Alle reden von Klimawandel. Hamburg auch. Denn der Meeresspiegelanstieg und Flutkatastrophen machen auch vor Deutschland nicht Halt. Die globale Erwärmung fordert Bürgerinnen und Bürger heraus – und die Stadt versucht sich anzupassen.
Im deutschen Norden hat man nicht nur kühle Köpfe, sondern auch kühles Wetter. So lautet ein gängiges Vorurteil. Hamburger, die Besuch haben oder verreisen, müssen sich oft anhören, ihre Stadt sei zwar kulturell und städtebaulich cool, aber das Wetter auch. Ob Letzteres so ist, darüber kann man mit Hamburgern trefflich streiten. Fakt ist: Die Freie und Hansestadt an der Elbe erlebte in den vergangenen Jahren immer wieder heiße Sommerwochen, während der Süden in Regen, Sturm und sogar Hagel versank.
Ist die Wärme Hamburgs eine Folge des Klimawandels? Laut Meteorologen der Zwei-Millionen-Metropole durchaus. Messungen der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft sagen: Die Temperaturdaten spiegelten „die globale Erwärmung deutlich wider“. Gebietsmittelwerte aus dem Messnetz zeigten: „Bei allen relevanten Indikatoren ist der Temperaturanstieg klar erkennbar.“
Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) weiß, dass Hamburg trotz der Uferbefestigungen ein Problem hat. „Der Anstieg des Meeresspiegels ist weltweit ein existenzielles Thema für viele Städte und Regionen“, sagte er vor wenigen Wochen als Gastgeber der Internationalen Meeresspiegelkonferenz.
Als seriös geltende Berechnungen sagen, der Meeresspiegel werde durch die Auswirkungen des Klimawandels bis zum Jahr 2100 weltweit um einen Meter steigen. Die Gefahr von Hochwasserereignissen werde größer, auch in Bereichen, die heute geschützt sind. Dazu gehören die Altstadt der traditionsreichen Insel Finkenwerder, das Werksgelände des europäischen Flugzeugherstellers Airbus und weite Fläche des Alten Lands, wo große Apfel-, Birnen- und Kirschplantagen stehen. Das erschreckende Szenario ist Teil einer neuen Simulation, die ein Forscherteam von der Hafencity Universität erstellt hat.
Auch Starkregenereignisse belasten die Stadt mit Deutschlands größtem Hafen des Öfteren. Dann laufen in zahlreichen Stadtteilen die Straßen, Keller oder Hauseingänge voll. Für die Feuerwehr bedeutet das „Land unter“ und Großkampftag.
Damit sich Immobilienbesitzer, Hauswarte oder Gebäudeverwaltungen rechtzeitig wappnen können, wenn die Regengüsse zu Sturzfluten werden, bietet der Versorger „Hamburg Wasser“ online eine sogenannte Starkregenhinweiskarte an. Die „wasserwirtschaftliche Planungshilfe“ ermöglicht jedermann beim Heranziehen dunkler Wolken eine erste Beurteilung möglicher Gefährdungen abzurufen – bis hin zu seiner Haustür. Dafür werden Radardaten des Deutschen Wetterdienstes und Regendaten eigener Messstellen kombiniert und alle fünf Minuten aktualisiert.
Gefahren durch Wasser lauern in Hamburg aber nicht nur von oben, sondern auch von der Elbe. Die erreicht hier nach ihrem 620 Kilometer langen Lauf von der Quelle auf einer Wiese im tschechischen Riesengebirge immerhin eine Breite von drei Kilometern. Das heißt: Durch die Stadt fließen enorme Wassermassen. Schon immer war das ein Problem für die dort lebenden Menschen.
60 Deiche brachen bei Sturmflut 1962
Die besondere Herausforderung Hamburgs ist: Die Stadt ist zwar rund 100 Kilometer von der Nordseeküste entfernt, aber Ebbe und Flut wirken sich bis hinter den Überseehafen auf die Elbe aus. Bei ablaufendem Wasser sinkt der Pegel durchschnittlich auf 1,60 Meter unter Normalhöhennull, bei auflaufendem Wasser steigt er auf 2,11 Meter über Normalnull. Das heißt, dass Hamburg genauso wie die Meeresanrainer im angrenzenden Niedersachsen und in Schleswig-Holstein sorgfältigen Küstenschutz betreiben muss. Und da sind ja noch die kleineren Flüsse Bille, Kollau und Alster, die mitten durchs Stadtgebiet fließen.
Die emsigen Versuche der Neuzeit, Hamburg gegen Überflutungen abzuschotten, hängen mit einem schon zwei Generationen zurückliegenden Wetterereignis zusammen. Bei der Sturmflut vom 16. auf den 17. Februar 1962 drückte das Orkantief Vincinette (die Siegreiche) aus West bis Nordwest so stark auf die ganze deutsche Nordseeküste, dass die Flüsse nicht mehr ins Meer fließen konnten. Auch am Unterlauf der Elbe mit seinen damals ungesicherten Nebenflüssen staute sich das Wasser auf. Zuvor hatten die Behörden falsch behauptet: „Zu einer Katastrophe kann es nach menschlichem Ermessen nicht kommen.“
Den Beruhigungstönen zum Trotz stiegen die Wasserstände bei der Sturmflut jedoch so hoch wie nie – und das zu nachtschlafender Zeit. Genau 60 Deiche brachen. Fast 20 Prozent des Hamburger Stadtgebietes wurden überschwemmt. Im Hafen versagte die Elektrizität.
Besonders schlimm traf es die eingedeichte Insel Wilhelmsburg. Das tosende Elbwasser überschwemmte rasend schnell auch andere tiefer liegende Gebiete. Bald stand das Elbwasser in Hamburg so hoch, dass ungezählte Häuser und Wohnblocks derart tief versanken, dass die Menschen sich bei eiskalten Temperaturen sogar auf die Dächer retten mussten. Manche stiegen in Bäume, wo sie sich den Orkangewalten ausgesetzt festkrallten und Stunde um Stunde auf Rettung hofften. Bei manchen dauerte es bis zur Bergung zehn Tage.
„Die Hilferufe und Schreie dieser Menschen, dazu den heulenden Sturm und das unheimliche Rauschen des Wassers wird keiner vergessen können“, berichtet der Überlebende Johannes Tönnies. Tausende verloren in dieser schlimmsten Nacht Hamburgs seit dem großen Brand von 1842 ihre Habe oder wurden obdachlos. Etwa 20.000 Menschen wurden in den darauffolgenden Tagen evakuiert, rund 2.000 aus unmittelbarer Lebensgefahr gerettet.
Für 315 Bürgerinnen und Bürger kam damals jede Hilfe zu spät – sie ertranken oder starben an Erschöpfung. Noch Schlimmeres verhinderte der beherzte Eingriff des Innensenators Helmut Schmidt, der entgegen der Verfassung kurzerhand die Bundeswehr mit Soldaten und Hubschraubern einsetzte. So begründete der Sozialdemokrat seinen Taffheitsnimbus und bestätigte ihn später in Krisensituationen als Bundeskanzler.
Küstenschutz weiter ausgebaut
Die Sturmflut war für Hamburg eine Zäsur. Politik und Behörden begriffen, dass sie sich seit der letzten zerstörerischen Sturmflut 1855 trügerisch in Sicherheit gewiegt hatten. Nun kamen gravierende städtebauliche und verwaltungsorganisatorische Mängel ans Tageslicht. Die Deiche waren technisch unzureichend und teilweise schlecht gepflegt. Auch andere Hochwasserschutzeinrichtungen waren nicht auf Untergangsszenarien ausgerichtet.
„Ist Hamburg heute besser auf einen Katastrophenfall vorbereitet als 1962?“, fragte die meistgelesene Zeitung der Stadt vergangenes Jahr zum 60. Sturmflut-Gedenktag. „Ja“, sagt der hamburgische Senat und verweist darauf, dass die Deiche in den vergangenen Jahrzehnten regelmäßig erhöht und verstärkt worden seien. Das Alarm- und Poldersystem sei immer wieder justiert worden – ein dauernder Lernprozess, denn die Elbe zeigte sich immer wieder unerwartet ungebärdig.
So kam eine Sturmflut im Jahr 1976 auf den Pegelstand von 6,45 Meter über Normalnull (NN). Das überstieg die 1962 erreichte Maximalhöhe von 5,78 Metern bei Weitem. Die Schutzmaßnahmen hatten nichts ausgerichtet: Die Schäden betrugen gut 750 Millionen Mark. An einem Kai für die Abfertigung größter Containerschiffe verschob die Sturmflut 1976 ganze Güterzüge. Auch die Hochwasser 1994 und 1995 stiegen über die Sechs-Meter-Marke.
Welche Sisyphusarbeit der Stadtstaat leisten muss wird klar, wenn man weiß, dass es um rund 140 Kilometer Deiche geht. Etwa ein Viertel davon sind Sekundärdeiche, also die zweite Linie hinter Schleusen oder Sperrwerken. Im Lauf der Geschichte wurden dort Häuser und Straßen herangebaut, selbst auf der Deichkrone. Die Erdwälle wurden fast unsichtbar und verschwanden aus dem Blick. Nun brauchte man sie wieder – für den Hochwasserschutz. Beim Küstenschutz in Hamburg ging es aber nicht nur darum, immer höher zu gehen, sondern auch um ganz praktische Details. So bekamen Anwohner an den nicht sicherbaren Uferabschnitten wie am Strand des Uferviertels Blankenese staatliche Zuschüsse für den Bau stabiler Gartenmauern. Auch die Installation abschottbarer Gartentüren und versiegelbarer Fensterläden wurde gefördert. Jeder Haushalt in den bedrohten Gebieten wird einmal im Jahr auf die Auswirkung möglicher Hochwasserereignisse hingewiesen. So schafft man Gefahrenbewusstsein.
An Hamburgs Schmuckstrecke, entlang der Straßen Johannisbollwerk/Vorsetzen/Baumwall im Angesicht der Elbphilharmonie, gelang an der Überseebrücke sogar ein architektonischer Wurf. Hier ist der sperrige Deich aus Beton zum Schmuckdeich geworden und als solcher nicht erkennbar. Denn er wurde als attraktive Flanierpromenade mit bestem Blick auf den Elbstrom und den gegenüberliegenden Hafen gestaltet. Das kostete rund 120 Millionen Euro.
In der Nachkriegszeit war man rustikaler, aber ebenfalls wirksam vorgegangen: Am kilometerlangen Ufer der Elbvororte wurde der Strand einfach einige Meter hoch mit Bombentrümmern befüllt und darüber mit Sand bespült. Damit er vom Wasser nicht wieder weggerissen wurde, schichtete man am Ufer kilometerlang bleischwere Schlackesteine auf – ein nützliches recyceltes Abfallprodukt aus der Aluminiumhütte im Hafen.
„Wir schauen jetzt schon auf 2150“
Dennoch bemängelte die oppositionelle CDU in Hamburg kürzlich, der rot-grüne Senat tue immer noch zu wenig gegen extreme Hochwasser. „Die von Fluten ausgehende Gefahr ist seit Jahrzehnten bis in die Gegenwart auch in Hamburg hochaktuell geblieben“, heißt es in einem Antrag, den die Christdemokraten in der Bürgerschaft einbrachten. Denn Dynamiken wie der Klimawandel und damit einhergehende höhere Wasserstände, und politische Entscheidungen wie die Elbvertiefung, „fordern präventive Maßnahmen, welche weit über den reinen Deichschutz hinausgehen.“
Die besorgten Politiker Hamburgs fordern ein hochmodernes, aktualisiertes Sicherheitssystem und bessere Prognosen für die Bevölkerung über potenzielle Flutkatastrophen. Zudem solle der Senat die „in Katastrophenfällen oft ausfallenden Kommunikationssysteme“ überprüfen sowie Evakuierungspläne, einen „Hochwasserrisikomanagementplan“ und eine angepasste Deichverordnung ausarbeiten.
Die Stadt selbst glaubt, das im Griff zu haben. Gabriele Gönnert, die für den Hochwasserschutz zuständig ist, versicherte in einem Interview: „Wir schauen jetzt schon auf das Jahr 2150 und bereiten uns in kleinen Steps vor.“ Dazu gehöre das Beschaffen von Flächen für den Küstenschutz. Das ist in einer eng bevölkerten Stadt nicht gerade einfach und auch nicht billig. Geplant ist, die Hamburger Deiche um fast einen weiteren Meter auf 8,30 bis zehn Meter über Normalhöhennull aufzustocken.
Sind die Hamburger nun wegen des Klimawandels besonders besorgt? Eine repräsentative Studie des Helmholtz-Zentrums Hereon zeigt: Im Großen und Ganzen bleiben die Hanseaten ihrem Nordlicht-Image entsprechend cool. Die überwiegende Mehrheit – vor allem Jüngere – meint, der Klimawandel werde frühestens in 30 Jahren ein Problem. Die Universität Hamburg erforscht nun mit den Volkshochschulen, wie sich Menschen besser auf das einstellen können, was da kommt. Für die Umstellung auf Erderhitzung und höheres Wasser muss man die coolen Hamburger nämlich noch erwärmen.