Zwei skandinavische Präventionsprogramme beeindrucken seit Jahren mit ihrer Wirksamkeit gegen Mobbing an Schulen. Hierzulande gibt es wegen der föderalen Kulturhoheit weder eine nationale Strategie noch einen verbindlichen Leitfaden.
Vor Beginn der 1990er-Jahre gab es an deutschen Schulen so gut wie keine Präventionsmaßnahmen gegen Mobbing. Erst danach begann man, sich allmählich ernsthaft Gedanken darüber zu machen, wie dieses Problem gewissermaßen an der Wurzel angepackt werden könnte. Es gibt seitdem vielfältige Initiativen zur Prävention, deren Ausgestaltung und Größenordnung jedoch wegen der föderalen Kulturhoheit der Bundesländer keinem exakt definierten Zeitplan, geschweige denn einem nationalen Leitfaden unterliegen. Sie hängen vielmehr mehr oder weniger von den lokalen Ressourcen oder dem mehr oder weniger starken Engagement von Lehrkräften beziehungsweise der Leitung der einzelnen Schulen ab.
„In Deutschland ist die Schulpolitik die alleinige Aufgabe jedes der sechzehn Bundesländer“, so nachzulesen in einer aktuellen Dokumentation der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages. „Alle Schulen sind (zumeist) durch Erlasse der Bildungsministerien der Bundesländer verpflichtet, Präventionsprogramme gegen Mobbing zu entwickeln … Die Schulleitung ist für die Verankerung geeigneter präventiver Maßnahmen in der Schulentwicklung sowie für eine wirksame Intervention im Einzelfall verantwortlich … In manchen Schulen werden Anti-Mobbing-Teams aus besonders geschulten Lehrkräften eingesetzt.“
Dazu gebe es beispielsweise im Land Berlin auch noch Schulsozialarbeiter, zu deren Aufgaben „auch die Entwicklung von Präventionsprogrammen gegen Mobbing“ gehören. In einer früheren Publikation aus dem Jahr 2018 hatten die gleichen Wissenschaftlichen Dienste mitgeteilt, dass es keine empirischen Erhebungen über die gesamten hiesigen schulischen Präventionsmaßnahmen gebe. Und dass eine Fragebogen-Aktion, an der 3.182 Schulleiter teilgenommen hatten, das ernüchternde Ergebnis erbracht hatte, dass bei mehr als der Hälfte der befragten Schulen „weniger als 500 Euro im Jahr zum Zwecke der Präventionsarbeit zur Verfügung stehen“.
Pro Schule nur 500 Euro im Jahr
Mit solch bescheidenen Mitteln lässt sich natürlich das Bewusstsein der Kinder und Jugendlichen für die fatalen Folgen von Mobbing kaum grundlegend verändern. Obwohl es auf der Hand liegt, dass eine nachhaltige und effektive präventive Bekämpfung von Mobbing und Cybermobbing kaum durch die Einführung eines Kummerkastens, spezieller Schülersprechstunden oder der Abhaltung eines Projekttages gelingen kann, sondern nur durch eine Integrierung des Themas in den ständigen Schulalltag. Dabei raten Experten dazu, ein ausführliches Präventionskonzept fest im Schulkonzept zu verankern. Dieses sollte im Rahmen der Schulentwicklung und in einem von allen Gremien der Schulgemeinschaft ratifiziert sowie bei Schuleintritt von Eltern und Schutzbefohlenen verpflichtend zur Kenntnis genommen werden. Dies hatte beispielsweise das Bundesland Bayern seinen Schulen als Zielvorgabe vorgegeben. Verbunden mit der Ernennung eines Anti-Mobbing-Beauftragten, der während des gesamten Schuljahres seine Kollegen bei Mobbing-Problemen beraten soll, und der festen Einbindung von Programmen zur Förderung von Sozialkompetenz und Gewaltprävention in den Unterricht jeder Jahrgangsstufe.
Allerdings besteht gemeinhin an deutschen Schulen weiterhin ein Mangel an fixen Mobbing-Präventionsstunden innerhalb des wöchentlichen Unterrichtsplans. „Dass Präventionsprogramme nur nachhaltig wirken können, wenn sie in ein gewachsenes Schulkonzept integriert werden und regelmäßig durchgeführt werden, versteht sich von selbst“, so das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus in seiner Broschüre „Mit Mut gegen Mobbing. Ein Leitfaden für die Schulgemeinschaft“. Allerdings werden in der Publikation auch die Umsetzungsprobleme von Präventionsmaßnahmen nicht verschwiegen: „Nicht selten erscheint im Schulalltag der Aufwand an Zeit, Personal und Energie zu groß, um ein solches Konzept adäquat umzusetzen … In der praktischen Arbeit des Schulalltags stellt sich meist sehr schnell heraus, dass auch die ambitionierteste Mobbing-Prävention nicht Mobbing verhindern beziehungsweise Mobbing-Intervention ersetzen kann, zumal eine professionell und mit adäquater Haltung durchgeführte Intervention letztendlich immer auch präventiv wirkt.“ Neuerdings wird dem Cybermobbing rund um die Schule auch hierzulande größere Aufmerksamkeit geschenkt, wobei vor allem das in Karlsruhe ansässige, aber bundesweit agierende „Bündnis gegen Cybermobbing“ mit einem zertifizierten Präventionsprogramm so etwas wie die Speerspitze darstellt. Es sieht Schulungen von Lehrern durch Fachreferenten vor sowie die Sensibilisierung von Schülern und Eltern oder die Bereitstellung von Informationsmaterial zu diesem brisanten Thema.
Wenn die Kultusminister der Bundesländer mal etwas über den nationalen Tellerrand hinausblicken würden, könnten sie im nahen europäischen Ausland durchaus zwei erfolgreiche Mobbing-Präventionsprogramme zur Nachahmung finden, die sowohl wissenschaftlich untersucht sind als auch vergleichsweise einfach auf hiesige Verhältnisse übertragen werden könnten.
Mobbing-Prävention als andauernder Prozess
Am meisten hat sich das von einem ehemaligen schwedischen Schuldirektor entwickelte und nach ihm benannte Olweus-Programm bewährt, das inzwischen in allen skandinavischen Ländern und auch in den USA eingesetzt wird. Zwischen 2015 und 2018 war es auch schon an 23 Schulen Baden-Württembergs mit einer gemessenen Reduzierung der Mobbing-Betroffenenrate um 25 Prozent getestet worden. Das Olweus-Programm hat sich in Meta-Studien als effektivste Mobbing-Präventions-Methode erwiesen. An norwegischen Schulen konnte damit eine Senkung der Mobbingrate um 35 Prozent erzielt werden. Das Programm sieht unter Anleitung von schulinternen und speziell ausgebildeten Coaches die Beschäftigung mit sozialen Themen in Klassengesprächen über das gesamte Schuljahr hinweg vor und erweitert das Sujet Mobbing in Richtung Sozialverhalten. Das Programm besteht aus vier zentralen Bausteinen. Erstens: Erwachsene, also Lehrkräfte, die auch bei der Pausenaufsicht eine elementar wichtige Rolle spielen sollen, und Eltern fungieren als Vorbilder. Sie greifen ein, wenn sie sehen, dass etwas nicht stimmt. Zweitens: Es gibt klare Ansagen, welches Verhalten an der Schule nicht akzeptiert wird. Drittens: Wer sich nicht an die vorgegebenen Ansagen hält, muss mit deutlichen Konsequenzen rechnen. Viertens: Die Schüler werden zum Mitmachen verpflichtet, sprich sie müssen sich gegenseitig im Blick behalten und etwaige Vorkommnisse weitergeben.
Auch die aus Finnland stammende „KiVa“-Methode hat schon viel Anklang in Ländern wie den Niederlanden, Estland oder Italien gefunden. Was auch damit zusammenhängen dürfte, dass die Methode evidenzbasiert ist, sprich dass sich deren Wirksamkeit wissenschaftlich belegen lässt. Das reichte bis zu einer dauerhaften, durch jährliche Umfragen ermittelten Senkung des Schul-Mobbings um stolze 80 Prozent. Die Methode wurde 2006 an der Universität Turku im Auftrag des finnischen Ministeriums für Erziehung und Kultur entwickelt und ab 2009 landesweit an den Schulen eingeführt. Das Kernelement des Programms, das Schulungen für Lehrer und Eltern ebenso beinhaltet wie ständige Unterrichtseinheiten für Schüler samt Mobbing-Simulationen in Computerspielen, besteht darin, die passiven Zuschauer von Mobbing dahingehend zu beeinflussen, dass sie ihre Ablehnung gegen das antisoziale Verhalten offensiv zum Ausdruck bringen und damit das Opfer unterstützen. „KiVa“ ist nicht als zeitlich begrenztes Projekt angelegt, sondern ist fester Bestandteil der schulischen Anti-Mobbing-Maßnahmen.
„Es geht im Kern der Prävention von Mobbing um Interaktion, Beziehung, Klima und Kultur in sozialen Systemen“, so die vom Bundesfamilienministerium geförderte Broschüre „Mobbing in Schule und Jugendarbeit“. Gewalt- und Mobbing-Prävention wird darin als ein Prozess gesehen, in dem es um Sensibilisierung, Haltung und Kommunikation geht. „Klare Rahmenbedingungen im Sinne von Grenzen, Regeln und Vereinbarungen legen die Basis und ermöglichen den Fokus auf ein fürsorgliches Klassenklima, das Stärken prosozialen Verhaltens, den Aufbau von Kooperationsstrukturen und den Umgang mit sozial destruktivem Verhalten ermöglicht. Ebenso wichtig ist es, soziale und emotionale Kompetenzen zu ermöglichen. Es geht darum, diese (und weitere) Elemente in den Unterrichts- und Schulalltag zu implementieren und nachhaltig umzusetzen.“