Noch nie waren die Meere so warm wie in diesem Jahr. Der Stress für Tiere und Pflanzen nimmt zu. An der andalusischen Küste bei Malaga sorgen sich Taucher um die Vielfalt des Lebens im Meer.
Das passende T-Shirt zur Aktion liegt schon bereit. Bevor sie es überstreift, hält es Gema noch schnell in die Kamera, um stolz das Comic auf der Brust zu zeigen: Ein Taucher mit Besen in der Hand lehnt an einer Erdkugel, die er wohl gleich putzen will. Der Schriftzug erklärt: „La gran limpieza internationale de fondos marinos y playas“ – die große internationale Meeresboden- und Strandsäuberung.
An diesem Sonntagmorgen im September herrscht schon ein ziemliches Treiben an einem Treffpunkt am weiten Strand von La Cala del Moral vor den Toren Malagas. Infotafeln sind aufgebaut, geschäftig werden noch jede Menge Utensilien bereitgelegt. Zwischen den Aktivistinnen und Aktivisten muss Gema unser Gespräch immer wieder unterbrechen, weil noch einiges zu regeln ist, bevor es losgeht. Immer mehr Menschen versammeln sich am Treffpunkt der Foundación Aula del Mar Mediterráneo (FAMM), einem Netzwerk zum Schutz des Meeres.
Einige Meter weiter, im Schatten von Palmen, sitzt Vernan auf einer kleinen Mauer an der Strandpromenade. Letzte Vorbereitungen für seinen Einsatz. Er zieht, wie seine Freunde neben ihm, noch einmal seinen Neopren-Taucheranzug zurecht, neben ihm warten die großen Flossen. Für das immer lebhafter werdende Treiben wenige Meter weiter am Strand hat er ebenso wenig einen Blick wie seine Tauchkameraden. Einige haben bereits die Sauerstoffflaschen auf dem Rücken. Allesamt erfahrene Taucher von Eco-Dive Malaga, die an diesem Sonntagmorgen neben der Leidenschaft fürs Tauchen ein zusätzliches Interesse zu diesem Treffpunkt zusammengeführt hat und letztlich mit denen verbindet, die wenige Meter weiter inzwischen dabei sind, untereinander Plastiktüten zu verteilen.
Es ist World Cleanup Day. Für die einen heißt das, am Strand von La Cala del Moral Müll einsammeln, für Vernans Tauchergruppe heißt es: aufräumen im Meer.
Junge Familien schwärmen am Strand aus, Kinder zeigen ihren Eltern, was sie eingesammelt haben, bevor die Fundstücke in die Plastiksäcke wandern. Der breite Sandstrand wird aufwendig gepflegt, Sauberkeit ist ein hohes Gut für die Gemeinde, für die die Einnahmen aus dem Tourismus ein wesentlicher Wirtschafts- und Arbeitsplatzfaktor sind. Trotzdem werden die vielen freiwilligen Aufräumhelfer alle schrittweit fündig, die Säcke füllen sich. Die Aktion hat schon eine kleine Tradition. Selbst Spaniens Altkönigin Sophia hat sich hier schon mal als Müllsammlerin betätigt.
Die quirlige Gema wird nicht müde, vom biologischen Reichtum und der Vielfalt des Lebens im Meer vor dieser Küste zu schwärmen. Und natürlich dafür zu werben, dass alles unternommen werden muss, um diesen Reichtum zu bewahren.
Vernan ist inzwischen nicht mehr zu sehen. Er kann diesen Reichtum unter der Meeresoberfläche inzwischen an sich vorbeiziehen lassen. Der Taucher dürfte sich jetzt mit seinen Freunden irgendwo da draußen viele Meter tief im Meer rumtreiben, unter den Kajaks, die die Tauchtruppe begleiten, um den Müll aufzunehmen, den Vernan und seine Freunde aus dem Meer zurückbefördern.
Ein paar Tage nach dem Cleanup-Tauchgang erfahren wir in einem kleinen Café in La Cala del Moral von Vernan mehr darüber, was sich in den letzten Jahren verändert hat: im Meer, das er als Taucher so liebt, in der Gesellschaft, die sich mit den spürbaren Folgen des Klimawandels auseinandersetzen muss, im gesamten Leben an der Küste, das sich darauf einstellen muss, wie sich das Meer verändert.
CO2-Speicher Seegras geht zurück
Was sich verändert, dafür braucht Vernan keine Klimaschutzberichte und Statistiken. Er erlebt es als Taucher. „Früher sind wir ins Wasser gegangen, und es war kalt, wenn man jetzt hineingeht, ist es wie einer Suppe.“
In diese „Suppe“ haben die Umweltschutzbesorgten auch diesmal so einiges rausgefischt, was leider in einer gewissen Strandnähe zu erwarten war: Dosen, Flaschen, Zigarettenstummel – und vor allem Plastik. Viel Plastik, das sich rausfischen lässt, im Gegensatz zum unausrottbaren Mikroplastik.
Die Taucher holen nicht alles raus, was eigentlich nicht ins Meer gehört. „Wenn wir Autoreifen fanden, in denen es bereits Meerestiere gab, wurde das respektiert, weil es bereits in das Ökosystem aufgenommen worden war.“ Vernan berichtet das in einem ruhigen Ton, als wäre es einigermaßen normal, dass Autoreifen in Küstennähe auf dem Meeresboden rumliegen. Vermutlich ist es das sogar.
Dann greift er ein Stichwort auf, das auch schon bei Gema Tage zuvor am Strand immer wieder gefallen ist: Posidonia. Eine Art Seegras, auch Neptungras genannt, das den Umweltaktivisten gleich aus einer Vielzahl von Gründen große Sorgen macht. Wenn Seebälle (auch Neptunbälle genannt) aus herausgerissenem Seegras angespült werden, enthalten die zunehmend mehr Plastik und Mikroplastikbestandteile. Ein Hinweis darauf, was sich im Meer entwickelt. Und: Posidonia spielt eine höchst bedeutsame Rolle für das Klima und küstennahe Ökosysteme. Der spanische Meeresbiologe Carlos Duarte verweist darauf, dass Seegraswiesen doppelt so viel CO2 speichern können wie etwa eine gleich große Fläche tropischen Regenwaldes. Es nimmt viele über Flüsse angespülte Nährstoffe auf, wirkt damit wie eine Kläranlage, und ist Lebensraum für eine große biologische Vielfalt. Wenig verwunderlich, wenn der Taucher angesichts des Rückgangs von Posidonia sorgenvoll ist. „Ich weiß nicht genau, was der Grund ist, dass es verschwindet“, sagt Vernan, und räumt auch ein, dass es keine Entwicklung ist, die sich schlagartig in kurzer Zeit vollzieht. „Aber was ich von meinen Tauchlehrern gehört habe ist, dass es mit Posidonia wirklich abgenommen hat.“ Und das zeigen auch entsprechende Untersuchungen.
Der Meeresbiologe Gabriele Procaccini aus Neapel hat schon vor Jahren in einem Beitrag von „Euronews“ darauf hingewiesen: „Posidonia Oceanica wächst sehr langsam. Der Anker eines großen Schiffs kann ein Quadratmeter Posidonia-Unterwasserwiesen zerstören. Für die Heilung dieser Narbe braucht die Natur Hunderte von Jahren. Wir haben einige Posidonia-Wiesen auf ein Alter von 2.000 bis 3.000 Jahren datiert. Stellen Sie sich nur die Folgen vor, wenn wir all diese Posidonia-Wiesen vernichten würden.“
So wie er die Folgen der steigenden Temperaturen registriert. Nicht nur, dass sich das Meer für den Taucher wie eine „Suppe“ anfühlt. „Die Umgebungstemperatur ist gestiegen, auch nachts. Es ist ziemlich heiß. Ich erinnere mich, dass es vor sechs oder sieben Jahren nicht so war.“ Und das hat Folgen: „Es beeinflusst negativ, weil es alle Meerestiere verwirrt, aber auch die Vögel. Sie müssen in kältere Gebiete gehen. Und wenn sie spüren, dass es insgesamt wärmer wird, und die Temperaturen nicht so sind, wie sie sein sollten, werden sie verwirrt, und ich denke, das zerstört dieses Leben.“
„Politiker werden umweltbewusster“
Die Fischbestände in der Region vor der andalusischen Küste sind teilweise erkennbar zurückgegangen. Der Markt reagiert darauf offenbar erstmal mit der ihm eigenen Art: „Es gibt weniger Menge und einen höheren Preis“, beobachtet Vernan. Gleichzeitig schätzt er aber, dass sich zumindest die lokale und regionale Fischerei an die Regeln für den Fischfang hält, was nicht zuletzt wohl auch damit zusammenhängt, dass das einigermaßen streng kontrolliert wird.
Was sich aber für den Taucher nach wie vor erkennbar negativ bemerkbar macht, sind die Folgen touristischer Aktivitäten auf dem Meer. Motorboote würden für Verschmutzungen sorgen, und auch eine Umstellung auf elektrogetriebene Boote wäre keine hundertprozentige Lösung, denn die Verschmutzungen würden häufig von den Schmierstoffen der Schiffsschrauben herrühren.
Insgesamt meint Vernan aber, dass einiges in Bewegung gekommen ist, und beobachtet eine interessante Entwicklung: „Ich denke, dass Politiker im allgemeinen immer umweltbewusster werden und anfangen, Dinge zu tun, Maßnahmen zu ergreifen. Aber es gibt noch viel zu tun, vor allem, was das Bewusstsein der Menschen betrifft, mehr noch als das der Politiker.“
Da ist einmal Müllsammeln am Strand am World Cleanup Day zwar eine schöne Sache, es ändert aber noch nicht allzu viel im allgemeinen Bewusstsein.
Die Schließung der „Aula del Mar“ in Malaga in diesem Jahr war da auch kein besonders hilfreiches Signal. Der „Sea Classroom“ („Klassenzimmer des Meeres“) war vor 1989 gegründet worden, als Initiative, um die Bevölkerung für die Meeresumwelt zu sensibilisieren. Vom Einbruch während der Pandemie hat sich die „Aula del Mar“ trotz einer Zwischenfinanzierung nicht erholt, und die Regionalverwaltung konnte sich nicht auf eine weitere Finanzierung verständigen. Die Stiftung FAMM will aber mit Aufklärung und anderen Aktivitäten weitermachen.
Und die Tauchergruppe mit Vernan wird weiter dabei sein. „Ich liebe die See, ich liebe, zu schwimmen, zu tauchen. Man fühlt sich wie ein Astronaut in einer anderen Welt“, schwärmt er. Und für den Erhalt der Schönheit und Vielfalt dieser „anderen Welt“ unter Wasser will er sich weiter einsetzen.