Die Wahl in den USA muss ein Weckruf sein, sagt USA-Experte Josef Braml. Die Globalisierung werde gerade rückabgewickelt, auch durch Joe Biden – und dies erhöhe die Chance auf Kriege.
Herr Braml, sehen wir die USA wieder in ihrer angestammten Rolle als Weltpolizist?
Der Anspruch des Weltpolizisten besteht nach wie vor. Aber aufgrund der inneren Zerrissenheit der USA und der beiden Kriege in Israel und der Ukraine wäre dies schon eine Riesen-Herausforderung für ein „gesundes“ Amerika. Wir dürfen dabei auch den Konflikt mit China, vor allem auch wegen Taiwan, nicht aus den Augen verlieren, denn der besteht ja auch weiter. Aber die Vereinigten Staaten haben sich in den vergangenen Jahren selbst geschwächt: durch Kriege wie im Irak und in Afghanistan, durch unseriöses Finanzgebaren, durch die Polarisierung, ja mittlerweile Radikalisierung der beiden Parteien in der innenpolitischen Auseinandersetzung. Deswegen würde ich heute von einem dysfunktionalen Weltpolizisten sprechen.
Zerrissen auch durch den inneren Richtungsstreit, der sich an der Außenpolitik festmachen lässt. Sehen Sie die USA künftig mehr in Richtung Isolationismus driften?
Die beiden gedanklichen Pole sind Isolationismus und liberaler Internationalismus. Beides sind Extreme, zwischen denen die USA immer wieder hin- und her pendelt. Zurückgezogen hat sich die Nation etwa nach dem Ersten Weltkrieg und wir wissen, wozu das geführt hat. Danach trat das Land wieder auf die Weltbühne und war vor allem auch für Europa der liberale Hegemon. Bis zum Irakkrieg, vor dem sich das Land auf dem Zenit seiner außenpolitischen Macht wiederfand. Aber durch den sogenannten Globalen Krieg gegen den Terrorismus hat man seine Fähigkeiten überdehnt und auch seine Vorbildrolle verspielt; es folgte wieder ein Rückzug. Wir sehen wieder, was dieser Rückzug in Osteuropa und im Nahen Osten bewirkt hat. Nun aber besteht das Problem, dass Amerikas Weltmachtrolle auch andernorts, namentlich von China herausgefordert wird. Washington versucht nun alles, um Pekings wirtschaftlichen und militärischen Aufstieg einzudämmen. Schon alleine deshalb werden sich die USA nicht wieder komplett zurückziehen. Sie werden weiterhin international engagiert bleiben, aber nicht mehr im alten Kontinent und auch nicht mehr in dem von uns gewohnten liberalen Sinne. Man spricht weiter von den liberalen Werten, praktiziert aber knallharte Realpolitik. Darauf müssen wir uns einstellen. Die USA haben begrenzte Ressourcen und müssen abwägen. Israel ist ihnen wichtig, viel wichtiger als die Ukraine. Wichtiger als beide ist China. Niemand sollte überrascht sein, wenn Amerika Ressourcen zurückhält, um wirtschaftlich und auch militärisch gerüstet zu sein in einem Konflikt mit China.
Das heißt, wir verabschieden uns nun von der unipolaren Welt mit den USA als einziger Weltmacht? Treten wir in ein multipolares Zeitalter ein, das Kremlherrscher Putin ständig beschwört?
Dies sieht nicht nur Putin so, wobei dieser derzeit der wohl ambitionierteste wenngleich schwächste Vertreter dieser Sicht ist, der einen eigenen Pol bilden möchte. Interessanter wird hierbei die Rolle Indiens sein. Und ich glaube, hier machen die Amerikaner den gleichen Fehler, der ihnen schon mit China unterlaufen ist. Man glaubte, dass China sich in die von den USA geschaffene Weltordnung einfügen würde. Doch China hat eigene Weltordnungsvorstellungen. Nun versucht man China nicht nur einzudämmen, sondern auch an vielen Stellen zurückzudrängen. Wichtigster Beweis dafür ist der Chips Act, dessen Auswirkungen in Europa vielerorts noch nicht wirklich verstanden worden sind. Für China bedeutet Amerikas Chips Act eine wirtschaftliche Kriegserklärung, schwerwiegender noch als all das, was Trump an protektionistischen Maßnahmen zustande gebracht hat. Trump hat vielleicht viel getönt, aber wenig getan, während Biden den Chips Act auf den Weg gebracht hat. In Europa haben bislang wenige verstanden, dass die geoökonomische Rivalität dieser beiden Staaten gerade die Globalisierung rückabwickelt. Diese De-Globalisierung trifft vor allem auch uns in Deutschland, ein Land, das bislang sehr viel von internationalen Wirtschaftsbeziehungen profitiert hat.
Auch in der EU ist von „De-Risking“ und „De-Coupling“ die Rede. Ist es nicht schlau, sich nicht zu sehr von einem Land abhängig zu machen?
De-Risking heißt, dass man gegenseitige Abhängigkeiten minimiert. Es spricht nichts dagegen, Risiken zu diversifizieren, aber was man in den USA vorhat, wäre für uns wirtschaftlicher Selbstmord. Es führt, wenn wir strategisch weiterdenken, auch zu massiven Kosten in den USA selbst und schädigt insbesondere den Rest der Welt. Dieses Verhalten nimmt uns die letzte Chance, durch Kooperation die Klimakatastrophe abzuwenden und führt dazu, dass sich die Risiken für einen Krieg erhöhen. Allen, die nur noch mit Demokratien Handel treiben wollen, sollte man sagen: Das macht die Welt nicht besser. Im Gegenteil. Dieses kurzsichtige Denken führt auf lange Sicht in die Katastrophe.
Aber Handel mit Russland hat nicht geholfen, Putin von einem Krieg abzuhalten.
Es ist nicht so, dass Handel einhundert Prozent vor Krieg schützt. So sind wir auch in den Ersten Weltkrieg geschlittert, obschon auch damals der internationale Handel sehr weit fortgeschritten war. Aber wenn man die gegenseitigen Abhängigkeiten beseitigt, wird Krieg wahrscheinlicher. Diesen logischen Unterschied haben viele nicht verstanden, die nach ihrer Fehleinschätzung Russlands nun auch in den Beziehungen zu China ihre Abhängigkeiten auf Null reduzieren wollen.
Sie haben in Ihrem aktuellen Buch drei mögliche Szenarien skizziert, wie sich die Beziehungen zwischen den USA und China entwickeln könnten. Wie gelingt es uns, die von vielen Verantwortlichen in den USA als unabwendbar erwartete düstere Zukunft, einen Krieg zwischen
beiden Staaten, zu verhindern?
Ich habe zusammen mit dem ehemaligen CIA-Strategen Mathew Burrows drei mögliche Szenarien der Beziehungen zwischen den USA und China durchdacht. Derzeit befinden wir uns im schlechten Szenario, dem Beginn eines Kalten Krieges zwischen den beiden Staaten; die damit verursachte De-Globalisierung bedeutet Wohlstandsverlust, vor allem in ärmeren Staaten. Der Kalte Krieg 2.0 macht eine kriegerische Auseinandersetzung, das hässliche Szenario, wahrscheinlicher. Im besten Fall finden wir zu einer verbesserten Globalisierung 2.0 – eine Rückkehr zu globaler Kooperation über alle bestehenden Gräben hinweg.
Was gibt den Ausschlag?
Es gibt drei Faktoren, die bestimmen werden, in welcher Zukunft wir leben werden. Zum ersten wird das Ende des Krieges in der Ukraine eine Blaupause für China im Umgang mit Taiwan sein. Zum zweiten der Klimawandel, der uns hoffentlich zur Vernunft und zur Kooperation zwingt – was aber wahrscheinlich nur dann geschieht, wenn der Wandel plötzlich und nicht allmählich eintritt. Zum dritten ist die derzeitige globale Konjunkturabschwächung ein treibender Faktor, der den Nationalismus anheizt, der bereits vor der Pandemie einsetzte und den inneren Zusammenhalt in fast allen Industrie- und Entwicklungsländern beeinträchtigt hat. Die Entkopplung von China und die Abschaffung der Globalisierung kann darauf nicht die Antwort sein. Größeres Potenzial böte eine neue Globalisierung, die die Auswüchse der bisherigen Globalisierung korrigiert.
Inwiefern?
Bisher haben wir im Westen den sogenannten Washington Consensus propagiert und durchgesetzt, also marktwirtschaftliche Reformen überall dort erzwungen, wo die Schuldenlast in den ärmeren Ländern hoch war, und uns nicht um die Verlierer dieses Systems gekümmert. Auch die Verlierer innerhalb der Industrieländer, gering Gebildete mit wenig Einkommen, hat man wenig beachtet. Der Rückschlag kam durch die Finanzkrise 2007, die die Ungleichheiten bei Einkommen und Vermögen weiter verschärfte. In den USA konnte Donald Trump die Unzufriedenheit mit der politischen Klasse nutzen, um ins Weiße Haus zu gelangen. Auch bei seinem erneuten Versuch, kann er weiterhin aus der Legitimationskrise und der von ihm forcierten Radikalisierung politisches Kapital schlagen.
Das heißt, in den USA ist man sich nur noch einig darüber, dass der nächste Gegner China sei?
Das ist der einzige gemeinsame Nenner zwischen Republikanern und Demokraten. Ansonsten gibt es nicht vieles, worauf man sich einigen könnte. Selbst innerhalb der Republikaner gibt es tiefe politische Gräben und einen regelrechten Bürgerkrieg, insbesondere im Repräsentantenhaus, der mittlerweile schon drei Sprecher das Amt gekostet hat.
Nach Medienberichten will Trump, sollte er antreten und gewinnen, aus der Nato austreten, wenn die übrigen Mitglieder ihr Zwei-Prozent-Ziel als Beitrag zum Nato-Budget nicht erreichen. Auf was müssen sich die europäischen Länder gefasst machen?
Wir müssen die Lage realistisch betrachten: Die Nato wäre im Falle einer weiteren Amtszeit Trumps keinen Pfifferling mehr wert. Selbst wenn Trump nicht gewinnen sollte, haben die Amerikaner eigene Interessen, die wenig mit Europa zu tun haben und manchmal sogar auf unsere Kosten gehen. Der sogenannte Inflation Reduction Act war bereits ein Angriff auf unseren Wohlstand. Damit soll unsere durch hohe Energiepreise bereits massiv geschwächte Industrie in die USA gelockt werden.
Wie ist Ihre Prognose zur Wahl?
Aus ihrer Sicht sehen die meisten Amerikaner die Wahl zwischen einem gesundheitlich und mental geschwächt wirkenden Amtsinhaber und einem radikalen Populisten. Eigentlich wollen sie keinen von beiden. Wie die Wahl auch ausgeht, Europa sollte gewappnet sein. Es sollte bereits unter Obama deutlich geworden sein, dass Europa selbstständiger agieren muss. Bereits damals sollte uns klar geworden sein, dass die Zeit des Freihandels vorbei war. Das geplante Handelsabkommen mit den Europäern (TTIP) war weniger wichtig als die Transpazifische Partnerschaft (TPP), mit der die USA China eindämmen wollten. TPP war nicht dem Freihandel verpflichtet, sondern Geo-Ökonomie: Wirtchaft wurde als Waffe gegen China eingesetzt. Aber selbst dieses geo-ökonomische Abkommen war innenpolitisch schwer durchzusetzen. Nach seiner Wahl hat Trump das Ganze zum Entsetzen von Amerikas Verbündeten in Asien schnell erledigt und verdeutlicht, dass man mit Protektionismus Wahlen gewinnen kann. Nur indem er Trumps Protektionismus übernommen hat, konnte Biden dann die Wahl gewinnen. In der Handelspolitik hat Biden die Wunschträume vieler Verantwortlicher hierzulande enttäuscht.
Wie beurteilen Sie Bidens Außenpolitik?
Natürlich hat Biden auch gute außenpolitische Entscheidungen getroffen. Vor allem was den Krieg in der Ukraine angeht, hat er klug und umsichtig gehandelt. Indes führt Bidens bisheriges Verhalten gegenüber China zu keinem guten Ausgang. Auf beiden Seiten – in Peking und in Washington – sind Traumwandler am Werke. Wenn hüben wie drüben nicht weitsichtigere Entscheidungen getroffen werden, drohen wir einmal mehr in eine größere Katastrophe hineinzuschlittern.