Joe Bidens wirtschaftliche Agenda wirkt nachweislich – profitieren kann der amtierende Präsident davon jedoch nicht. Sein Alter wirkt wie schon 2020 wie ein Mühlstein um den Hals der Demokraten.
Wenn Joe Biden zum Rednerpult tritt, ist eines unverkennbar: die Bewegungen sind steif und langsam. Biden leidet laut seinem Arzt an Arthritis und einem milden Nervenleiden an den Füßen, einem Zwerchfelldurchbruch und gelegentlichem Sodbrennen. Nichts, was nicht mit ein paar orthopädischen Einlagen in den Griff zu kriegen wäre, weshalb der Präsident jetzt häufiger in Sneakers zu sehen ist – aber dennoch: Mit seinen fast 81 Jahren ist er der älteste US-Präsident der Geschichte. Er raucht nicht, trinkt nicht, treibt Sport. Gewinnt er die Wahl 2024, wird er wenige Wochen später 82. Am Ende seiner zweiten Amtszeit wäre er 86 Jahre alt.
Das Alter wird mehr noch als 2020 zu einem entscheidenden Faktor. Biden ist drei Jahre älter als sein voraussichtlicher Konkurrent Donald Trump. Beide sind in Umfragen nicht sonderlich beliebt, und das Alter spielt dabei ebenfalls eine entscheidende Rolle. Die Demokratische Partei aber kann nicht anders: Niemand sonst kann es derzeit mit Bidens politischem Gewicht, außen- wie innenpolitisch, aufnehmen.
Konkurrenz hat Biden kaum zu fürchten
Kamala Harris, seine Vizepräsidentin, galt zuvor als große Hoffnung der Basis. Das hat sie gemein mit dem Gouverneur von Florida, dem Republikaner Ron DeSantis. Beide agierten in den vergangenen Monaten glück- und farblos, er im Vorwahlkampf der GOP-Präsidentschaftskandidaten, sie im Windschatten des Präsidenten. Beide besitzen nicht das notwendige bundespolitische Format für den Job: Harris’ glückloses politisches Gebaren, mangelnde Authentizität und oftmals ungeschicktes Verhalten in der Öffentlichkeit hinterlassen keine große Begeisterung für die Tochter karibischer und indischer Einwanderer. Sie sollte die von den Republikanern viel gescholtene „Situation an der südlichen Grenze“ in den Griff kriegen, wo monatlich Hunderttausende versuchen, legal oder illegal die Grenze in die USA zu überqueren. Gelungen ist dies in keiner Weise. Mittlerweile hat Biden dieses Thema selbst in die Hand genommen, Abschiebeflüge starten nun regelmäßig in Richtung Venezuela.
Und auch sonst ist in der Demokratischen Partei kein ernstzunehmender Wettbewerber in Sicht. Marianne Williamson, eine 70-jährige Selbsthilfeautorin, und der Kongressabgeordnete Dean Phillips aus Minnesota sind derzeit die einzigen innerparteilichen Konkurrenten in den demokratischen Vorwahlen und liegen weit abgeschlagen hinter Biden in den Umfragen.
Da sind die schlechten Umfragewerte besorgniserregender. Die typische US-Umfrage darüber, wie gut der Präsident seinen Job mache, bewegt sich derzeit bei 53 Prozent Ablehnung. Dabei hat Bidens Wirtschaftsprogramm deutlich positive Veränderungen nach sich gezogen. 13,4 Millionen neue Jobs habe man innerhalb von zwei Jahren geschaffen, sagte Biden selbst, mehr als jeder andere Präsident zuvor in vier Jahren. Die Arbeitslosigkeit sank auf 3,6 Prozent, der Mindestlohn stieg auf 15 Dollar die Stunde. Zu den Zahlen beigetragen haben ebenfalls die milliardenschweren Infrastrukturprogramme in die lange Jahre vernachlässigten Straßen, Schienen, in Breitbandausbau, Energie- und Wasserversorgung und die Dekarbonisierung der Wirtschaft.
Um die Folgen der Pandemie und des russischen Angriffs auf die Ukraine abzumildern, legte Bidens Regierung außerdem den Inflation Reduction Act auf. 500 Milliarden US-Dollar für öffentliche Aufträge, Subventionen und Steuervergünstigungen sollten die US-Wirtschaft weiter ankurbeln – allerdings nur für Unternehmen, die auch in den USA ansässig sind. Diese Art einer nationalistischen Wirtschaft, die bereits Bidens Vorgänger Trump durch Strafzölle kultivierte, ging deutlich zulasten der US-amerikanischen Handelspartner, allen voran der EU. Zu den Schlüsselfaktoren gehört auch der Chips Act, der die Produktion von Halbleitern zurück in die USA holen soll. Auch dieses Gesetz, mit dessen Hilfe Investitionen in Höhe von 280 Milliarden US-Dollar in die heimische Halbleiter-Produktion und -Forschung fließen sollen, war gegen ein Land gerichtet – China, dessen revanchistische Ansprüche auf Taiwan die dortige Halbleiterproduktion gefährden.
Klar ist aber auch, dass sich durch die massiven Staatsausgaben die US-Schuldenlast deutlich erhöht hat. 33 Billionen US-Dollar beträgt sie derzeit, 121 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, ein massiver Dorn im Auge der Republikaner, die mit massiven Einschnitten in die Sozialprogramme die Ausgaben drücken wollen. Zum Vergleich: Deutschlands Schulden betragen lediglich 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Steigt die Prozentzahl weiter an, erhöht sich die Chance einer wirtschaftlichen Rezession, rechnet etwa das Weltwirtschaftsforum vor.
Obwohl „Bidenomics“, ein Label als sozialer Gegensatz zur entfesselten liberalen Wirtschaftspolitik der „Reaganomics“ aus den 80er-Jahren, innerhalb der USA deutlich positive wirtschaftliche Wirkung zeigen, gilt der Präsident nach Umfragen bei den Wählerinnen und Wählern als wirtschaftspolitisch nicht kompetent, eine Mischung aus alten Partei-Rollenbildern, in denen die Republikaner als die Partei für die Wirtschaft angesehen werden, und dem Widerhall der deutlich auf 3,7 Prozent gesunkenen Inflation und ehemals hoher Gas- und Benzinpreise im vergangenen Jahr in den Vereinigten Staaten.
Nächste Generation läuft sich warm
Wirtschaftlich gesehen läuft es also. Eigentlich. Die Demokratische Partei aber wird zunehmend zum Sammelbecken für das radikalprogressive, „woke“ Spektrum, LGBTQI-freundlich, aber ebenso sozialliberal, moderat, säkular. Manch konservative Demokraten wie Senator Joe Manchin sehen die Partei wegen dieses Spektrums daher kaum noch als politisches Zuhause an, Senatorin Kyrsten Sinema verließ die Partei Ende 2022. Noch schafft es Biden mit seiner Erfahrung aus 51 Jahren US-Politik als Identifikationsfigur die Partei hinter sich zu einen. Wer danach diese Rolle übernehmen kann, ist unklar. Klar ist jedoch, die Liste der profilierten demokratischen Politiker wird länger: Nancy Pelosi, legendäre Sprecherin des Repräsentantenhauses, hat ihre Rolle als Fraktionsführerin an Hakeem Jeffries abgegeben. Gavin Newsom, Gouverneur von Kalifornien und damit rein nach Zahlen der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt, macht in China Werbung für den Klimaschutz. Zu Bidens Beraterteam im Wahlkampf gehören Urgesteine wie Senatorin Elizabeth Warren, aber auch Newcomer wie der Abgeordnete Ro Khanna, Senator Cory Booker oder der Gouverneur von Pennsylvania, Josh Shapiro.
Aber da ist noch der Schatten von Donald Trump. Mittlerweile ist die ständige Wiederholung der Lüge von der gestohlenen Wahl tief in das Fundament der Republikaner eingesickert. Um sich zu rächen, strengten die Kongressabgeordneten der GOP ein Verfahren gegen Biden und dessen Familie an. Hintergrund: der Fall von Hunter Biden, dem Sohn des Präsidenten, Ex-Vorstand eines ukrainischen Energieunternehmens mit Geschäftsbeziehungen nach China, ein Ex-Junkie, ein verurteilter Steuerhinterzieher und Besitzer einer Waffe ohne Lizenz, wegen deren Besitz er vor Gericht steht. Nach mehrmonatiger Untersuchung, Dutzender nutzloser Zeugen und einer öffentlich übertragenen Anhörung im Repräsentantenhaus versickerte die Untersuchung bislang sang- und klanglos ohne irgendwelche Beweise.
Trotz des Chaos, das die Republikaner im Kongress und Donald Trump vor Gericht produzieren, haben sie gute Chancen, 2024 das Weiße Haus wiederzuerringen. 63 Prozent der Amerikaner haben keine gute Meinung über Donald Trump, sagt eine Umfrage des unabhängigen Pew Research Centers. 60 Prozent sehen Joe Biden negativ. Selbst junge Demokraten halten nach einer AP-Umfrage Biden für zu alt. Trotzdem wird er antreten. Vermutlich in Sneaker-Schuhen mit Einlagen.