Nachhaltig, klimaneutral, grün – über die große Transformation wird in Deutschland heftig gestritten. An Andalusiens Küsten stehen die Zeichen eher auf blau. Mit dem Konzept der „economía azul“ will die Region im Süden Spaniens Vorreiter in Sachen ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit werden.
Mit dem Konzept der „blauen Wirtschaft“ grüne Politik machen. Was wie ein einigermaßen plakativer Polit-Werbe-Slogan klingt, nimmt in der autonomen Gemeinschaft Andalusien zunehmend konkrete Formen an. Der Anspruch ist jedenfalls ziemlich selbstbewusst: Andalusien soll zum „Maßstab für grüne Wirtschaft und Politik“ werden, und „führend im blauem Wachstum in Europa“, unterstreicht Ramón Fernández-Pacheco. Er ist Regionalminister für Nachhaltigkeit, Umwelt und blaue Wirtschaft, und – auch wenn solche Sätze ziemlich nach grünem Politiker klingen – Mitglied der konservativen PP, die seit der Regionalwahl im vergangenen Jahr in Andalusien alleine regieren kann.
Einer der treibenden Kräfte der Entwicklung zur economía azul ist der Alcalde (Bürgermeister) von Rincón de la Victoria, Francisco Salado, der zugleich Präsident der diputación provincial ist, einer Versammlung der Kommunen der Region, etwa vergleichbar mit dem Städte- und Gemeindetag.
Die Gemeinde Rincón, gut zehn Kilometer vor Málaga, hat mit La Noria einen „Innovationsknoten“, der die unterschiedlichsten Akteure aus dem öffentlichen wie privaten Sektor, auch aus dem gesellschaftlichen und sozialen Bereich sowie der Wissenschaft, zusammenbringen soll, um innovative und kreative Lösungen vor allem auch durch die Nutzung von gegenseitigen Synergien zu entwickeln, um die Region unter dem Label einer „blauen Wirtschaft“ umzustrukturieren und weiterzuentwickeln. Der Schwerpunkt von La Noria soll dabei auf sozialen Innovationen liegen, die neben den wirtschaftlichen und ökologischen Aspekten eine weitere zentrale Säule im Konzept der economía azul sein sollen. Konkret geht es dabei um die Stärkung des sozialen Gefüges, Gleichheit und Inklusion und nachhaltige, soziale Unternehmensinitiativen, wurde bei der Eröffnung vor zwei Jahren betont.
Die Idee der „Blauen Wirtschaft“ bezieht sich auf die großen globalen Nachhaltigkeitsziele der UN, für die die EU eine eigene Strategie formuliert hat, in deren Rahmen sie die Regionen unterstützt, die sich die Ziele zu eigen machen und in konkreten Projekten umsetzen wollen.
Blaue Wirtschaft meint zunächst einmal jede wirtschaftliche Tätigkeit, die in Zusammenhang mit Meeren und Ozeanen steht. Das hatte die EU schon relativ früh auf der Agenda. Die Schwerpunkte haben sich mit der Zeit weiterentwickelt, spätestens seit 2017 hat der Aspekt der Nachhaltigkeit.Das führte sogar dazu, das Konzept der Blauen Wirtschaft mit dem „Green Deal“ zu verbinden.
Die großen Felder der Blauen Wirtschaft sind Küstentourismus, Aquakultur, blaue Energie, blaue Biotechnologie und Meeresbodenbergbau.

Andalusien, das sich die Transformation zur Blauen Wirtschaft zum Ziel gesetzt hat, hat zunächst einmal ein Jahr eine sogenannte „Diagnosephase“ vorgeschaltet. Rund 350 Experten haben auf sieben großen Tagungen in den größeren Städten der Autonomen Gemeinschaft (Cadíz, Almeria, Málaga, Huelva, Motríl, Algeciras und Sevilla) über unterschiedlichste Schwerpunkte diskutiert und daraus erste Schlussfolgerungen für eine Strategie entwickelt, die auf einem Kongress Ende Juli vorgestellt wurden. Ziel bei allem ist ein Gleichgewicht zwischen ökologischer Nachhaltigkeit der Meeresküsten und Meeresumwelt und wirtschaftlichen Aktivitäten. Am Ende sollen Klimaneutralität und Null-Verschmutzung stehen.
Die Themen reichten von Schiffbau- und Zulieferindustrie, klimaneutrale Häfen, Meerwasserentsalzung, Algenkulturen, Recycling von Meeresabfällen, Biotechnologien, Tourismus bis hin zu Verwaltungsstrukturen und nachhaltiger Infrastruktur sowie Umweltbildung und Qualifikation. Letztlich waren damit eigentlich alle Lebensbereiche angesprochen. Beim Thema Erneuerbare Energien hat Andalusien im Übrigen eine ganz vorzeigbare Bilanz mit Investitionen von 1,3 Milliarden Euro im vergangenen Jahr.
„Blaues Wachstum in Europa“
Spannend wird die Entwicklung natürlich in dem Moment, wo es um die Umsetzung ganz konkreter Projekte vor Ort, also Veränderungen geht. Und da ist es Spanien gelegentlich nicht viel anders als hierzulande. Veränderungen stoßen nicht überall auf ungeteilte Zustimmung. Und manche Idee braucht auch schon mal länger.
Francisco Salado hat schon vor einiger Zeit die Idee eines künstlichen Riffs vor den Klippen von El Cantal ins Gespräch gebracht. Damit sollte gleich eine ganze Vielzahl von Aspekten der Blauen Wirtschaft berücksichtigt werden. Küsten- und Meeresschutz, das künstliche Riff soll aus natürlichen Materialien gebaut werden, es könnte eher sanften, umweltbewussten Tourismus fördern.
Wenn sich das Riff besiedelt, ist es nicht nur eine Bereicherung der ökologischen Vielzahl, sondern auch attraktiv für Taucher. Es gibt die Idee des „Blauen Weges“, 160 Kilometer entlang der andalusischen Küsten mit Schwerpunkten Natur, Erbe, Nachhaltigkeit, Sport, Kultur und Traditionen, einer Jábegas-Regatta (Jábegas ist eine eigene Bootsart der Provinz Málaga, deren Ursprünge auf 3000 Jahre Geschichte zurückblicken sollen), oder einen „Tag des viktorianischen Waldes“. Saldo schwebt vor, Umwelt, Tourismus, Sport und Kultur in der Gemeinde Rincón neu zu verbinden.
Die gesamte Großregion Málaga wird aber noch ganz andere Herausforderungen auf dem Weg zu einer blauen Wirtschaftsregion meistern müssen, allen voran Wohnungen und Verkehr. In Rincón sorgt der kostenfreie lokale Rincón-Bus sicher für Entlastung, löst aber nicht das Problem, dass die Gemeinde wächst und damit auch der Pendelverkehr. Die Zahl der Fahrzeuge auf der A 7 Málaga ist allein im vergangenen Jahr von 73.000 auf 76.000 gestiegen. Die Idee der Metropolregion, wie sie früher gedacht wurde, bezeichnete Salado auf einem Forum der Zeitung „Diario Sur“ als „alt und falsch konzipiert“.
Er will eine Überarbeitung und bis dahin erst einmal für Rincón eine geringere Wohndichte und ein „Nullwachstum“. Vor einer geordneten weiteren Entwicklung müssten erst einmal Fragen der Mobilität, des Wassermangels und öffentlicher Dienstleistungen geklärt werden.
Es sind Herausforderungen vor dem Hintergrund vergangener Entwicklungen zu bewältigen. Gleichzeitig geht es darum, die gesamte Region neu aufzustellen.
Was Salado für die Großregion Málaga – und ein bisschen auch mit für andere Teile Andalusiens – als Aufgabe formuliert: „Die Metropolregion existiert, wir müssen in Qualität und nicht in Quantität zusammenarbeiten.“
Damit klingt an, was die Ansätze von Green Deal und Blue Economy (economía azul) unterscheidet, so sehr sich viele konkrete Maßnahmen auch gleichen mögen. Der eine Weg beschreibt die Transformation in eine klimaneutrale Wirtschaft, ohne den Gedanken an wirtschaftliches Wachstum grundsätzlich aufzugeben. Bei der Entwicklung der Blue Economy steht dagegen die Idee im Hintergrund, dass Abfälle und Emissionen fehlgeleitete Ressourcen sind, die eigentlich wirtschaftlich genutzt werden müssten. Der Abfall des einen Produkts als Ausgangsmaterial für ein anderes Produkt. Dabei stehen Ressourcenschonung und soziale Verantwortung im Zentrum. Je nach konkretem Projekt können beide Konzepte zu widersprüchlichen Lösungsansätzen kommen. Im Kern geht es aber in beiden Fällen um dieselben großen Ziele: Umweltschutz und Nachhaltigkeit.