Wenn das eigene Kind in der Schule gemobbt wurde, müssen sich Eltern nicht machtlos fühlen. Sie sollten besonnen reagieren, Empathie zeigen und das Problem nicht selbst lösen, sagt der Berliner Experte für Gewaltprävention, Friedrich Kampmann.
Eines Morgens weigert sich der Teenager in die Schule zu gehen, scheinbar ohne einen rationalen Grund. Der Jugendliche verhält sich anders als sonst. Jüngere Kinder klagen vermehrt über Bauchschmerzen. Mitunter fällt beim Ranzen-Check auf, dass Schulmaterialien fehlen. Auch blaue Flecken, Verletzungen oder wenn sich ein Kind öfter als zuvor zurückzieht, können Warnsignale dafür sein, dass das eigene Kind gemobbt wurde.
Mobbing unter jungen Menschen ist ein verbreitetes Phänomen. Zuletzt zeigte das eine Umfrage von Unicef Deutschland aus dem Jahr 2019, an der 11.571 Kinder und Jugendliche teilnahmen. 14 Prozent der Befragten gaben an, im Internet, 16 Prozent in der Freizeit und 30 Prozent in der Schule oder auf dem Schulweg gemobbt worden zu sein. Viele junge Menschen fühlen sich angesichts dieser Zahlen an ihrer Schule weder sicher noch gut aufgehoben.
Um festzustellen, ob Kinder und Jugendliche in der Schule gemobbt wurden, müssen vier Kriterien erfüllt sein, sagt Friedrich Kampmann, Koordinator für schulische Prävention im Schulpsychologischen und Inklusionspädagogischen Beratungs- und Unterstützungszentrum Pankow (SIBUZ) im Bereich Schulpsychologie. Betroffene Personen sind in einer Mobbing-Situation immer einem oder mehreren übergriffigen Kindern ausgesetzt. Betroffene erleiden mindestens einmal pro Woche einen Übergriff. Die Übergriffe wiederholen sich über einen längeren Zeitraum von mindestens vier Wochen und länger. Da die Betroffenen nicht in der Lage sind, das Mobbing aus eigener Kraft zu beenden, sind sie auf Hilfe von außen angewiesen.
Zwar können Eltern nicht das Mobbing in der Schulklasse ihres Kindes beenden, aber einiges tun, damit sich die Situation verbessert. „Wichtig ist erst einmal, dass Eltern im Gespräch Empathie zeigen und ihrem Kind danken, dass es den Mut gefasst hat sich mitzuteilen“, sagt der 64-Jährige. Ein entscheidender Punkt sei, dem eigenen Kind zu vermitteln, dass es keine Schuld an dem Mobbing trägt. Eltern sollten signalisieren, dass sie tätig werden und zugleich ihr Kind in dieser schwierigen Situation unterstützen wollen, rät Friedrich Kampmann. Allerdings sollte von überstürzten Aktionen, etwa einer Kontaktaufnahme mit den Eltern der Mobbing-Akteure, unbedingt abgesehen werden.

Am Anfang geht es darum, dass das Kind ohne Druck erzählen kann und die Eltern einen Eindruck davon bekommen, was ihm zugestoßen ist. „Eltern können im Gespräch mitschreiben, um Informationen zu sammeln“, so der Experte. So könnten Mütter und Väter mit der Schulsozialarbeit und der Klassenlehrkraft Kontakt aufnehmen und das weitere Vorgehen besprechen. Doch jeder einzelne Schritt sollte in Absprache mit dem Kind eingeleitet und nicht über seinen Kopf hinweg entschieden werden, betont der Experte für Gewaltprävention. „Ich finde, weil Mobbing in der Schule passiert, muss dort das Problem gelöst werden“, sagt Friedrich Kampmann. Umso wichtiger sei es, dass Schulen „mit einem klaren Konzept auf Mobbing reagieren“. Wenn eine Schule mit Mobbing-Fällen konfrontiert ist, empfiehlt Friedrich Kampmann eine pädagogische Teamkonferenz einzuberufen, in der einheitliche Regeln auch bei kleineren Verstößen gegen demokratische Grundsätze festgelegt werden.
Um das betroffene Kind in die Lage zu versetzen, einen ersten Schritt zu eigenem Handeln zu tun, empfiehlt Friedrich Kampmann das Anlegen eines „Mobbing-Tagebuchs“. Darin kann notiert werden, welche Mitschülerinnen und Mitschüler beteiligt waren, was genau passiert ist, welche Personen den Vorfall mit angesehen haben und welche negativen Folgen die Situation für die gemobbte Person hatte.
Ein „Mobbing-Tagebuch“ kann Betroffenen helfen
Auch Cybermobbing oder Cyberbullying ist ein ernst zu nehmendes Problem – nicht zuletzt im Umfeld von Schulen. Laut der JIM-Studie aus dem Jahr 2020 haben 38 Prozent der Jugendlichen – 45 Prozent der Mädchen und 32 Prozent der Jungen – in ihrem Umfeld schon einmal mitbekommen, dass jemand im Internet absichtlich fertig gemacht wurde. Elf Prozent berichteten, dass sie selbst eine solche Attacke erlebt haben. Dabei sind Mädchen mit 15 Prozent stärker betroffen als Jungen (acht Prozent). Das sogenannte Happy Slapping ist eine besonders perfide Variante des Cybermobbing. Die Betroffenen werden hier besonders gedemütigt, denn sie werden von einer Gruppe attackiert. Alles wird mit Handykameras gefilmt und danach auf Youtube hochgeladen oder in sozialen Netzwerken wie Instagram oder Snapchat verbreitet.
Wenn Kinder und Jugendliche in Chats gemobbt worden sind, können Eltern ebenfalls etwas tun. In Absprache mit ihren Kindern sollten die betreffenden Stellen im Chat per Screenshot dokumentiert werden. „Diese sind relevant als Nachweis, mit dem die Akteure konfrontiert werden können“, so Kampmann. Unter Umständen könne man auch mit diesen Bildschirmfotos zur Polizei gehen und eine Anzeige erstatten.
Manchmal wechseln Kinder, die gemobbt wurden, die Seiten und werden selbst zu Mobbing-Akteuren. Wie können Eltern da verhindern, dass der Betroffene selbst zum Akteur wird? Aber auch wenn Eltern vom Mobben ihres Kindes erfahren haben, kommen sie in eine schwierige Situation. Laut Friedrich Kampmann sollten Eltern eine klare Haltung zeigen und „deutlich machen, dass sie dieses Verhalten nicht wollen“. Sie müssen ihrem Kind deutlich zweierlei zu verstehen geben: „Ich liebe Dich, aber dieses Verhalten will ich nicht“. Insofern sei für Eltern unabdingbar „zwischen Verhalten und Person klar zu trennen“. Er sage beispielsweise in Beratungsgesprächen den betroffenen Eltern, dass es in Ordnung sei, das Verhalten des Kindes zu kritisieren und zu erwarten, dass es sofort damit aufhört. Gleichzeitig müssten jedoch Mütter wie Väter klarmachen, dass sie hinter ihm stehen. „Das Kind ist keine Täterin oder Täter, sondern es hat einen Fehler gemacht“, bringt es Kampmann auf den Punkt. Umgekehrt sollten auch die Erziehungsberechtigten eines betroffenen Kindes signalisieren, dass es nicht selbst einen Fehler begangen hat.
Mobbing an Schulen hat viele Gesichter, wie das Datenportal Statista schreibt. Besonders oft äußert sich Mobbing verbal und psychisch, darüber hinaus kommt es zu physischer Gewalt. Wie eine im Oktober 2022 erhobene Umfrage unter Lehrenden zur Gewaltbereitschaft unter Kindern und Jugendlichen zeigte, werde das Schulklima teilweise als rau und gewaltbetont wahrgenommen. Auslöser für Mobbing sind verschieden, mal ist es der Körper, ein anderes Mal die Herkunft der gemobbten Person. Der Berliner Mobbing-Experte Friedrich Kampmann findet, dass es immer dann zu Mobbing kommt, wenn „eine soziale Situation in Schieflage gerät“. Dabei werden Werte wie Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit, die normalerweise in unserer Demokratie gelten, außer Kraft gesetzt. „Dadurch wird möglich, dass ein Kind plötzlich abgewertet wird.“ Darum sollten auch Eltern in dieser Situation ihr Kind stärken, indem sie es unterstützen und in seinem Sinne handeln. Doch klar ist auch: Wer andere mobbt, diskriminiert sie. Und Mobbing kann jeden treffen.