Die plötzliche Aufregung über die sich erwärmenden Ozeane ist verwunderlich, findet Ozeanograf Prof. Dr. Mojib Latif. Denn die Weltmeere erwärmen sich nicht erst seit gestern. Den Klimawandel kann man an ihnen wesentlich besser beobachten als an der Lufttemperatur.
Professor Latif, macht Ihnen als erfahrenem Klimaforscher die aktuelle Erwärmung der Ozeane Angst?
Angst würde ich nicht sagen. Aber es ist natürlich in verschiedener Hinsicht bedrohlich. Es verwundert mich eher, dass sich viele Menschen so darüber wundern, dass sich die Meere erwärmen. Wir sprechen schließlich über globale Erwärmung. Zwei Drittel der Erdoberfläche sind mit den Weltmeeren bedeckt. Da ist es doch selbstverständlich, dass sich nicht nur die Landregionen, nämlich ein Drittel der Erde, sondern auch die anderen zwei Drittel der Erde erwärmen. Wir beobachten diesen Trend schon seit Jahrzehnten.
Das Oberflächenwasser ist im globalen Mittel so hoch wie noch nie. Worauf ist all das zurückzuführen?
Es gibt verschiedene Erklärungen für verschiedene Regionen. Aber noch mal: Wir reden über globale Erwärmung. Das ist die Hauptursache und damit der Mensch. Der Ausstoß von Treibhausgasen erwärmt nicht nur die Landregionen, sondern auch die Meeresregionen. Die Meere reagieren träge und sind ein viel besserer Indikator für die Klimaerwärmung als die Lufttemperatur.
Neben der globalen Erwärmung wird sehr viel über das Phänomen El Niño und schwächere Passatwinde gesprochen. Können Sie erläutern, wie dies zusammenwirkt?
Es gibt ein Miteinander von langfristiger globaler Erwärmung und kurzfristigen natürlichen Schwankungen. El Niño ist eine kurzfristige Schwankung, die in die gleiche Richtung weist wie die globale Erwärmung. In den letzten Jahrzehnten waren El-Niño-Jahre häufig solche, in denen die globale Durchschnittstemperatur der Erde einen neuen Höchstwert erreicht hat. Dieses Phänomen spielt sich überwiegend im tropischen Pazifik ab und ist ein natürlicher Prozess, der alle paar Jahre auftritt. Das Wasser dort erwärmt sich. In der Folge erwärmen sich in den meisten Fällen auch der Indische Ozean und andere Meeresregionen. In Äquatornähe ist die Fläche sehr viel größer als oben am Pol und deswegen hat El Niño Einfluss auf die globale Durchschnittstemperatur. Doch auch ohne El Niño erwärmen sich die Weltmeere seit mehreren Jahrzehnten.
Dann gibt es die Passatwinde im tropischen Atlantik und im tropischen Pazifik. Weil sie zu einer Verdunstung führen, haben sie normalerweise einen kühlenden Effekt. Wenn die Passatwinde aber aus irgendeinem Grund geringer wehen, ist auch die Verdunstung schwächer, und die Meere erwärmen sich. Deshalb war jetzt der tropische Atlantik so außergewöhnlich warm. Zum Teil waren auch weiter nördlich in den mittleren Breiten die Westwinde etwas schwächer. Deswegen hatten wir auch im Nordatlantik sehr hohe Temperaturen. Es gibt aber noch weitere Prozesse.
Zum Beispiel?
Wenn die Passatwinde schwächer sind, wird weniger Saharastaub über den tropischen Atlantik geweht. Auch Saharastaub kühlt. Das ist ein regionales Phänomen, das zum Teil nur von kurzer Dauer ist. Die eigentliche Ursache für die stetig steigenden Temperaturen ist die globale Erwärmung.
Auch die Reduktion von Schiffsabgasen soll zu einer Erwärmung der Ozeane beitragen. Bedeutet das, wenn wir an einer Stelle ein Problem lösen, taucht an einer anderen Stelle ein neues auf?
So extrem würde ich das nicht sehen. Ich glaube nicht, dass die Schiffe global gesehen so eine große Auswirkung haben. Da, wo die Schiffsrouten liegen, mögen sie ein kleiner Faktor sein.
Aber man muss schon sagen: Unsere Luft ist nicht sauber. Durch die verschiedensten Emissionen wird nicht nur CO2 ausgestoßen, sondern auch Dreck – sogenannte Aerosole – und die kühlen eben. Angenommen, man würde all das abstellen, könnte sich die Erde tatsächlich noch mal um ein paar Zehntel Grade erwärmen. Das heißt, eine verbesserte Luftqualität würde tendenziell dazu führen, dass es noch wärmer wird.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler prognostizieren, dass 2024 eines der wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen werden könnte. Heißt das, auch die Meere werden noch wärmer?
Das kann man so nicht sagen. Was 2024 passiert, weiß man nicht. Natürlich gibt es die langfristige Erwärmung, aber ich habe auch von den kurzfristigen Schwankungen geredet. Momentan haben wir El Niño, was die Erwärmung kurzfristig verstärkt. Aber es kann gut sein, dass wir im nächsten Jahr das Gegenphänomen La Niña haben, das kühlt. Deshalb würde ich mich jetzt nicht zu solchen Prognosen hinreißen lassen. Solche kurzfristigen Vorhersagen sind extrem schwierig. Aber es deutet alles darauf hin, dass bereits dieses Jahr das wärmste Jahr seit Beginn der Messungen wird.
Also ist es möglich, dass sich die Ozeane wieder abkühlen?
Ja, aber nur kurzfristig und geringfügig. Sie werden sich langfristig über viele Jahre betrachtet noch mehr erwärmen. Die globale Erwärmung wird nicht anhalten, weder auf Land noch in den Ozeanen. Weil der Gehalt an Treibhausgasen in der Atmosphäre immer weiter ansteigt. Das Pariser Klimaabkommen und die ganzen Versprechungen sind alle nichts wert, solange der Anteil an Treibhausgasen in der Atmosphäre immer weiter steigt.
Das bedeutet, langfristig können wir nichts tun als weiterhin zu versuchen, unsere Klimaziele zu erreichen?
Man kann versuchen, sich auf den Landregionen irgendwie anzupassen. Aber es gibt auch Grenzen der Anpassungsfähigkeit – wenn man guckt, was für Regenmassen da herunterkommen können. Das hat auch mit den Weltmeeren zu tun, denn bei höheren Temperaturen steigt die Verdunstung an. Wärmere Luft kann auch dauerhaft mehr Wasser in Form von Wasserdampf aufnehmen, und dann kann bei entsprechender Wetterlage auch mehr Regen runterkommen. Insofern ist das, was wir gerade in Südeuropa erlebt haben, in Libyen, rund um das Mittelmeer, zum Teil auch eine Folge der Meereserwärmung. Denn auch das Mittelmeer hat sich massiv erwärmt.
Wir können die Erwärmung nicht zurückdrehen. Das Beste, was wir erreichen können, ist, dass die Erwärmung nicht weitergeht. Aber dazu müssten in den nächsten Jahrzehnten die Treibhausgasemissionen weltweit drastisch sinken. Und das passiert einfach nicht. Die Weltpolitik ist nicht bereit, gegen die Klimaerwärmung vorzugehen. Die Emissionen sind nach wie vor hoch und steigen sogar noch. Wenn man es wirklich auf den Punkt bringen möchte, könnte man sagen: Es gibt überhaupt gar keinen Klimaschutz.
Gab es in der Vergangenheit vergleichbare Phänomene, bei denen sich verschiedenen Faktoren gegenseitig verstärkt haben?
Das ist das Wesen des Klimas. Eiszeiten kommen deswegen zustande, weil es verstärkende Prozesse gibt. Und das ist bei der globalen Erwärmung auch der Fall. Große Klimaänderungen sind oftmals darin begründet, dass es nur relativ schwache Treiber gibt. Ich will es mal am Beispiel von CO2 erklären: CO2 an sich wäre gar nicht so ein großes Problem. Es würde eine Erwärmung bewirken, aber die wäre nicht so stark wie momentan oder wie sie vielleicht in der Zukunft sein wird. Das Problem sind die Verdunstung und der Wasserdampfgehalt der Atmosphäre. Wasserdampf ist das wichtigste Treibhausgas überhaupt, viel effizienter als CO2. Das Mehr an Wasserdampf sorgt für eine zusätzliche Erwärmung. Wenn nur CO2 das Problem wäre, wäre die Erwärmung mindestens um die Hälfte geringer, wahrscheinlich noch geringer, als sie es ohnehin ist.
Was sind noch verstärkende Prozesse?
Zum Beispiel der Rückgang der Schnee- und Eisflächen. Diese sind hell und reflektieren Sonnenlicht und das kühlt natürlich. Wenn diese Flächen immer weiter zurückgehen, ist diese Kühlung nicht mehr da. Die dunklen Wasser- und Landflächen absorbieren das Sonnenlicht, und das verstärkt noch die Erwärmung. Wir reden immer über CO2 und das ist auch richtig, weil das sozusagen die Hauptursache ist. Aber die verstärkenden Prozesse kommen noch dazu. Und das war in der Erdgeschichte auch so – sowohl bei Warmphasen als auch bei Eiszeiten. Sie sind es, die die Lage so dramatisch machen.
Meist ist nur von der Erwärmung des Oberflächenwassers die Rede, doch in der Forschung weiß man, dass auch in den Meerestiefen marine Hitzewellen stattfinden …
Genau, das ist auch nichts Neues. Wir wissen das schon lange. Was kaum jemand weiß: Die Weltmeere nehmen über 90 Prozent der Wärme auf, die wegen des Anstiegs der Treibhausgase in der Atmosphäre im System zurückbleibt. Stellen Sie sich mal vor, die Weltmeere würden das nicht machen. Dann hätten wir an der Oberfläche eine viel stärkere Erwärmung als wie wir sie jetzt haben. Wir sehen die Erwärmung bis in Tiefen von zwei bis drei Kilometern. Der Wärmeinhalt in den Weltmeeren ist ein wesentlich besserer Indikator für die Klimaerwärmung, weil er ohne große Schwankungen kontinuierlich nach oben geht. Insofern sollten wir uns nicht blenden lassen von den Oberflächentemperaturen, die eben doch ein bisschen hektisch sind.
Das Thema Erwärmung der Ozeane ist gerade medial sehr präsent. Wie bewerten Sie die Berichterstattung?
Ich finde es wichtig, dass der Fokus auch auf die Meere gelenkt wird – allerdings passiert das ein bisschen spät. Auch die Meeresorganismen leiden unter der Erwärmung, das tun nicht nur wir Menschen. Wir haben ein unglaubliches Korallensterben in den letzten Jahrzehnten gesehen. Das ist auch eine Folge der Meereserwärmung, weil die Korallen gleichbleibende Temperaturen gewöhnt sind. Und wenn es dann zu warm wird, kommt es zu der gefürchteten Korallenbleiche. Wenn die Erwärmung immer so weitergeht, kann es passieren, dass in einigen Jahrzehnten alle Korallen tot sind. Das muss man so deutlich sagen.
Gibt es Aspekte, die Ihnen in der Berichterstattung zu kurz kommen?
Die Weltmeere nehmen nicht nur Wärme auf, sondern auch CO2, und zwar ungefähr ein Viertel von dem, was wir derzeit ausstoßen. Und das führt zur Meeresversauerung. Wenn das Wasser immer saurer wird, gefällt das den Lebewesen auch nicht, und Kalk bildende Lebewesen bekommen immer größere Probleme. Ein weiterer Punkt ist, dass die Meereserwärmung für sich schon einen Meeresspiegelanstieg bewirkt. Denn jeder Körper, der sich erwärmt, dehnt sich aus – das nennt sich thermische Expansion. Lange Zeit war das der wichtigste Faktor für den Meeresspiegelanstieg und hat mehr als die Hälfte dazu beigetragen. In den letzten 20 Jahren hat sich das jedoch geändert. Jetzt trägt die Eisschmelze in Grönland und der Antarktis mehr als die Hälfte zum Meeresspiegelanstieg bei. Trotzdem ist die thermische Expansion immer noch ein extrem wichtiger Faktor in diesem Kontext.