209 Wochen stand sie an der Spitze der Tennis-Weltrangliste und gewann 25 Grand-Slam-Titel. Nach zwei Rücktritten feierte sie 2013 ihr drittes Comeback, gewann 2016 Olympia-Silber und beendete 2017 nach dem Gewinn der US Open im Mixed endgültig ihre Karriere. Heute arbeitet sie als Trainerin und Kommentatorin.
Martina Hingis, jüngste Wimbledon-Siegerin des 20. Jahrhunderts, kehrte im Juli nicht nur als Ehrengast auf die Promi-Tribüne zurück, sondern stand sogar noch selbst auf dem Court und konnte an der Seite von Kim Clijsters den 2022 gewonnenen Titel im Damen-Doppel verteidigen. „Es macht mir heute fast noch mehr Freude, hier übers Turniergelände zu gehen, als zu meiner aktiven Spielerinnenzeit“, sagte Hingis in einem Interview. Künftig wird die Schweizerin den „Tennis-Zirkus“ aber vor allem bei Live-Übertragungen als Co-Kommentatorin des Schweizer Fernsehens begleiten: „Es ist eine Aufgabe, bei der ich meine Komfortzone verlassen muss“, betont Hingis, die sich zuletzt bei den French Open in Paris erstmals bewähren konnte.
Trotzdem ist ihr Lebensmittelpunkt heute nicht mehr der Tennisball, sondern ihre vierjährige Tochter Lia, der sie „absolute Priorität“ einräumt: „Das schönste Geschenk, das Tennis mir gemacht hat, ist die Zeit, die ich mit ihr verbringen kann.“ Heute kenne sie „jeden Spielplatz und jede Hüpfburg“ in der Nähe ihres Wohnortes, scherzt die alleinerziehende Mutter, die sich im August 2022 von ihrem zweiten Mann, dem Sportarzt Harald Leemann, getrennt hat, „wegen verschiedener Lebensziele“. Inzwischen hat Hingis diese schwere Zeit überwunden und strebt eine einvernehmliche Scheidung an. Am Zürichsee hat sie bereits eine neue Wohnung eingerichtet und verkündete kürzlich bei einer Theater-Gala: „Es geht mir gut!“
Geht in ihrer Mutterrolle auf
Die erste Schweizerin, die an der Spitze der Tennis-Weltrangliste stand, wird natürlich in ihrer Heimat immer noch erkannt, stellt aber schmunzelnd fest: „Meine Fans sind in die Jahre gekommen. Ich muss nur noch älteren Damen und Herren Autogramme geben.“
Aufmerksam verfolgt Hingis auch die sportliche Entwicklung ihrer Tochter, die trotz ihrer vier Jahre bereits eifrig zum Tennisschläger greift. Einmal pro Woche trainiert Lia „eher spielerisch“ in der Bambini-Gruppe mit, die Martinas Mutter Melanie Molitor im Tennisclub Ried Wollerau leitet. Hingis ist dabei vor allem der soziale Aspekt wichtig. „Aber natürlich freuen wir uns über Fortschritte“, gibt Hingis zu, die sich einer Profikarriere ihrer Tochter nicht entgegenstellen würde. Im gleichen Verein unterrichtet sie selbst regelmäßig die Junioren, wobei sie besonderen Wert darauf legt, dass die Kinder eine Leidenschaft für Tennis entwickeln: „Ich hoffe, dass sie dranbleiben, wenn’s hart wird. Denn heute fehlt vielen oft der Biss.“ Viel verspricht sie sich derzeit von einer 14-Jährigen, die sie seit fünf Jahren betreut und die in ihrer Altersklasse inzwischen auf Platz eins der Weltrangliste steht: „Das sind andere Glücksgefühle als damals bei meinen eigenen Spielen, aber es ist auch wunderschön!“
Schon während ihrer Tenniskarriere hat Hingis eine weitere Sportart entdeckt, der sie sich nun seit einigen Jahren verstärkt widmet: Sie betreibt aktiv Reitsport, nimmt „ambitioniert, aber hobbymäßig“ an regionalen Turnieren teil und hat sich zum 40. Geburtstag im Kurort Bad Ragaz ein eigenes Gestüt mit sechs Boxen für ihre Pferde und einem 29 x 50 Meter großen Reitplatz geschenkt. Dort reitet sie regelmäßig selbst, bereitet sich auf Turniere vor oder unternimmt gemütliche Ausritte. Seit ein paar Monaten ist dann oft auch Luxy dabei, eine Border-Collie-Schäferhund-Mischung, mit der Martina und Lia viel Spaß haben. Ansonsten steigt der Tennisstar auch mal gern aufs Mountainbike, um sich fit zu halten.
„Tolle Generation Von Spielerinnen“
Zurückblickend auf ihre eindrucksvolle Tenniskarriere verweist Hingis darauf, dass sie schon sehr früh mit ihrer Mutter, früher ebenfalls Tennisprofi, ein sehr gutes und hartes Training absolviert hat und sich in Turnieren von Anfang an mit Älteren messen musste. Durch die schnell eintretenden Erfolge sei ihr Weg ins Profitennis vorgezeichnet gewesen. Druck habe sie dabei nie empfunden. „Ich habe mich immer auf mein Spiel verlassen können“, erzählt sie im Vorjahr der Fachzeitschrift „Werbewoche M&K“. Selbst in kritischen Situationen habe sie ohne Selbstzweifel gewusst: „Ich beherrsche den nächsten Schlag, ich werde meine Leistung abrufen.“ Durch das ständige Aufeinandertreffen mit Topspielerinnen habe sie sich immer weiter verbessert: „Das Damentennis in den Spitzenjahren meiner Karriere, das war wirklich eine tolle Zeit, eine tolle Generation von Spielerinnen“, resümiert Hingis. Damals habe man auch mehr Wert als heute auf technische und taktische Vielfalt gelegt und alle Konkurrentinnen seien Unikate mit eigenem Stil gewesen. Das vermisse sie heute etwas bei der weiblichen Tennis-Elite. Die mit zahlreichen Ehrungen gewürdigte europäische Sportlerin des Jahres 1997, die seit 2013 auch Mitglied der Tennis Hall of Fame ist, hat lange mit dem schlechten Image gelebt, eine „Zicke“ zu sein. „Ein Dokumentarfilm des Schweizer Fernsehens vor einem Jahr hat das Bild von mir zum Positiven korrigiert“, freut sie sich.