Mitte Oktober hat das vielfach ausgezeichnete „BRŁO“ einen weiteren Gastropub eröffnet. Der Neuzugang am Meyerinckplatz bringt nicht nur vielfältiges Bier in den Berliner Westen – sondern auch eine neu interpretierte Brauhausküche mit Fokus auf Gemüse von der Rotisserie.
Vor Kurzem hat sich mein gustatorisches Koordinatensystem verschoben. Nach jahrzehntelanger Bierabstinenz bin ich plötzlich auf den Geschmack gekommen. Schuld daran haben eine Freundin aus der direkten Nachbarschaft und ein etwas weiter entfernt liegender neuer Gastropub in Berlin-Charlottenburg. Aber eins nach dem anderen. Die Freundin ist neuerdings Binge-Junkie von koreanischen Filmen. Neulich wollte sie mit mir im nächstgelegenen koreanischen Imbiss nicht nur eine Kleinigkeit essen, sondern auch das Lieblingsgetränk ihrer fernöstlichen Serienhelden kennenlernen: Somaek – eine Mischung aus Bier und Reisschnaps. Die Mischung erschien uns zwar nicht ganz geheuer, doch unsere Neugier siegte schließlich. So probierten wir. Danach waren wir beide nicht nur positiv überrascht, sondern ich war auch von meinen Ressentiments gegenüber Bier befreit. Zumindest, wenn der Gerstensaft in meinem Glas nicht auf einem Solo-Auftritt besteht, sondern mit einem passenden Partner fusioniert.
Wie es der Zufall wollte, durfte ich wenige Tage später an weiteren entdeckenswerten Bier-Cocktails nippen. Sie wurden mir bei einem Pressetermin im „BRŁO Charlottenburg“ serviert. Zwar haben die von Bartender Arnd Henning Heißen kreierten Drinks wenig mit dem Reisschnaps aus Fernost zu tun. Dafür sind die Bier-Cocktails in dem Mitte Oktober eröffneten Gastropub an der Giesebrechtstraße um einiges ausgeklügelter im Geschmack. Sehr verheißungsvoll etwa gibt sich „Vision of a Parrot“. Der im schwarzen Glas servierte Drink aus India Pale Ale, Kokosnuss-Rum, Rosenwasser und Zitronengras gibt minutenlang knisternde Geräusche von sich. Sein süßer, fruchtiger Geschmack verführt zum schnellen Trinken und ist definitiv mehr für den Ausklang am Abend geeignet als für die Büropause tagsüber. Geradezu verzückt bin ich von dem leichten, erfrischenden „Starry Night Weizen“ aus Weizenbier, Wacholder, Bergamotte, Vanille und Minze.
Geschichte beginnt 2014
Eigentlich wollte der jüngste Sprössling der Craft-Beer-Kette seine Türen am Meyerinckplatz schon im Sommer öffnen. Doch die Mühlen der Bezirksbehörden mahlten so langsam, dass die Crew ihren Startschuss auf den Beginn der kälteren Tage verlegen musste. Doch nun, seit Mitte Oktober, findet sich an den 20 Zapfhähnen hinter der großen 360-Grad-Theke die ganze Vielfalt der Bierwelt – angefangen von deutschen Klassikern wie Pils über regionale Helden wie Berliner Weisse bis zu India Pale Ale (IPA) und streng limitierten Spezialbieren. Zudem gibt es hauseigene Cider-Mischungen. Wer mag, kann im dazugehörigen Späti mit Growler-Station Fassbier, Flaschen- und Dosenbiere sowie Merchandise-Produkte mit nach Hause nehmen.
Die Geschichte des „BRŁO“ beginnt Ende 2014, als die Studenten Katharina Kurz und Christian Laase zusammen mit dem Braumeister Michael Lembke ihre Idee vom eigenen Bier ausbrüten. Während die Craft-Beer-Gründer anfangs noch Braukapazitäten in befreundeten Brauereien anmieten, entsteht 2016 die erste eigene Brauerei am Gleisdreieck. Dort befindet sich auch heute noch das erste Lokal mit Biergarten. Seit 2018 wird das Kreuzberger Lokal im Restaurantführer Gault-Millau geführt. Preisgekrönt ist die Location nicht nur für ihre Architektur, sondern vor allem für ihr gastronomisches Konzept. Weitere Standorte befinden sich in der sechsten Etage des KaDeWe und in Berlin-Mitte. Als die kleine Brauerei am Gleisdreieck aus allen Nähten platzt und die Betreiber mehr Platz brauchen, wird der größte Teil der Produktion an den zweiten Brauereistandort in die Havelwerke in Berlin-Spandau verlagert.
Ich frage den Bartender nach der korrekten Aussprache des Zungenbrechers mit den vielen aufeinanderfolgenden Konsonanten und dem exotischen Schrägstrich im L. „Wir sprechen das einfach ‚Berlo‘ aus“, beruhigt mich Barmann Ignacio. Er erzählt mir, dass das Wort seinen Ursprung in der slawischen Sprache habe und der alte Begriff für Berlin ist.
Vegetarisches ist im Fokus
Das neue Lokal befindet sich dort, wo fünf Jahrzehnte lang der irische Pub „The Harp“ gelegen war. Die einstige Kneipeninstitution hat nach den Worten von „BRŁO“-Geschäftsführer Ben Pommer den jüngsten Besitzerwechsel und die Corona-Zeit nicht überlebt. „Wir wollen dem Laden ein neues Gesicht geben“, erläutert er, während ich bei einem Naked Beer mit 0,5 Prozent den ersten Durst stille. Das Lifting ist gelungen: Aus dem gediegenen Interieur des Vorgängers wurde mithilfe des Karhard-Studios – dessen Designer schon das „Berghain“ gestaltet haben – eine neue Location im Techno-Stil. Die Farben Grau, Braun und Schwarz dominieren. Über den Holztischen schlängeln sich Neonröhren zur dezenten Beleuchtung. Großflächige Drucke mit abstrakten Kreis- und Kugelsymbolen zieren die nackten, grauen Wände. Die Bilder stammen vom Künstler-Duo „Mmachine“. Die kreativen Köpfe dahinter sind Martin Bauer und Maj Mlakar, die ihre Werke mithilfe einer Maschine kreieren – gut passend zum Industriestil der Location. Der neue Laden verfügt über mehr als 100 Sitzplätze im Innenbereich und eine große Außenterrasse. Zudem gibt es ein lichtdurchflutetes Separee, das für Veranstaltungen und Gruppen reserviert werden kann.
Der kulinarische Schwerpunkt unter der Leitung der beiden Küchenchefs Thorsten Einicke und Ramona Gasser liegt zwar auf einer vorwiegend vegetarischen Küche mit Fokus auf Gemüse von der Rotisserie. Doch auch Freunde der fleischlichen Genüsse kommen auf ihre lukullischen Kosten. Bei meinem ersten Besuch am Abend schwelgen meine Kolleginnen und ich in diversen veganen und vegetarischen Köstlichkeiten wie etwa knackigen Belugalinsen mit Balsamico, roter Bete mit Salzkruste und Granatapfel, Blumenkohl mit einer Pale-Ale-Glasur und Karotten mit schwarzer Röstmalzbutter. Eins leckerer als das andere.
Der Gemüse-Star des Abends ist für uns alle die Aubergine mit Lauch, angenehm säuerlich schmeckenden Cider-Gurken, zitronigem Perl-Couscous und Miso-Marinade. On top noch ein paar geröstete Buchweizen, und die gemüsige Sinfonie ist absolut umami! Überzeugend sind auch die dazu gereichten hocharomatischen Soßen, wie etwa eine Creme mit frisch gehobeltem Meerrettich oder die Senfsoße mit knackiger eingelegter Senfsaat. Kräuterfans dürfte es vor allem bei der grünen Chimichurri-Soße oder dem frischen Quark mit Petersilie, Schnittlauch, Gartenkresse, Kerbel und Pimpinelle munden. Köstlich sind auch die Fleischgerichte wie das gegrillte Maishähnchen aus nachhaltiger Aufzucht oder der Rollbraten vom Dry-Aged-Mangalitza-Schwein, die als Beilagen geordert werden können.
Fleischgerichte als Beilage
Einige Tage später gehe ich gemeinsam mit unserem Fotografen ein weiteres Mal in die Giesebrechtstraße. Lunch Time. Wieder gibt es delikat angerichtetes Gemüse und dazu diesmal ein Sandwich mit den Resten des Schweinerollbratens vom Grill. „Wir versuchen, möglichst viel zu verwerten“, erläutert der Restaurantmanager Mauritz Schröder. Ähnliches gilt für die hausgemachten Rillettes aus Gemüse oder aus Hähnchen sowie für die Hühnerbrühe. Es soll möglichst wenig weggeworfen werden. Regionalität und Nachhaltigkeit spielen eine wichtige Rolle in dem Charlottenburger Gastronomieunternehmen.
Wie auch immer – das Rollbraten-Sandwich schmeckt saftig und ist ansprechend gewürzt. Die aufgespießte Delikatesse passt zudem perfekt zu unserem Beer-Flight. Das Tasting-Board hat fünf verschiedene Sorten, an denen wir uns durchnippen – angefangen von der Berliner Weisse über ein helles, ein Pale Ale und ein IPA- bis hin zu einem Schwarz-Bier. Am Ende favorisieren wir beide das leichteste Bier: die prickelnde, etwas säuerlich schmeckende Berliner Weisse. Besser kann man seine Mittagspause eigentlich nicht verbringen, denke ich und gehe leichterhand in die zweite Tageshälfte.