Wer erstmals in einem E-Auto sitzt, ist zunächst nervös. Der Opel Astra Electric fährt sich hingegen fast wie ein „normales“ Auto – mit allen Vor- und Nachteilen.
Warnung! Dieser Autotest ist nicht neutral! Mit einem alten Opel Astra, Baujahr 2001, verbinde ich einen Großteil meiner Studienzeit. Mein Opa hatte mir seinen gebrauchten, in großväterlichem Silber-Metallic lackierten Wagen damals überlassen. Der Astra brachte mich zur Nordsee, nach Italien, sogar bis nach Montenegro. Mit Schneeketten überquerte er die Alpen, in einer Schweizer Werkstatt erhielt er ein neues Abgas-Rückführventil – woraufhin die Reisekasse leer war. Am Ende hatte er mehr als 250.000 Kilometer auf dem Tacho. Ein Gebrauchtwagenhändler drückte mir 700 Euro in die Hand. Dann ging das Tor zu, Endstation: Afrika.
Normreichweite von 417 Kilometer
Viele Jahre später steht nun erneut ein Astra vor meiner Tür. Diesmal ist er nagelneu, blau und elektrisch! Opel gehört seit 2021 zu Stellantis, dem viertgrößten Autokonzern der Welt. Marken wie Peugeot, Fiat, Chrysler und Jeep sind seither unter einem Dach vereinigt. In der Vergangenheit hat Stellantis viel Geld mit Spritschluckern wie dem Pick-up-Truck „RAM“ verdient. In Zukunft will Konzernchef Carlos Tavares einen klaren Elektrokurs fahren. Ganz vorne dabei: Opel. Ab 2028 soll die Rüsselsheimer Marke nur noch batterieelektrische Fahrzeuge produzieren. Zum Mini-SUV „Mokka“ und dem Kleinwagen „Corsa“ gesellt sich der Astra. Anders als die meisten E-Autos wird er auch als Kombi angeboten.
Der erste Eindruck: vertraut. Die analogen Anzeigen sind Touchscreens gewichen, das Brummen des Benzinmotors fehlt und die Fahrer-Sonnenblende hat nun einen beleuchteten Spiegel. Trotzdem ist es sofort da, das alte Astra-Feeling. Vielleicht liegt’s am Lenkrad, vielleicht am Geruch oder auch nur an meiner Sentimentalität. Auf jeden Fall merke ich keinen großen Unterschied. Für diejenigen, die von einem Verbrenner auf einen umweltfreundlicheren Antrieb umsteigen wollen, ist das eine gute Nachricht. Während manch andere Hersteller auf riesige Bildschirme setzen oder Knöpfe komplett aus dem Innenraum verbannen (Tesla), fühlt sich der elektrische Astra immer noch an wie ein „normales“ Auto.
Bevor es losgeht, noch kurz das Gepäck verstauen. Aber wie geht der Kofferraum auf? Bei Opas Astra gab es einen abschließbaren Druckknopf über dem Nummernschild. Beim neuen Astra Electric behelfe ich mir mit der Taste auf dem Schlüssel, weil ich keinen Griff finde. Erst nach ein paar Minuten folgt der Aha-Moment: Man muss das große Opel-Logo eindrücken und hochziehen, wie bei Mercedes. Hoffentlich hat man sich bei der Ausstattung ebenfalls ein Beispiel an der Luxusmarke genommen.
Einmal gestartet, fährt der Astra genauso unspektakulär, wie er von innen aussieht. Gut gedämmt ist er, das fällt sofort auf. Und straff gefedert. Anders als früher gibt es keinen Schaltknüppel mehr, sondern mehrere Schalter: einen zur Auswahl der Gänge (vorwärts, rückwärts, neutral), einen weiteren zur Einstellung des Fahrmodus (normal, öko, sportlich). Ringsherum zahlreiche Staufächer, die man mit einer Art Rollo schließen kann. Alles eingebettet in jede Menge Klarlack. Sieht schick aus, aber wie lange es wohl dauert, bis der erste Kratzer zu sehen ist?
Ich entscheide mich zunächst für den Öko-Modus, schalte dann aber doch auf Normal um, weil sonst nur lauwarme Luft aus der Klimaanlage strömt. Sparsam fährt er trotzdem: Für meine 1.100 Kilometer lange Strecke von Bonn nach Zürich (und zurück) bezahle ich am Ende lediglich 90 Euro, und das trotz happiger Preise an den Autobahn-Ladestationen. Dort tankt der Astra seine Batterie mit einer Geschwindigkeit von 100 Kilowatt wieder auf. Seine Hauptkonkurrenten, der VW ID.3 und das Tesla Model 3, können es schneller. Der etwas teurere Kia EV6 lädt sogar mit bis zu 240 Kilowatt und braucht unter Idealbedingungen nur 18 Minuten, um von zehn auf 80 Prozent aufgeladen zu werden. Beim Astra dauert es mindestens doppelt so lange.
Gute Steuerung per Spracheingabe
Mit meinem alten Benziner konnte ich bis zu 700 Kilometer weit fahren, bis ich nachtanken musste. Solche Werte erreicht bei Elektroautos bestenfalls die Mercedes-Limousine EQS, wofür dann locker über 100.000 Euro fällig sind. Der Astra, der in etwa halb so viel kostet, hat eine Normreichweite von 417 Kilometern. Die schafft er auf der Autobahn nicht ganz, bei reinen Stadtfahrten vermutlich aber schon. Bei der Tour in die Schweiz muss ich insgesamt zwei Ladepausen einlegen – absolut machbar, wenn man bedenkt, dass die Reise verkehrsbedingt ohnehin einen ganzen Tag dauert. Essens- und Toilettenpausen hätte ich da sowieso eingelegt.
Während sich das Auto sehr intuitiv steuern lässt, ist beim Multimedia-System ein wenig Fummelei nötig. Wo geht das Radio an? Wie lässt sich das Smartphone mit dem Bordcomputer verbinden? Obwohl der Astra Electric durchaus über echte Knöpfe verfügt, beschränken diese sich fast ausschließlich auf die Klima-Steuerung. Um aufs Navi zuzugreifen, muss man umständlich durchs Menü tippen – eine unnötige Ablenkung im Straßenverkehr. Zum Glück lässt sich das Ganze auch per Sprachbefehl erledigen, was richtig gut funktioniert. Hier hat Opel der VW-Konkurrenz wirklich etwas voraus.
Das Navi kostet 1.600 Euro Aufpreis. Dafür sollte mehr drin sein als eine schlichte Routenplanung. Also Schwierigkeitsstufe zwei: Kann es mautpflichtige Straßen ausklammern, damit ich ohne Vignette in die Schweiz komme? Tatsächlich schlägt das Navi eine adäquate Route vor. Besser noch: Als die A81 wegen eines Staus gesperrt wird, berechnet es sofort eine Umfahrung, die auch der Verkehrsfunk im Radio empfiehlt. Nur die für E-Autos wichtige Ladeplanung hat noch Schwächen. Statt vollautomatisch „Tankpausen“ zu berechnen, taucht am Bildschirmrand eine Leiste auf, die Schnellladesäulen entlang der Strecke anzeigt. Diese muss man antippen, was schnell misslingt, weil sich Symbole überlappen. Da ist noch Luft nach oben.
Viele Assistenten sind serienmäßig
Auch die „ergonomischen Sport-Aktiv-Sitze“ (Aufpreis: 1.120 Euro) lassen einige Fragen offen. Sie fühlen sich bequem an, verfügen über angenehm gepolsterte Kopfstützen und eine Lendenwirbelstütze. Nahezu alles ist verstellbar, die „Aktion Gesunder Rücken“ hat die Sitze zertifiziert, und es gibt sogar eine ausziehbare Oberschenkelauflage. Trotzdem bekomme ich auf der Hälfte der Strecke Rückenschmerzen, und das sowohl bei der Hin- als auch bei der Rückfahrt. Sind die Sitze doch nicht so toll, wie es die Werbung glauben machen will? Oder habe ich sie schlichtweg falsch eingestellt? Keine Ahnung.
Was die Sicherheit angeht, sind viele Assistenzsysteme serienmäßig an Bord: Frontkollisionswarner mit automatischer Gefahrenbremsung, Fußgängererkennung, Spurhalte-Assistent, Verkehrszeichen- und Müdigkeitserkennung, intelligenter Geschwindigkeitsbegrenzer. Vor allem letzterer entpuppt sich als nützlicher Reisebegleiter: Es handelt sich um einen Tempomat, der nicht nur den Abstand zum Vorderfahrzeug hält, sondern auch die Verkehrszeichen „liest“ – sehr nützlich bei meiner Fahrt in die Schweiz, wo selbst geringe Geschwindigkeitsverstöße heftige Geldstrafen nach sich ziehen. Einfach bedienbar ist das System obendrein: OK-Knopf am Lenkrad drücken, los geht’s.
Verglichen mit Opas Astra muten solche Finessen wie Science-Fiction an. Damals umwehte Opel eine biedere Aura. Schon elektrische Fensterheber empfand ich als Luxus. Heute ist das anders. Der Astra Electric ist ein würdiges E-Auto geworden, das Elektro-Neulingen den Umstieg erleichtert. Obendrein sieht er sportlich aus – der Großvater-Look ist passé. Nur beim Navi sind Verbesserungen nötig. Und beim Preis. Den Astra Electric gibt es ab 41.990 Euro, die besser ausgestattete GS-Linie – mein Testfahrzeug – ab 45.060 Euro. Das ist mutig. Schließlich verkaufen nicht nur VW und Tesla brauchbare Kompakt-Stromer, sondern auch immer mehr chinesische Hersteller – und das für weniger Geld.