Alle reden über die globale Erwärmung. Doch wenn über sie debattiert wird, geht es häufig nur um die Temperaturen an Land. Der viel größere Teil der Erde, die Meere, wurde lange kaum beachtet. Die Konsequenzen davon sind zunehmend spürbar.
Riesige Wassermassen spülen ein Meer aus Schlamm, abgebrochenen Betonpfeilern, Geäst, Plastik und rücklings treibenden Autos durch die Straßen – solche Bilder sind schon häufig um die Welt gegangen und doch lösen sie immer wieder das gleiche Gefühl der Ohnmacht aus. Das Sturmtief Daniel hat Mitte September nicht nur in Griechenland, Bulgarien und der Türkei schwere Überflutungen verursacht, sondern auch in Libyen Tausende Menschen ihr Leben gekostet.
Ausgelöst wurde es durch das ungewöhnlich heiße Spätsommerwetter im Mittelmeerraum, das einen „Medicane“ zur Folge hatte, einen Mittelmeer-Hurrikan. Laut dem „International Journal of Climatology“ entsteht der Medicane durch starke Temperaturunterschiede zwischen aufgeheiztem Meerwasser, warmer Luft und kalten Luftmassen, die aus dem Norden kommen. Doch das Wasser war nicht nur im Mittelmeer extrem warm. Forschende schlugen Alarm, weil bereits im März dieses Jahres die Oberflächenwassertemperatur der Ozeane im globalen Mittel so hoch war wie noch nie.
Expertinnen und Experten äußerten sich daher besorgt, zumal die Gründe dafür auf ein Zusammenspiel aus mehreren Faktoren zurückgehen, die sich gegenseitig überlagern. Darüber hinaus hieß es laut Science Media Center, die Intensität, die räumliche Ausdehnung und der Zeitpunkt des Phänomens seien überraschend. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler versuchen aus den noch unbekannten Rückkopplungseffekten schlau zu werden. Doch so eine überraschende Wirkung das Phänomen in diesem Jahr auch hinterließ –, dass sich die Ozeane erwärmen, ist schon seit Jahren bekannt, erinnert der Meteorologe, Ozeanograf, Klimaforscher und Präsident des Club of Rome Prof. Dr. Mojib Latif. Und der Grund dafür liegt auf der Hand: „Die globale Erwärmung“, sagt Latif.
Sie steht am Anfang und am Ende aller Kausalzusammenhänge und führt zu dem einen und einzigen Mittel, dass der Mensch dagegen hat: die Reduktion der Treibhausgasemissionen. Zwar werden sich die Ozeane vermutlich kurzfristig gesehen wieder abkühlen, langfristig allerdings genauso wenig wie die Landmassen, denn die globale Erwärmung lässt sich nicht zurückdrehen.
Ozeane haben ihr Gleichgewicht verloren
Das, was bereits im Argen liegt, kann nur in Teilen wieder gut gemacht werden. Denn das Gleichgewicht der Ozeane ist schon längst durcheinandergeraten. Eismassen schmelzen, die Meere versauern, sie sind überfischt, voller Müll und Plastik. Der Lebenszyklus vieler Arten wird gestört und ganze Nahrungsketten werden unterbrochen. Einzigartige Lebewesen wie Korallen, die maßgeblich dazu beitragen, dass das Ökosystem Meer funktioniert, sterben, und auch die Menschen bekommen die Konsequenzen zu spüren. Denn in den heißen Sommern findet man im Mittelmeer, das Badewannentemperatur hat, nicht nur kaum Abkühlung, sondern der ansteigende Meeresspiegel und die sich nachweislich ausdehnenden Wassermassen der Ozeane kommen auch dem Festland und damit der Zivilisation gefährlich nahe.
Fast 70 Staaten haben in diesem Jahr das UN-Hochseeschutzabkommen unterschrieben, mit dem das internationale Gut Hohe See, das zwei Drittel der Ozeane ausmacht, zukünftig besser geschützt werden soll. Denn bisher war alles, was 370 Kilometer vor der Küste liegt quasi rechtsfreier Raum – und damit auch schwer zu schützen. Das Abkommen soll dabei helfen, bis 2030 30 Prozent der Meeresgebiete unter Schutz zu stellen. Neben der EU haben die USA, China, Australien, Großbritannien und Mexiko unterzeichnet. 2025 soll in Nizza die nächste UN-Konferenz stattfinden. Dort soll ein Vertrag zum Schutz der marinen Biodiversität auf Hoher See verhandelt werden.
Und auch Deutschland hat die Dringlichkeit erkannt, mehr für die Meere zu tun. Im September 2022 hat die Bundesregierung eigens einen Bundesbeauftragten für Meeresschutz und Meeresbiologie ernannt. Sebastian Unger soll nationales und internationales Gesicht Deutschlands und Sprachrohr für die Meere sein. Denn Deutschland hat sich ebenfalls dazu verpflichtet, bis 2030 30 Prozent der Meere wirksam zu schützen.
Derzeit stehen laut Bundesregierung gerade mal acht Prozent der Weltmeere unter Schutz, 20 Prozent der Korallenriffe sind zerstört, 30 Prozent der Seegraswiesen und ganze 35 Prozent aller Mangrovenwälder. Es treiben mehr als 150 Millionen Tonnen Plastikmüll im Meer. Dazu kommt, dass das arktische Meereis in diesem Jahr deutlich langsamer wächst als in allen vorherigen Jahren seit Beginn der Aufzeichnungen. Bis zum Jahr 2100 wird ein Meeresspiegelanstieg von bis zu einem Meter prognostiziert, weshalb sich schon jetzt viele Städte um ihren Küstenschutz sorgen. Deshalb fand im Juni 2023 in Hamburg eine Küstenschutzkonferenz statt. Denn auch deutsche Städte sind vor einer derart großen Flutkatastrophe nicht geschützt.
Wie so häufig in der Geschichte der Menschheit, rückt erst spät etwas in den Mittelpunkt der Gesellschaft, das schon lange im Argen liegt. Und das, obwohl die Weltmeere ganze zwei Drittel des Erdballs ausmachen. Ein Zurück gibt es nicht, lediglich ein nach Vorne. Und die Weltgemeinschaft macht sich auf den Weg.