzeilen in Radio, Fernsehen, Online und den Zeitungen. Seine steile These: 300.000 abgelehnte Asylbewerber würden auf Kosten des Sozialstaates die Zahnarztsessel in Deutschland blockieren, während Einheimische auf einen Termin beim Dentisten warten müssen.
Ob diese Aussage, die sich im Übrigen schnell als sachlich falsch erwies, gezielt als Wahlkampfhilfe für Markus Söder (CSU) und Boris Rhein (CDU) gedacht war, blieb offen. Die beiden Ministerpräsidenten und wahlkämpfenden Spitzenkandidaten aus Bayern und Hessen gingen in ihren Auftritten mit keiner Silbe auf die vermeintliche Steilvorlage aus Berlin ein. Dagegen lieferte die Vorlage Wahlkampfstoff für SPD, Grüne und Linkspartei auf den letzten Metern bis zum Wahltag. Die geißelten die Sätze des CDU-Bundesvorsitzenden als eine erneute verbale Annäherung der Union an die AfD. Ob es der CDU in Hessen und der CSU in Bayern schadet, wird der Wahlabend entscheiden. Zuvor aber hatten die Unionsparteien in beiden Ländern klar in Umfragen die Nase vorn. Die Prioritäten von Wählerinnen und Wählern in den beiden Ländern schienen einigermaßen klar verteilt, sodass allenfalls das Abschneiden der AfD mit einer gewissen Spannung erwartet wird.
Spannung in Hessen und Bayern
Das Interesse an Wahlkampfveranstaltungen der Ampel-Parteien in den Ländern war trotz großen Engagements der jeweiligen Bundesprominenz überschaubar, obwohl auch diese Wahlkämpfe von bundespolitischen Themen stark geprägt waren: Heizungsgesetz, Inflation, Löhne, bezahlbarer Wohnraum und natürlich die Flüchtlings- beziehungsweise Migrationsfrage.
In Bayern haben die Sozialdemokraten zudem das Problem, dass ihr Spitzenkandidat selbst im Freistaat vielen Wählern weitgehend unbekannt ist: Florian von Brunn. Der 54-Jährige aus München sieht sich in diesem Wahlkampf in einer Linie mit Olaf Scholz. Auch dieser sei vor über zwei Jahren als Außenseiter gestartet und heute Bundeskanzler. Der feine Unterschied: Olaf Scholz kannten die Menschen. Florian von Brunn in Bayern läuft weitgehend unter dem Radar der Öffentlichkeit. Bundesweite Prominenz andererseits muss nicht immer hilfreich sein, wie das Beispiel der SPD-Spitzenkandidatin in Hessen zeigt.
In Hessen ist Bundesinnenministerin Nancy Faeser, SPD-Spitzenkandidatin, zwar bekannt, aber nicht wirklich beliebt. Vor allem Faesers Aussage, dass sie nur im Falle eines Wahlerfolges, also als Ministerpräsidentin, von Berlin ins Hessische zwischen Main und Rhein zurückkehren wolle, sorgte beim heimischen Wahlvolk nicht für Begeisterungsstürme. Aber Oppositionsführerin in Wiesbaden ist nun mal nicht so ihr Ding. Dementsprechend sind die Wahlaussichten. In Hessen rangieren SPD, Grüne und AfD beinahe gleichauf zwischen 17 und 19 Prozent und liefern sich ein knappes Rennen im Kampf um Platz zwei hinter der CDU.
Für SPD-Spitzenkandidatin Faeser bitter: Scheitert sie am Ziel, die CDU-geführte Regierung abzulösen, wonach zuletzt alles aussah, könnte auch ihr Job als Bundesinnenministerin Geschichte sein. Bundeskanzler Scholz hat Faeser nur auf Druck des linken Flügels der SPD vor knapp zwei Jahren ins Amt berufen, gegen seinen eigentlichen Willen. In der Bundeshauptstadt wird schon längst SPD-Chefin Saskia Esken als Nachfolgerin gehandelt. Für Scholz wäre das parteitaktisch ein Nullsummenspiel. Auch Esken gehört zum linken Flügel der Partei. Aber Faeser hatte in den letzten Monaten zu viele schlechte Schlagzeilen produziert. Damit könnte das Wahlergebnis in Hessen eine Rochade in der SPD-Bundesführung nach sich ziehen. Ginge Esken ins Bundeskabinett, würde das wohl bedeuten, dass eine Nachfolge in der Partei-Führung gefunden werden müsste.
Der Wahlsieg der amtierenden schwarz-grünen-Regierung in Hessen gilt als sicher. CDU-Ministerpräsident Boris Rhein behält seinen Job, Tarek Al-Wazir von den Grünen bleibt sein Stellvertreter und vermutlich auch Wirtschaftsminister.
Die FDP muss dagegen um den Wiedereinzug in den Wiesbadener Landtag bangen, hat aber nach allen Umfragen die Chance, knapp die Fünf-Prozent-Hürde zu schaffen. Die neun Abgeordneten der Linken in Wiesbaden schauen sich dagegen schon mal nach einem neuen Job um, ihr Wiedereinzug gilt laut Demoskopen als nahezu ausgeschlossen.
Auch in Bayern sieht es für die beiden Parteien ähnlich kritisch aus. Die Linke wird den Einzug ins Parlament erneut nicht schaffen, und dass die FDP ihre zwölf Mandate verteidigen kann, steht mehr als auf der Kippe. Sollten die Freien Demokraten tatsächlich sowohl in Bayern als auch in Hessen scheitern, dürfte damit auch der Ton in der Bundesregierung noch rauer werden, als er ohnehin schon ist. Gehen für die FDP Bayern und Hessen verloren, wäre sie innerhalb von anderthalb Jahren aus fünf Landesparlamenten rausgeflogen (oder erneut nicht reingekommen), dazu kommen zwei knappe Einzüge in die Parlamente von Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Allerdings verloren die Liberalen hier ihre Regierungsbeteiligung.
Personelle Konsequenzen
In Hessen und Bayern geht es also nicht nur um das parlamentarische Überleben auf Landesebene, sondern auch um die Bedeutung auf Bundesebene. Gelingt das nicht, steht auch FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner für viele seiner politischen Freunde zur Disposition. Längst erinnern sich nicht wenige in den liberalen Reihen an den Spruch ihres Parteivorsitzenden vom 20. November 2017, nach den damals gescheiterten Verhandlungen zur Jamaika-Koalition: „Es ist besser, nicht zu regieren, als schlecht zu regieren.“ Genau da ist offenbar eine breite Mehrheit innerhalb der FDP-Basis wieder angekommen.
Umgekehrt stehen auch in Bayern die Wahlsieger bereits im Vorfeld fest. CSU-Chef Markus Söder wird wieder Ministerpräsident, die Freien Wähler sicherlich wieder Koalitionspartner, ihr massiv gescholtener Anführer Hubert Aiwanger – Stichwort Flugblattaffäre – wieder stellvertretender Ministerpräsident. Wobei CSU-Chef Söder bereits im Wahlkampfauftakt ein kapitaler wahltaktischer Fehler unterlaufen ist. Seine klare Ansage, dass die Grünen „nicht zu Bayern“ gehören, hat seinen Verhandlungsspielraum zur politischen Eindimensionalität verengt. Bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen in München ist Söder auf das Wohlwollen seines derzeitigen stellvertretenden Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger und dessen Freie Wähler angewiesen. Eine Koalition mit den Grünen kommt nicht in Betracht, will CSU-Chef-Söder glaubwürdig bleiben. Der einzige Ausweg wären die Sozialdemokraten, was aber, nach der letzten Umfrage, auf eine sehr knappe Mehrheit im bayerischen Landtag hinauslaufen würde, wenn die CSU tatsächlich nur auf 36 Prozent käme.
In der Familie der Unionsparteien gibt es einen, der sich vermutlich sehr freuen wird, falls die CSU tatsächlich erneut ein historisch schlechtes Ergebnis einfahren sollte: CDU-Chef Friedrich Merz. Der wäre einen Aspiranten zur Unions-Kanzlerkandidatur für den Bundestagswahlkampf 2025 los, denn die möchte er ganz gern selber übernehmen. Aber nach seinen wiederholten verbalen Einlassungen, die zu heftigsten öffentlichen Diskussionen führten, stellen sich viele in der Union die Frage nach seiner Kanzlertauglichkeit.