Zugegeben, das ist kein herkömmlicher Musik-Tipp, ein interessanter vielleicht schon. Meeresorgel heißt das ungewöhnliche Instrument, das bei der Aufnahme im Vordergrund steht, um die es geht. Die Meeresorgel – oder „Morske orgulje“ auf Kroatisch – findet man in Zadar, Kroatien, einem Ort an der dalmatinischen Küste, an dem die Wellen der Adria tagein und tagaus an der Promenade ankommen. Und doch ist hier etwas anders, denn in die Stufen der Promenadentreppe wurden nach einer Idee des Architekten Nikola Bašic 35 verschieden große Röhren eingelassen. In einem 20°-Winkel reichen diese mit Orgelpfeifen bestückten Röhren bis ins Meer. Zu sehen sind sie nicht, nur durch kleine Öffnungen in der Treppenstufe ist ihre Position zu erahnen. Zu hören sind sie hingegen durchaus. Fließt Wasser hinein oder wieder heraus, erzeugen die Orgelpfeifen einen Ton. Je nach Wellengang spielt das unsichtbare System aus Rohren und Resonanzräumen unter den Stufen auf diese Art und Weise ganz eigene Melodien, die nie gleich, sondern immer wieder anders und dem jeweiligen Temperament des Wassers geschuldet sind. Miles Copeland, britischer Indie-Musiker, Mitglied der Band The Superimposers und Chef des Londoner Labels Wonderfulsound, war für einen Auftritt in Zadar, als er die Töne der Meeresorgel an verschiedenen Tageszeiten als Feldaufnahme aufzeichnete; meistens hört man nur die Orgel, auf manchen Aufnahmen sind auch im Hintergrund Menschen zu hören. Veröffentlicht wurden die Aufnahmen im Jahr 2016. Bei Amazon findet sich eine einzige irritierte Ein-Sterne-Bewertung dazu. Sie lautet: „Was ist das? Ich würde diesen Artikel nicht empfehlen. Eine sehr merkwürdige Aufnahme.“ Was auf den ersten Blick nicht unbedingt für das Produkt spricht, tut es allerdings auf den zweiten. Denn eine CD mit schönen Melodien oder Songs ist hier tatsächlich nicht zu erwarten, vielmehr eine Klangcollage, die keinen Regeln als denen des Wassers folgt. Wer sich darauf einlässt, kann hinter diesem Projekt ein interessantes Konzept und die Begeisterung für Klänge und Töne entdecken, die im kreativen Austausch mit der Natur – oder in diesem Fall konkret gesagt, dem Meer – zustande gekommen sind.
KULT[UR]

Foto: Wonderfulsound
CD-Tipp Die Töne des Meeres
Wonderfulsound: Sea Organ. Label: Wonderfulsound. Spielzeit: 39 Minuten.
Kult[ur] - CD-Tipp
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