Spricht man besser von „Klimawandel“, „Klimakrise“, „Erderwärmung“ oder „Erderhitzung“? Welche Worte wir wählen, macht einen Unterschied. Kersten Sven Roth, Professor für Germanistische Linguistik an der Uni Magdeburg, erklärt warum.

Herr Professor Roth, worin liegt das linguistische Dilemma zwischen „Klimawandel“ und „Klimakrise“?
Wir sprechen in der Linguistik in so einem Fall von semantischen Kämpfen. Die menschliche Sprache hat nun einmal die Eigenart, dass es keinen 1:1-Zusammenhang zwischen Ausdruck und Inhalt gibt. Ein Wort kann viele Bedeutungen haben und ein bestimmter Gegenstand auf verschiedene Weise bezeichnet werden. Ob das Tier, das vor ihnen steht, ein „Hund“, ein „Freund“ oder ein „Köter“ ist, hängt von Ihrer jeweiligen Haltung ihm gegenüber ab. Keiner dieser Ausdrücke ist richtig oder falsch. Und so ist das auch im politischen Raum: Als Linguist werde ich nie entscheiden können und wollen, ob es sich um einen „Klimawandel“ oder eine „Klimakrise“ handelt – zumal sich das ja nicht einmal gegenseitig ausschließt. Was aber aus diskurslinguistischer Sicht gar nicht nachvollziehbar scheint, ist, wieso ein bestimmter Sprachgebrauch „bevormundend“ sein sollte. In demokratischen Kommunikationsordnungen, wie wir sie glücklicherweise hier haben, kann niemand zu einer bestimmten sprachlichen Wahl der Mittel gezwungen werden. Dort, wo das droht, sollten wir uns natürlich unbedingt dagegen verwahren.
Was könnten die Vorteile oder Nachteile einer veränderten Wortwahl sein?
Die Frage ist doch, was „verändert“ heißt. Das setzt ja voraus, dass es einmal eine „normale“ Wortwahl gab und plötzlich geht jemand hin und „verändert“ sie. Das ist ein viel zu einfaches Alltagsmodell von Sprache. Ein neuer Ausdruck ersetzt ja nicht zwangsläufig einen älteren Ausdruck.
Sprache ist schlicht das wichtigste Werkzeug unseres sozialen Handelns. Wir wollen mit ihr etwas erreichen, verfolgen Ziele, haben Motive. Das gilt immer, auch wenn es uns nicht immer so bewusst ist wie im politischen Raum. Dort führt der für Demokratien lebensnotwendige Kampf um die plausiblere Sicht auf die Dinge es uns eben besonders deutlich vor Augen. Insofern kann ich nicht absolut beantworten, was der „Vorteil“ ist. Wenn jemand von „Erderhitzung“ spricht, hat das eine bedrohliche Semantik. Wenn ein anderer von „Erderwärmung“ spricht, klingt das durchaus positiv nach wohligem Kaminfeuer und lauen Sommerabenden.
Können Sie es überhaupt beantworten?
Das kann ich nur im Kontext: Wer überzeugt davon ist, dass wir das politische und gesellschaftliche Handeln radikal umstellen müssen, um auch zukünftig Lebensräume für Pflanzen, Tiere und Menschen zu erhalten, und das auch ausdrücken möchte – dann leistet „Erderhitzung“ das eben deutlich besser als „Erderwärmung“. Nachteile gibt es da gar nicht. Die würden sich erst dann ergeben, wenn eine der sprachlichen Varianten verboten, unterdrückt und sanktioniert würde, wie das in Diktaturen gang und gäbe ist.

Kann man dennoch Sprache gezielt verändern?
Sprache eher nicht – um etwas wirklich „Sprachwandel“ zu nennen, legen wir in der Linguistik recht hohe und auch sprachgeschichtlich sehr langfristige Maßstäbe an. Sprachgebrauch aber ändert sich natürlich dann, wenn die mit den jeweiligen Wörtern verbundenen Sichtweisen sich gesellschaftlich immer mehr durchsetzen. Wichtig ist aus diskursanalytischer Sicht: Darüber, ob sich der Sprachgebrauch ändert, entscheiden am Ende nicht diejenigen, die sprachlich eine bestimmte Absicht verfolgen. Sondern das tut die Sprachgesellschaft, die deren Art, zu sprechen, annimmt oder verweigert. Die Vorstellung, die manchmal nahelegt wird, Sprache sei eine Art magisches Gift, das andere Menschen von jetzt auf gleich ganz anders denken lässt, ist für plurale Öffentlichkeiten einfach nicht zutreffend. Diese Vorstellung ist es ja, die oft auch unter dem etwas trivialisierten Gebrauch des ursprünglich linguistischen Ausdrucks „Framing“ verstanden wird. Denn im öffentlichen Raum steht eben immer jemand mit dem geeigneten Gegengift bereit, und es muss sich zeigen, welches stärker – in dem Fall plausibler – ist. Rede und Gegenrede, das war schon die Überzeugung der antiken Rhetorik, sind das A und O demokratischer Gesellschaften.
Verfolgt man die Diskussionen, vor allem in den sozialen Medien, könnte man meinen, dass es nur zwei Lager gibt: „Klimaleugner“ stehen „Klimaspinnern“ gegenüber. Abwertende Begriffe wie diese tragen nicht unbedingt dazu bei, sich anzunähern, oder?
Es ist aus linguistischer Sicht nicht begründbar und wäre am Ende auch müßig, soziale Medien als solche als etwas Negatives zu brandmarken. Sie haben ein sehr positives Potenzial, das sie gerade in Diktaturen auch entfalten. Denken Sie etwa daran, wie viel wir über die Proteste im Iran in den vergangenen Monaten nur über diese Kanäle erfahren haben. Da sind die sozialen Medien meinem Eindruck nach auch wesentlich hartnäckiger als die journalistischen Medien. Die scheinen mir auf der Jagd nach Aktualität etwa dieses ungeheuer wichtige Thema inzwischen weitgehend aus dem Blick verloren zu haben.
Was sehen Sie an den sozialen Medien als problematisch?
Wenn wir an Rede und Gegenrede denken, ist es gar nicht wichtig, ob sich zwei politische Gruppierungen mit unterschiedlichen Positionen „verstehen“. Es geht darum, dass wir als Gesellschaft, als Dritte gewissermaßen, zu einem Urteil kommen. Es geht um Willensbildung, wie sie unser Grundgesetz etwa den Parteien als Aufgabe zuweist. Diese „Dritten“ sind nun aber durch die sozialen Medien permanent und in hohem Maße selbst Teil der publizierten Öffentlichkeit und im permanenten Meinungsstreit. Das führt zu einer Art Erhitzung der Debatte, die sicher oftmals in Sackgassen führt, nur noch Echokammern der Selbstbestätigung erzeugt und einen echten, fruchtbaren Diskurs langfristig unmöglich macht. Dass das in vielen Fällen natürlich durch Algorithmen, die an ökonomischen Interessen ausgerichtet sind, verstärkt wird, wissen wir. Insofern wünsche ich mir schon seit längerem ein öffentlich-rechtliches soziales Netzwerk, habe aber leider noch keine rechte Idee, ob und wie es funktionieren könnte.

In anderen Interviews haben Sie die Verwendung des Ausdrucks „problemgerechte Sprache“ vorgeschlagen. Was ist damit gemeint?
Ich habe darauf hingewiesen, dass der Ausdruck „klimagerechte“ Sprache, der von Vertreterinnen und Vertretern einer drastischeren Semantik bisweilen gebracht wird, aus linguistischer Sicht nicht ganz korrekt ist. Man wird nicht eigentlich dem Klima gerecht, weil es keinen direkten Zusammenhang zwischen Klima und sprachlicher Angemessenheit gibt. Sehr wohl kann man aber linguistisch beschreiben, wie das ganz grundsätzlich funktioniert, wenn wir andere Menschen auf Gefahren und drängende Probleme hinweisen wollen. In der gesprochenen Sprache machen wir das ganz viel nonverbal – wir werden lauter, sprechen vielleicht schneller, wiederholen Appelle, nutzen Gesten und Blicke. Wo diese Kanäle fehlen und man rein aufs Verbale angewiesen ist, bleibt uns die Forcierung auf semantischer Ebene. Und insofern geht es den betreffenden politischen Gruppen eben darum, „problemgerecht“ zu sprechen, Dringlichkeit zu kommunizieren. Das passt übrigens auch zu nicht-sprachlichen Kommunikationsformen, die damit korrespondieren. Wenn Mitglieder der „Letzten Generation“ Straßen blockieren, um damit ganz gezielt unser aller Alltag zu stören, dann geht es um Drastik. Dann wollen sie eben nicht auf den „Klimawandel“ aufmerksam machen, sondern auf die „Klimakrise“ oder eher die begonnene „Klimakatastrophe“.
Besteht beim Gebrauch von „Katastrophenvokabular“ die Gefahr, dass sich Begriffe abnutzen?
Ja, natürlich verlieren sie ihre alarmierende Wirkung. Solange sie für so große Aufregung und bei manchen für Ablehnung sorgen, wissen wir, dass sie noch „scharf“ sind. Abgenutzt sind sie dann, wenn sie nicht mehr auffallen. Wenn sie „unmarkiert“ gebraucht werden, würden wir linguistisch sagen. Das heißt: Es kommt der Punkt, an dem wir sie hören und selbst verwenden, ohne dass wir damit bewusst eine spezielle politische Position vertreten. Wenn das aber geschieht, ohne dass sich unser Handeln in Bezug auf die eigentliche Herausforderung entscheidend verändert hat, dann ist das natürlich problematisch. Allerdings müssen wir uns keine Sorgen machen: Sprache basiert nach Humboldt auf dem unendlichen Gebrauch endlicher Mittel – es werden neue Ausdrücke aufkommen, die dann diese Funktion übernehmen. Sprache ist immer dynamisch und bleibt nie stehen. Das macht sie so leistungsfähig.
Gab es in der Geschichte schon einmal eine Sprachdebatte, wie wir sie aktuell erleben?
Sie kommt den Zeitgenossen immer besonders heftig vor, weil sich die Heftigkeit eigentlich gar nicht aus der Sprache selbst ergibt, sondern aus den politischen Auseinandersetzungen, in denen sie genutzt wird. Die Rüstungsdebatten um Aufrüstung und Nachrüstung im Zusammenhang mit dem Nato-Doppelbeschluss in den 1970er und 80er Jahren beispielsweise wurden ebenso erbittert über Sprache ausgetragen. Viele fühlten sich – auf beiden Seiten – existenziell bedroht. Insofern würde ich sagen: Es ist doch völlig richtig, dass wir über eine Frage wie die Klimapolitik heftig streiten. Es geht doch um was. Es ist fast befremdlich, dabei sprachliche Samthandschuhe zu erwarten.

In anderen Fällen allerdings nutzen gerade Populisten die Möglichkeit aus, von vielen als neu empfundene Ausdrucksvarianten zu einem großen Problem zu erklären. Die leidige Debatte ums Gendern beispielsweise ist eine reine Phantomdiskussion. Da können wir nur sagen: Gendern Sie oder lassen Sie es – es wird am Ende nicht über die Qualität unserer nahen und fernen Zukunft entscheiden. Ob uns Geschlechtergerechtigkeit gelingt, dagegen schon. Da sollten wir tatsächlich viel eher heftig über Klimapolitik streiten.
Würden Sie sich wünschen, dass die Linguistik als wissenschaftliche Disziplin mehr gehört wird?
Ja, das wünsche ich mir. Die Linguistik hat sich gerade in Deutschland lange kaum als Beratungswissenschaft verstanden und sich weitgehend auf Beschreibung beschränkt. Aber wir sind nun mal das einzige Fach, das sich wirklich ausschließlich mit dem wichtigsten Werkzeug des sozialen Wesens Mensch befasst: seiner Sprache. Sprache schafft Gesellschaft. In der heutigen Generation von Linguistinnen und Linguisten gibt es eine zunehmend größere Zahl von Leuten, die finden, dass daraus eine Bringschuld unseres Fachs erwächst. An der Universität Magdeburg etwa haben wir eine Forschungs- und Beratungseinrichtung aufgebaut, die Arbeitsstelle für linguistische Gesellschaftsforschung, die in diesem Sinne arbeitet und inzwischen mit ganz unterschiedlichen Partnern aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft kooperiert.
Wie kann die Linguistik helfen?
Politische Sprachberatung wird ja häufig – und oft unter Einsatz von sehr viel Geld – von Leuten aus der politischen und journalistischen Praxis geleistet. Das hat zweifellos seine Berechtigung und natürlich den Vorzug von Erfahrungs- und Handlungswissen. Unsere Stärke ist dagegen das in den letzten 50 Jahren in großem Umfang gewachsene Arsenal an analytischen Methoden und theoretischem Verständnis von Sprache und ihrer gesellschaftlichen Rolle in der akademischen Linguistik. Dieses Arsenal können wir nur mit den Akteuren in Politik, Medien und Gesellschaft zusammen fruchtbar anwenden.