Europas größtes Outdoor-Fotofestival zieht mittlerweile an die 300.000 Besucherinnen und Besucher nach Baden bei Wien. Bei der diesjährigen Ausgabe unter dem Titel „Orient!“ ging es unter anderem um Umweltthemen, Frauenrechte und das Leben in Krisengebieten.
Stärker könnte der Kontrast kaum sein. Im Park neben dem pastellgelb getünchten Gebäude des historischen Leopoldsbads aus dem frühen 19. Jahrhundert ziehen großformatige Fotos die Blicke auf sich. Die Motive? Zum Beispiel eine junge Frau mit blondierten Haaren, die sich zum Rauchen aus dem Autofenster lehnt. Erst bei genauerem Hinschauen ist die Burka zu erkennen, die die Frau weit über das Haar zurückgeschoben hat. Oder eine Szene auf einem Basar: Eine junge Frau mit langem Haar posiert mit einer E-Gitarre mitten in einer der Gassen, während hinter ihr Männer die Szene fassungslos beobachten. Diese und weitere Aufnahmen hatte die iranisch-afghanische Fotografin Fatimah Hossaini vor einigen Jahren in Kabul gemacht – sie stammen teilweise aus der Serie mit dem Titel „Beauty amid the war“, die 2019 in verschiedenen Botschaften in der afghanischen Hauptstadt gezeigt wurde. Momentaufnahmen, die wie Alltagsszenen daherkommen und es doch nicht ganz sind, denn die porträtierten Frauen blicken meist direkt in die Kamera, scheinen ihre Outfits aus traditioneller Kleidung und westlichen Accessoires wie hohen Plateauschuhen oder neongelbem Nagellack mit Stolz und ein wenig Trotz zu präsentieren. Kaum vorstellbar, dass diese Fotos erst vor relativ kurzer Zeit entstanden sind, die Fotografin selbst konnte Afghanistan 2021 nach der Machtübernahme durch die Taliban quasi in letzter Minute mit einem Evakuierungsflug verlassen. Heute lebt sie im Exil in Paris.
Fatimah Hossaini ist eine der Fotografinnen und Fotografen, deren Werke bei der diesjährigen Ausgabe des Fotofestivals „La Gacilly-Baden Photo“ zu sehen waren. Mit inzwischen 30 über die gesamte Stadt verteilten Einzelausstellungen und 1.500 präsentierten Fotografien ist Baden bei Wien seit einigen Jahren Gastgeber und Schauplatz des größten Outdoor-Fotofestivals Europas. Auf Plätzen, in Parks, in Höfen und in Gassen sind dabei großformatige Fotos aufgehängt und aufgestellt – das größte maß in diesem Jahr 280 Quadratmeter. Besucherinnen und Besucher konnten einem sieben Kilometer langen Parcours auf zwei unterschiedlichen Routen folgen, individuell oder geführt. Und mit etwas Glück an einer Tour mit Festivaldirektor Lois Lammerhuber teilnehmen.
Über die Stadt verteilte Einzelausstellungen
Der österreichische Fotograf, Autor und Kurator – Jahrgang 1952 – ist seit den 1980er-Jahren in der Welt der Fotografie zu Hause und extrem gut vernetzt. Schon allein deswegen ist eine Führung mit ihm ein Highlight, denn dabei gibt’s nicht nur reichlich Hintergründe zu den ausgestellten Werken und ihrer Entstehung, man bekommt zudem Einblicke in die Weltsicht des Kurators geliefert. „Orient!“ – unter diesem Gesamttitel waren bei der diesjährigen Festivalausgabe schwerpunktmäßig Fotos aus Iran, aus Afghanistan und Pakistan zu sehen. Aus Ländern, in denen Frauenrechte stark beschnitten sind und der Schutz von Minderheiten quasi nicht existent ist. So ist klar, dass viele der in Baden bei Wien präsentierten Aufnahmen oft unter sehr schwierigen Bedingungen entstanden und die Fotografinnen und Fotografen bei ihrer Arbeit oft ein erhebliches Risiko eingegangen sind – ebenso wie ihre Protagonistinnen und Protagonisten.
Unbequem wolle man sein, wachrütteln, zum Nachdenken anregen, so formuliert es Festivalchef Lois Lammerhuber bei seiner Führung durch die in der Stadt verteilten Ausstellungen. Diese setzen sich größtenteils aus Arbeiten zusammen, die ein Jahr zuvor bereits im bretonischen La Gacilly gezeigt wurden. 2018 wurde in Baden das erste Festival in Zusammenarbeit mit La Gacilly veranstaltet, seitdem läuft eine exklusive Zusammenarbeit zwischen der französischen Gemeinde und der österreichischen Stadt; was dieses Jahr in La Gacilly zu sehen war, wird 2024 in Baden gezeigt. Dann wird das deutschsprachige Motto höchstwahrscheinlich „Die Natur als Erbe“ lauten – Fotokünstler unter anderem aus Brasilien, Japan oder USA haben sich beispielsweise dem Pantanal-Naturschutzgebiet im Amazonas oder tausendjährigen Bäumen in Kalifornien fotografisch angenähert. Wieder einmal verspricht das Gesamtpaket ein gleichermaßen spannendes und herausforderndes zu werden – rund 300.000 Gäste kamen in diesem Jahr.
Vielstimmiges Gesamtpaket
Doch nicht erst, seit das renommierte Fotofestival ein buntes Publikum aus aller Welt nach Baden lockt, ergänzen sich hier historische Tradition, entspanntes Lebensgefühl und die Neugier auf neue Entwicklungen in der Kunst. Alles begann mit den Römern, die bereits 50 nach Christus rund um die warmen Schwefelquellen die Siedlung Aquae gründeten, mehrere Gutshäuser, Tempel sowie eine Kaserne bauten. Im 15. Jahrhundert erhielt Baden das Stadtrecht. Dass die Heilwirkung der warmen Quellen auch zu dieser Zeit eine wichtige Bedeutung hatte, zeigt das Stadtwappen: Darauf sind ein Mann und eine Frau in einem großen Badezuber zu sehen, unbekleidet, aber durch einen Holzbalken getrennt. Die Zerstörung durch das osmanische Heer, Reformation und Gegenreformation, die Pest, ein großer Brand – all das setzte der Stadt in den folgenden Jahrhunderten zu. Doch Kaiser Franz I. sorgte schließlich dafür, dass sich Baden zum mondänen Kurort entwickelte. Er verbrachte zwischen 1796 und 1834 jeden Sommer in der Stadt bei Wien und erhob sie zu seiner Sommer-Residenz, er residierte in einem von Charles de Moreau umgestalteten Stadt-Palais am Hauptplatz. Ein Palais, das Kaiserin Maria nach einer ersten Besichtigung für ungeeignet hielt, was sie auch deutlich formulierte: „Ich besah das Haus, das wir bewohnen sollen, und muß dir offen herzig gestehen, daß ich es sowohl unbewohnbar für heuer als unfähig einer zweckmäßigen Verbesserung finde.“ Ungeachtet dessen verbrachte der Kaiser bis zu seinem Tod 1835 beinahe jeden Sommer in dem eher schlicht wirkenden Gebäude.
Der klassizistische Bau ist heute ein Museum, momentan geht es in der Ausstellung „Aufbaden. Abbaden“ um den Kur- und Bäderbetrieb vor allem im 19. Jahrhundert. Da kann man fiktiven Persönlichkeiten bei ihrer Anreise nach Baden, bei Anwendungen und beim Flanieren durch den aufwendig gestalteten Kurpark folgen – anhand alter Fotos, Stiche, Plakate und Filmaufnahmen. Skurril aus heutiger Sicht nehmen sich die Badegewohnheiten von einst aus – Männer und Frauen stehen bis zum Hals in knöchellangen Kitteln im lauwarmen Wasser, Untertauchen war verboten, ein sogenannter „Badewaschel“ wachte penibel über die Einhaltung der Regeln. Doch fast genauso wichtig wie die Anwendungen war der soziale und kulturelle Teil eines Aufenthalts in Baden. Man flanierte beispielsweise durch den Kurpark, mit heute 52 Hektar einer der größten in Europa. Man lauschte den Kurkonzerten im Musikpavillon. Und selbstverständlich hatte man zum Beginn des Kuraufenthalts aufmerksam die Liste ebenfalls anwesender Kurgäste studiert, denn möglicherweise könnten ja Geschäftsbeziehungen angebahnt oder sogar eine Ehe gestiftet werden?
Interaktiv durchs Beethovenhaus
Liest man heute, wer alles im 18. und 19. Jahrhundert in Baden zu Gast war, dann gleicht das einem „Who‘s who“ aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft. Wolfgang Amadeus Mozart besuchte seine Frau Constanze 1790 und 1791 während ihres Kuraufenthalts. Und für den befreundeten Chorleiter der Kirche St. Stephan, Anton Stoll, schrieb Mozart 1791 eines seiner bekanntesten Werke: das „Ave verum corpus“. Es wurde beim Fronleichnamsfest uraufgeführt, womöglich mit Mozart selbst an der Orgel. Ein weiterer berühmter Komponist kam wegen seiner angeschlagenen Gesundheit regelmäßig nach Baden: Ludwig van Beethoven. Allein dreimal wohnte er in einem ockerfarbenen Eckhaus in der Rathausgasse 10, dem „Kupferschmiedhaus“, und zwar 1821, 1822 und 1823. Hier schrieb er auch große Teile der „9. Sinfonie“. Heute ist in dem Gebäude ein interaktives und mit vielen Details gestaltetes Museum untergebracht, in dem man unter anderem ein Hammerklavier sieht, auf dem Beethoven selbst mehrmals gespielt hat und das in regelmäßigen Abständen bei Konzerten zu hören ist. Eine kunstvoll gedeckte Tafel mit passenden Attributen zu den jeweiligen Personen stellt die wichtigsten Menschen im Umfeld des Komponisten vor – von seinem Neffen über den Förderer Fürst Lobkowitz bis hin zum Schüler Carl Czerny. Und natürlich ist ein Raum im Museum gänzlich der „9. Sinfonie“ gewidmet, die Besucherinnen und Besucher hier nicht nur hören, sondern auch „sehen“ können. Hinaus aus dem Beethovenhaus geht es dann wieder in Richtung Hauptplatz, vorbei an einer weiteren Fotoausstellung. Die ist den anderen zehn Kurstädten in Europa gewidmet, die gemeinsam mit Baden bei Wien seit 2021 unter dem Titel „Great Spa Towns of Europe“ zum Unesco-Welterbe gehören.