Evelyn Hamann galt als kongeniale Sketch-Partnerin. Die beiden hatten sich gesucht und gefunden. Dass die gespielten Sketche einen solch großen Erfolg hatten – daran hatte sie einen ganz entscheidenden Anteil.
Als „Geschenk des Himmels“ beschrieb sie in tiefer Dankbarkeit zeitlebens ihr erstes Zusammentreffen mit Loriot 1976 in Bremen. Der damalige Programmdirektor von Radio Bremen, Dieter Ertel, hatte sich im Auftrag Loriots auf die Suche nach einer möglichst perfekten Besetzung für die weibliche Hauptrolle der neuen TV-Serie „Loriot“ gemacht. Dieser hatte ihm die Vorgabe mit auf den Weg gegeben, für seinen weiblichen Gegenpart nach einer etwa 50-jährigen Schauspielerin zu suchen, die mittelgroß, etwas pummelig und dauergewellt-blond sein sollte. Das stellte Ertel vor ein großes Problem, denn am meisten beeindruckte ihn die brünette, herbe, ziemlich hagere und noch dazu auch etwas zu groß gewachsene Evelyn Hamann. Die 34-Jährige war gebürtige Hamburgerin und seit 1973 festes Mitglied des Bremer Theater-Ensembles. Ihre Karriere war laut eigenem Bekunden wegen ihres „markanten Äußeren“ bis dahin nur „schleppend“ in Gang gekommen. „Ich war nun mal nicht der Prototyp des Gretchens“, so Hamann, „nicht im Mindesten hold und lieblich. Ich suchte verzweifelt nach Rollen.“
Man kann getrost davon ausgehen, dass Meister Loriot bei ihrem Auftauchen ziemlich verblüfft gewesen sein dürfte. Doch so schnell wollte sich Loriot dann doch nicht geschlagen geben – auch wenn sein Behelfs-Vorschlag womöglich nicht ganz ernst gemeint war: „Liebe Frau Hamann, wenn Sie auf unsere Kosten mehrere Wochen täglich Schweinshaxen essen, meinen Sie, Sie werden dann fülliger?“ Vermutlich dürfte Hamann darauf ziemlich konsterniert reagiert haben. Weshalb Loriot sofort einen Rückzieher gemacht und sie mit den Worten „Dann eben nicht pummelig“ als Partnerin engagiert hatte. Es wurde der Beginn einer kongenialen schauspielerischen Partnerschaft auf Augenhöhe.
Evelyn Hamann wurde über Nacht zum Star. Sie wurde in ihren unterschiedlichen Rollen als Loriots bessere Hälfte gefeiert. Vor allem auch dank ihres unverwechselbaren Gesichts, ihrer verblüffenden, oft mit Biss-Schärfe vermengten Fähigkeit zur Selbstironie und ihres mimischen Talents, durch dass sie wahlweise griesgrämig, verhärmt, ratlos, hilflos oder auch unendlich gelangweilt dreinblicken konnte. Ihre berufliche Beziehung entwickelte sich so eng, dass Hamann irrtümlicherweise von Teilen des Publikums sogar als Loriots reale Ehefrau angesehen wurde. Im wirklichen Leben war sie von 1964 bis 1976 mit dem Ingenieur Hans Walter Braun verheiratet und lebte später mit ihrem Schauspielkollegen Stefan Behrens zusammen.
Ihr Humor war perfekt auf den Duktus ihres Partners Loriot abgestimmt, wie man in den kultigen sechs Teilen der TV-Serie „Loriot“ sieht, die zwischen 1976 und 1978 produziert wurden. Egal, ob sie dabei eine strenge Sekretärin, die betuliche Haus- und Ehefrau Lieselotte Hoppenstedt oder eine beflissene Fernsehansagerin mimte. Dabei war sie nie laut und driftete auch niemals ins seicht Lächerliche ab. Was auch für die beiden gemeinsamen Kinofilme „Ödipussi“ und „Pappa ante portas“ galt. Allenfalls mit ihrem schallenden Lachen sprengte sie gelegentlich den Rahmen. Laut eigenem Bekunden verdankte sie Loriot jene Detailversessenheit, die für außergewöhnliche Komik einfach unerlässlich sei. „Die Inszenierung von Humor erfordert Strenge, Kunstfertigkeit und Disziplin“, sagte Hamann. Kein Wunder daher, dass sie selbst an jedem Kopfnicken oder einem eingefrorenen Lachen mit kompromissloser Härte gefeilt hatte.
Schauspielerisch war sie enorm wandlungsfähig
Loriot hatte seiner Partnerin genau jene Frauenrollen auf den Leib geschrieben, die von der spießigen Absurdität des Normalen lebten und, so der NRD, „am Ende immer eine Mischung aus Komödie und Tragödie, aus Lachen und Weinen“ waren. „Sie mochte es“, so der NDR, „auf glaubwürdige Weise normale Menschen darzustellen“. Letzteres bestätigte die pressescheue und selbst für hanseatische Verhältnisse stets extrem zurückgezogen lebende Schauspielerin in einem ihrer seltenen Interviews selbst. Ihr sei es immer wichtig gewesen, „dass sich der Zuschauer denkt: Ja, so eine Frau kenne ich wirklich“. „Der Spiegel“ attestierte Hamanns Frauenfiguren „eine wunderbar leichte Verschrobenheit“, zusätzlich sei es Hamann gelungen, ihre Rollen „mit einem unterschwelligen Hang zur Anarchie“ auszustatten. „Die blieb allerdings stets domestiziert; es lauerte und brodelte unter der wohlpolierten Oberfläche, jederzeit drohte die Eruption – aber es kam dann doch nie dazu.“
Mit Paraderollen wie im Sketch „Jodelschule“, in dem sie den Erwerb des „Jodeldiploms“ mit den Worten „Da hab ich was in der Hand, wenn die Kinder aus dem Haus sind – da hab ich was Eigenes“ begründete, oder als weinselige Hausfrau im Sketch „Vertreterbesuch“, bei dem sie säuselnd „Es saugt und bläst der Heinzelmann, wo Mutti sonst nur blasen kann“ von sich gegeben hatte, wurde sie laut „Spiegel“ „zur weiblichen Hauptperson in Loriots fein gezeichneten Sittengemälden bundesdeutscher Spießigkeit“. „Hamann“, so das Magazin, „verkörperte für Loriot überwiegend solche brav-biederen Hausfrauen und Gattinnen, die der Aufbruchsgeist der Sechziger und Siebziger irgendwie gestreift hatte und die versuchten, sich über symbolische Ersatzhandlungen als progressiv zu geben, ohne dabei die Fundamente der kleinbürgerlichen Traditionsbestände zu attackieren.“
Lange Zeit musste die am 6. August 1942 im Hamburg geborene Evelyn Hamann befürchten, als Schauspielerin für immer in der humorigen Loriot-Ecke zu bleiben. Dabei verfügte sie über eine fundierte Ausbildung samt Studium an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Hamburg und reichlich Bühnenerfahrung am Hamburger Thalia Theater, am Jungen Theater Göttingen, an den Städtischen Bühnen Heidelberg und am Theater Bremen. Außerdem konnte sie Klavier spielen und war in ihrer Jugend auch als Jazzpianistin aufgetreten.
Ihre schauspielerische Wandlungsfähigkeit abseits von Loriot stellte sie dann aber schon in der Rolle der herben Haushälterin Carsta Michaelis an der Seite von Professor Brinkmann in der zwischen 1985 und 1989 ausgestrahlten ZDF-Fernsehserie „Die Schwarzwaldklinik“ unter Beweis. Danach war sie auch in „Der Landarzt“ in einer Nebenrolle als Thea Knoll regelmäßig vertreten, und auch im „Traumschiff“ oder im „Tatort“ tauchte sie auf.
Von 1993 bis 2005 war sie in 56 Episoden der ZDF-Serie „Evelyn Hamanns Geschichten aus dem Leben“ auf der TV-Leinwand präsent. Noch größeren Publikumszuspruch erlangte sie mit ihrer Titel-Glanzrolle der kriminalistisch eigenwilligen Sekretärin in 65 Folgen der zwischen 1993 und 2007 ausgestrahlten NDR-Produktion „Adelheid und ihre Mörder“.
Neben dem Fernsehen blieb sie der Bühne treu und war erfolgreich mit Literatur-Lesungen und zahlreichen Hörbuch-Produktionen. Am 28. Oktober 2007 verstarb sie im Alter von 65 Jahren infolge eines Krebsleidens. Loriot konnte sich in seiner ganz eigenen Art einen letzten kleinen Seitenhieb auf die Verstorbene nicht verkneifen: „Liebe Evelyn, dein Timing war immer perfekt. Nur heute hast Du die Reihenfolge nicht eingehalten. Na warte!“