Warum die geburtenstarke Generation wieder von sich reden macht
Manchmal kann es sich beruhigend auswirken, über den Friedhof zu schlendern. Aber der Reihe nach: Wie ich im Radio gehört habe, sollen auf deutschen Finanzämtern schon in wenigen Jahren 40.000 Fachkräfte fehlen. Und bis Ende dieses Jahrzehnts werden mehr als zwei Millionen altersgerechte Wohnungen zu wenig vorhanden sein. Und wer ist daran Schuld? Richtig: die Baby-Boomer.
Die besaßen die Unverfrorenheit, in kurzem zeitlichen Abstand in großen Mengen zur Welt zu kommen. In unserem Dorf gab es in den Jahren 1962 bis 1964 durchschnittlich mehr als eine Geburt pro Woche. Da hatte die Taufbonbon-Produktion Hochkonjunktur und das Taufbeckenwasser war dauernd in Bewegung. Und ab dann überraschten wir – ja, ich gehöre auch zu dieser Bevölkerungs-Gruppe – immer wieder dadurch, dass wir so viele sind. Im 1. und 2. Schuljahr waren wir 56 Schülerinnen und Schüler in der Klasse. In EINER Klasse. Im Klassenzimmer mussten Schulbänke und Stühle so zusammengeschoben werden, dass alle Kinder in den Raum passten. Wahrscheinlich wurde so das Tetris-Spiel erfunden.
Niemand hatte damit gerechnet, dass diese ganzen Babys so um 1970 herum tatsächlich alle in die Schule gehen. Worauf hatte man denn gehofft? Eine Pandemie? In der Sexta, so hieß damals noch der erste Jahrgang des Gymnasiums, waren wir dann ‚nur‘ noch 44 in einer Klasse. Auch hier hatte man nicht vorausgeahnt, dass viele aus diesen Riesenjahrgängen die Dreistigkeit besaßen, das Abitur machen zu wollen.
Muss ich weitere Beispiele aufzählen? Wehrdienst machten zwar nur die Jungs, aber selbst davon gab es so viele, dass längst nicht alle gemustert und eingezogen werden konnten. Aus meinem Jahrgang mussten schlicht deshalb einige Schulkameraden keinen Wehr- oder Ersatzdienst leisten, weil man nicht alle unterbringen konnte. In den 1970er-Jahren wurden Universitäten gebaut, deren Hörsäle sich ab den frühen 1980ern als viel zu klein erwiesen und folglich überfüllt waren. Egal wo man hinsah, diese Boomer-Jahrgänge überraschten immer wieder dadurch, dass sie tatsächlich so groß waren, wie es in den Geburtsregistern stand.
Zwischendurch war dann mal etwa 40 Jahre lang weniger von den geburtenstarken Jahrgängen zu hören. Das war die Zeit, als die meisten von ihnen irgendwo im Berufsleben untertauchten. Aber jetzt: Kaum geht diese Landplage auf Mitte 60 zu, schon wollen die alle in Rente gehen! Das konnte beim besten Willen kein Mensch vorhersehen. Dadurch, dass wir alle gleichzeitig alt werden und als Fachkräfte wegbrechen, könnte sogar die Gesamt-Wirtschaftsleistung sinken!
Knapp wird’s für die Boomer die kommenden Jahre im Gesundheits- und vor allem im Pflegebereich. Wer hätte auch gedacht, dass wir alle einmal gebrechlich werden? Die meisten von uns haben sich, wie oben erwähnt, nicht mal um altersgerechtes Wohnen gekümmert, nahmen wir doch an, wir sprängen munter sämtliche Treppen rauf und runter, bis wir 90 sind.
Neulich war ich, wie gesagt, auf dem Friedhof. Jemand hatte mich gebeten, ein Blumengesteck auf ein Grab zu bringen. Nachdem ich das erledigt hatte, schlenderte ich noch eine Runde über den Friedhof und enteckte dort große, frisch eingeebnete Freiflächen. „Hier sind aber ’ne Menge Gräber weggemacht worden“, sprach ich einen Gemeindeangestellen an, der in dieser Friedhofsanlage arbeitet. „Ja, da passt jetzt wieder ordentlich was hin. Den Platz werden wir auch brauchen, die nächsten zehn, 20 Jahre. Sie wissen schon: die Baby-Boomer.“
Na also, geht doch, dachte ich. Wenigstens hier kümmert man sich vorausschauend darum, genug Einliegerplätze für unsere Generation zu schaffen. Einen Vorteil wird die Zeit, wenn die Boomer diese Grabstellenplätze belegen werden, für die dann noch lebenden Bürgerinnen und Bürger in Sachen Wirtschaftsleistung mit sich bringen: Wenn dann nämlich die Einwohnerzahl schneller schrumpft als die Wirtschaft, wächst – statistisch gesehen – das Pro-Kopf-Brutto-Inlandsprodukt.