Kaum, dass das „Bonvivant“ mit einem Stern von Guide Michelin ausgezeichnet worden ist, gibt es neue Brunch-Zeiten. So lässt es sich im Schöneberger Akazien-Kiez auch schon ab Mittwoch köstlich frühstücken.
Eigentlich gilt ja Frankreich als das Land der Bonvivants. Doch auch weit, weit östlich von Paris dürften Genussmenschen ihren Platz für die schönen Dinge im Leben finden. So etwa im „Bonvivant“ an der Goltzstraße. In der mehr als 1.000 Kilometer nordöstlich der französischen Hauptstadt gelegenen Bistronomie kann man nicht nur den Tag bei einem Cocktail oder einem Dinner angenehm ausklingen lassen. Nein, vielmehr lässt sich der Tag im Akazien-Kiez schon als Schlemmermäulchen beginnen.
Dabei schließt das Savoir-vivre in Schöneberg auch die Bildende Kunst mit ein: Abstrakte, runde Gemälde in unterschiedlichen Farbtönen zieren die smaragdgrünen Wände. Interieurtechnisch machen die Eyecatcher über den rosafarbenen Samt-Sofas am Eingang des Lokals besonders viel her. Die farbenfrohen Werke stammen vom Berliner Künstler Jans Echternacht. Es sind sogenannte Spin-Paintings, bei denen flüssige Acrylfarbe auf eine rotierende Leinwand gegeben wird. Angetrieben wird das Ganze mithilfe einer Kunstmaschine und eines Elektromotors. Wer mag, kann in Verbindung mit einem Brunch oder Dinner auch einen Workshop bei Jans Echternacht buchen und das selbst kreierte Spin-Painting im Anschluss mit nach Hause nehmen.
Ein Hingucker ist auch das schmucke Haus, in dem sich die Location befindet. Gelegen an der Ecke zwischen Goltz- und Hohenstaufenstraße, wurde das Gebäude Ende des 19. Jahrhunderts errichtet. Seine Fassade besteht aus glasierten und kunstvoll angeordneten Klinkern und unbehandelten Ziegelsteinen. In den vergangenen Jahren hatten die Lokale im Kachelhaus keine allzu lange Verweildauer. Doch im Sommer 2019 zog das „Bonvivant“ in das Erdgeschoss des Gründerzeitgebäudes. Die vegetarisch ausgerichtete Bistronomie überlebte nicht nur die schwierigen Corona-Jahre, sondern durfte im April dieses Jahres sogar in die Riege der vom Guide Michelin ausgezeichneten Sterne-Restaurants aufsteigen.
Seit September bietet das Lokal seine Frühstücksspezialitäten zwischen 10 und 15 Uhr auch schon ab der Wochenmitte an. Das wollen wir uns nicht entgehen lassen, und so reisen wir aus den verschiedenen Himmelsrichtungen an: der Fotograf aus dem Südwesten, meine heutige Begleiterin aus Wedding und ich aus dem Nordosten Berlins. In Schöneberg, also ungefähr in der Mitte von uns dreien, treffen wir uns. Dabei erhaschen wir den wahrscheinlichen letzten Spätsommertag in diesem Jahr. Er ist noch so warm, dass meine Begleiterin nach Sonnencreme verlangt und ich – nach einem ernsten Konflikt mit einer Wespe – nach einem kühlenden Gel.
Süße und fruchtige Getränkebegleitung
Trotz des unschönen Intermezzos genießen wir den Brunch sowie die bunt gemischten Gäste und Passanten des Akazien-Kiezes. „Das Schöneberger Publikum ist sehr gemischt“, findet auch der neu eingestellte Brunch-Manager Paul Carl, der zuvor im „Kink“ in Prenzlauer Berg tätig war. Ganz frisch dabei seit Anfang Oktober ist die Brunch-Küchenchefin Sophie Yager. Sie hat zuletzt im Zero-Waste-Restaurant „Freia“ in Mitte gearbeitet.
Anstatt das Rad neu zu erfinden, entwickeln die beiden nun das Frühstücksangebot peu à peu weiter und bleiben gleichzeitig den bisherigen Grundprinzipien des „Bonvivant“ treu. Das bedeutet vegetarisch-vegane Küche mit lokalen und regionalen Zutaten aus nachhaltigem Anbau. Bald schon können wir uns selbst davon überzeugen, dass das Ganze sich nicht nur toll anhört, sondern auch außerordentlich gut schmeckt.
Anstelle einer veganen Frühstücksbowl mit Grünkern, Erbsen, Blumenkohl, Roter Bete, Minze und Erdnuss entscheiden wir uns für die vegetarische und süßere Alternative in Form von hausgemachtem Granola. Meiner Begleiterin ist das Ensemble aus Heidelbeersorbet, Kokos-Vanille-Joghurt, weißer Schokolade, Streuseln, karamellisierten Haselnüssen und Minzöl eine Spur zu süß. Anscheinend bin ich die größere Naschkatze von uns beiden, denn für mich ist das Ganze geschmacklich absolut stimmig. Ein besonderer Gimmick dabei ist der Keksdeckel: Den muss man mit dem dazu servierten Hämmerchen erst zerschlagen, damit man von der Granola-Kreation naschen kann. Das Zerbröseln mit dem unerwarteten Werkzeug macht Spaß und liefert nebenbei auch gleich ein Erfolgserlebnis. Das tut der Dopamin- und Serotonin-Ausschüttung im Gehirn sicher gut.
Angenehm süß und fruchtig ist auch die liquide Begleitung unseres Brunches. Das Cocktail-Pairing, das wir auf Empfehlung von Paul Carl bestellen, passt perfekt. Mir hat es vor allem der Masala mit Steinfrucht angetan. Zu der Weißwein-Basis kommen Bergpfirsich, Chai und etwas Zuckerwatte. Trotz seiner süßen Komponenten schmeckt der Cocktail leicht und unaufdringlich. Auch der Espresso Martini mit Wodka, Kaffeelikör, Espresso und einem Schuss Ahornsirup reiht sich ebenso elegant in unsere Frühstücksleckereien mit ein. Ein weiterer angenehmer Begleiter ist die Kreation aus Gin, Basilikum, Zitrone und einem Espuma-Häubchen.
Matcha-Aficionadas kommen hingegen gänzlich alkoholfrei bei einer Mischung aus dem Grünteepulver und Basilikum auf ihre Kosten. Wer es weniger außergewöhnlich mag, kann auch auf das Altvertraute setzen – zum Beispiel in Form eines Espressos, eines Cappuccinos oder einem Latte macchiato. Für Obst- und Gemüseliebhaber bietet sich auch ein roter, gelber oder grüner Smoothie an.
Kurse im „Studi0 32“ gleich nebenan
Bei so vielen Naschereien dürfen bei einem Brunch natürlich nicht die herzhaften Köstlichkeiten fehlen. Auch hier verstehen sich die Macher an der Goltzstraße auf besondere Twists. Mich begeistert vor allem die raffiniert komponierte Green Shakshuka auf Sauerteigbrot. Erbsen und Spinat bilden im „Bonvivant“ die geschmackliche Basis des levantinischen Klassikers. Hinzu kommen Ziegenfrischkäse, eingelegte Schalotten, Eier sowie Koriander und Kerbel on top. Sagenhaft tief und aromatisch! Auch die Eggs Benedict haben in Schöneberg dank Dijonnaise und einer Miso-Hollandaise ihre ganz eigene Note, die wir alle drei zu schätzen wissen. „Die Miso-Hollandaise schmeckt leichter als eine übliche Hollandaise“, bemerkt meine Begleiterin zutreffend.
Ganz ohne Miso-Verfahren kommt die Grilled-Tomato-Stulle aus: Auf der Scheibe Urkornbrot von der in Fußnähe gelegenen „Johann Bäckerei“ tummeln sich Scamorza, Mozzarella und Cheddar. Ergänzt wird die geschmolzene Käse-Komposition von Tomatensalat, Tomami und confierten Cherry-Tomaten. Dazu noch etwas Chimichurri, ein, zwei Kleckse Chili-Mayonnaise und ein paar Trüffel – fertig ist das Brot-Kunstwerk. So satt und glücklich waren wir am frühen Nachmittag schon lange nicht mehr.
Für meine Zukunft sehe ich nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder mache ich einen einstigen Traum von mir wahr und ziehe in den Akazien-Kiez. Oder ich versuche einige der Köstlichkeiten nachzukochen. Denn daran müssen die „Bonvivant“-Betreiber wohl auch schon gedacht haben: Gleich nebenan wurde das dazugehörige „Studio32“ eröffnet. In der 42 Quadratmeter großen Location finden seit April kulinarische Events statt wie etwa Koch- oder Cocktail-Kurse. Die kulinarische Leitung hat Johannes Schulz-Mothes inne. Der Koch und Ausbilder gehört im „Bonvivant“ schon zum alten Eisen, steht er doch schon seit vier Jahren in der Küche des Restaurants. „Da kann man sich ein paar Tricks aus der Sterneküche abgucken, gleichzeitig wird man nicht überfordert“, erzählt er im Gespräch mit uns. Für das „Bonvivant“-Team selbst bieten die Kurse abseits des Restaurantbetriebs die Möglichkeit, neue Ideen auszuprobieren.