Loriot gilt als der Feingeist unter den deutschen Humoristen. Der aus einem alten mecklenburgischen Adelsgeschlecht stammende von Bülow erheiterte sein Publikum am liebsten durch das Präsentieren der Tücken des Alltags – oder durch Missverständnisse, die durch Störungen der Kommunikation entstehen.
In der Heeres-Personalakte des 19-jährigen Vicco von Bülow wurden für die damalige Zeit ziemlich überraschende Talente aufgeführt. Er hatte sich während des Zweiten Weltkriegs der langen Familientradition seines mecklenburgischen Adelsgeschlechts gemäß zu einer Offizierslaufbahn entschlossen. Daher war er als Kommandeur einer Panzerdivision im Rang eines Oberleutnants von 1942 bis 1945 an der Ostfront zum Einsatz gekommen. Die Vorgesetzten bescheinigten dem Jungspund „seine ausgesprochen mimische und darstellerische Begabung“ sowie seine Fähigkeit als „hervorragender Unterhalter“. Wo auch immer Vicco von Bülow all das erlernt hatte – wahrscheinlich als aufmerksamer Beobachter und Statist bei Opern- und Schauspiel-Aufführungen in Stuttgart oder als er einen Pagen des württembergischen Herzogs mimte. Das war 1940 als Randfigur beim Film „Friedrich Schiller – Der Triumph eines Genies“.
Die Frage, wie gut seine soldatischen Fähigkeiten waren, drängte sich bei dem Nachkommen des bedeutenden preußischen Feldherrn Friedrich Wilhelm Bülow von Dennewitz geradezu auf – dieser gehörte zu den bedeutendsten Feldherren der Befreiungskriege gegen Napoleon. Loriot pflegte diese Frage stets gleich zu beantworten: „Nicht gut genug, sonst hätte ich am 20. Juli 1944 zum Widerstand gehört. Aber für den schauerlichen deutschen Beitrag zur Weltgeschichte werde ich mich schämen bis an mein Lebensende.“
Mal Cartoonist, mal Schauspieler
Die Niederlage des NS-Staates bezeichnete er immerhin als persönlichen Glücksfall: „Wenn nicht der große Zusammenbruch gekommen wäre, wäre ich mit Sicherheit Jurist geworden oder säße irgendwo als Bahnhofsvorsteher.“ Stattdessen habe nach dem Krieg jeder „machen können, was er wollte“. Oder zunächst auch mal, was man musste. Vicco von Bülow sah sich gezwungen, im niedersächsischen Sölling, einem Mittelgebirge des Weserberglandes, ein Jahr lang als Holzfäller zu arbeiten, um sich damit die Lebensmittelkarten verdienen zu können. 1946 konnte er sein 1941 als 17-Jähriger abgelegtes Stuttgarter Notabitur in ein reguläres Abitur verwandeln. Das eröffnete ihm die Möglichkeit, an der Hamburger Kunstakademie zwischen 1947 und 1949 ein Studium der Kunst und Grafik zu absolvieren. Damit standen ihm beruflich viele Möglichkeiten offen. Er ergriff viele, weshalb es gar nicht so einfach ist, sich bei ihm auf eine Berufsbezeichnung festzulegen. Er tummelte sich auf verschiedensten Betätigungsfeldern: Mal war er Schauspieler, mal Cartoonist, mal TV-Moderator, mal Impresario einer legendären TV-Show, mal Regisseur zweier erfolgreicher Kinofilme oder von Opern, etwa „Martha“ in Stuttgart 1986 und „Der Freischütz“ in Ludwigsburg 1988. Sogar ans Dirigieren wagte er sich. Anfang der 1950er-Jahre hatte er sich mit dem französischen Wort für das Wappentier seiner Familie, den Singvogel Pirol, den Künstlernamen „Loriot“ zugelegt.
Schon von früher Jugend an hatte er durch seine Großmutter und die väterliche Schallplattensammlung großes Interesse für klassische Musik und Opern entwickelt. Und so durfte er 1982 den Berliner Philharmonikern den Takt bei einem sogenannten humoristischen Festkonzert vorgeben. Nicht zuletzt gelang ihm zu Weihnachten 1972 mit seinem Sprechgesang auch noch der Sturm der deutschen Hitparade: Der Hit „Ich wünsch’ mir eine kleine Miezekatze“ behauptete neun Wochen lang die Top-Position.
Um der Gefährdung seiner genialen Einfalls-Frische durch Wiederholungsroutine zu entgehen, zog er stets konsequent einen Schlussstrich unter noch so erfolgreiche berufliche Episoden, aus denen rund 100 auch heute noch wiederholte Fernsehsketche wie „Die Nudel“ herausragen. Sein preußischer Perfektionismus war dabei bei seinen Mitarbeitern ebenso berühmt wie berüchtigt. Mit seinem grafischen Werk schuf er Figuren gleichsam für die Ewigkeit, wie das schon zu seiner Studienzeit entstandene charakteristische „Knollennasenmännchen“ oder die dank Wim Thoelkes Quizshows „Drei mal Neun“ beziehungsweise „Der große Preis“ zu nationalen Ehren gekommenen Kunstwesen Wum, Wendelin und der Blaue Klaus.
Der Meister der leisen Töne
Auch seine für das TV geschaffenen Charaktere wie das jodelnde Ehepaar Hoppenstedt, der Lottogewinner Erwin Lindemann oder der badende Hotelgast Müller-Lüdenscheidt bleiben wohl für immer unvergesslich. Aber auch als „Jongleur der Sprache“, so das Magazin „Cicero“, gelangen ihm Wortschöpfungen wie „Kosakenzipfel“, „Steinlaus“ oder „Jodeldiplom“ beziehungsweise Formulierungen wie „Ach was!“, „Das ist fein beobachtet“ oder „Bitte sagen Sie jetzt nichts ...“, die sogar in den allgemeinen deutschen Sprachgebrauch übergegangen sind. „Was Goethe und Schiller für die deutsche Dichtkunst bedeuteten“, schreibt „Cicero“, „war Loriot für die deutsche Komik. Wie kein anderer verkörperte er den deutschen Humor. Er war es, der die Deutschen Selbstironie lehrte, etwas, was nach zwei Weltkriegen verloren gegangen war. Loriot hielt den Bundesbürgern der Nachkriegszeit mit seinen Figuren einen Spiegel vor. Seine Figuren kamen meist aus dem eher konservativen Bürgertum, das sich nach dem Wirtschaftswunder bequem zu Hause eingerichtet hatte und sich mit den alltäglichen Banalitäten wie Bettenkauf oder dem Essen einer viel umwickelten Roulade beschäftigte. Loriot führte uns die Absurditäten und Tücken unseres Alltags vor. Die ganz banalen Missverständnisse und Kommunikationsstörungen, das Aneinandervorbeireden, insbesondere zwischen Mann und Frau, waren seine großen Themen.“
Was aus dem Munde Loriots ähnlich geklungen hatte: „Kommunikationsgestörte interessieren mich am meisten. Alles, was ich als komisch empfinde, entsteht aus der zerbröselten Kommunikation, aus dem Aneinandervorbeireden.“ Bei all seinem humoristischen Schaffen war Loriot stets ein Meister der leisen Töne, fern jeglichen Klamauks. Der WDR lobte ihn als den „Feingeist unter den deutschen Humoristen“. Der „Spiegel“ hatte den bekennenden Mops-Fan, der den Hündchen mit dem Satz „Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos“ ein Denkmal gesetzt hatte, 2011 sogar „als größten deutschen Künstler der Gegenwart“ geadelt.
Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bülow, meist kurz „Vicco“ genannt, wurde am 12. November 1923 in Brandenburg an der Havel geboren und wuchs wegen der frühen Trennung seiner Eltern gemeinsam mit seinem Bruder zunächst bei Groß- und Urgroßmutter in Berlin auf. Nachdem sein Vater wieder heiratete, kehrten die beiden Söhne zu ihm zurück. Der junge Vicco besuchte Gymnasien in Berlin-Zehlendorf und anschließend in Stuttgart, wohin die Familie 1938 umgezogen war. Viccos berufliche Anfänge als Cartoonist Anfang der 1950er-Jahre waren zunächst nicht so ganz einfach, weshalb er gelegentlich sein Budget mit winzigen Rollen bei Kinofilmen wie „Haie und kleine Fische“ (1957) oder „Die Brücke“ (1959) auffrischen musste.
Wohnhaft am Starnberger See
Seine ersten Zeichnungen erschienen im Hamburger Magazin „Die Straße“. Wenig später wurde Henri Nannen vom „Stern“ auf Loriot aufmerksam, stellte die Serie „Auf den Hund gekommen“ 1953 aber nach heftigen Leserprotesten schon nach sieben Folgen wieder ein. In der Kinderbeilage des Magazins, dem „Sternchen“, wurde hingegen die Comicserie „Reinhold das Nashorn“ mit Zeichnungen Loriots und Versen von Wolf Uecker weiter veröffentlicht – insgesamt 17 Jahre lang und ab 1961 auf einer Doppelseite im „Stern“ selbst.
Mit seinen Bemühungen, einen Buchverleger für die Serie „Auf den Hund gekommen“ zu finden, erlebte Loriot eine Abfuhr bei Rowohlt. Dafür traf er mit dem jungen Diogenes-Chef Daniel Keel 1954 einen Bewunderer seiner Kunst, in dessen Schweizer Haus künftig die meisten Loriot-Bücher erschienen. Dank weiterer Arbeiten für die Lese-Illustrierte „Weltbild“ und vor allem ab 1956 für das Magazin „Quick“ mit der Serie „Der gute Ton“ wurde Loriot allmählich deutschlandweit bekannt. Das brachte ihm auch verstärkt Werbeaufträge ein.
1963 verlegte Loriot mit seiner Frau Rose-Marie Schlumbom, die er 1951 geheiratet hatte, den gemeinsamen Wohnsitz ins oberbayerische Ammerland, genauer gesagt in einen Stadtteil von Münsing in der Nähe des Starnberger Sees. 1967 begann seine Karriere beim Fernsehen, als er für den Süddeutschen Rundfunk fünf Jahre lang die Sendung „Cartoon“ moderierte und in seiner Funktion als Autor und Co-Redakteur neben internationalen Zeichentrickfilmen auch zunehmend eigenständige humoristische Elemente einbaute. 1974 produzierte Radio Bremen mit „Loriots Telecabinet“ eine Sondersendung, die schon viel Ähnlichkeit zu der späteren sechsteiligen Fernsehserie „Loriot“ aufwies, die zwischen 1976 und 1978 von Radio Bremen für die ARD produziert wurde. Vor allem die humoristischen Sketche mit Evelyn Hamann wurden dabei zu Höhepunkten deutscher
Fernsehgeschichte.
Am 22. August 2011 starb der mit allen nur erdenklichen Orden, Ehren und Auszeichnungen bedachte Fürst des deutschen Humors. 2006 hatte er offiziell seinen Rückzug als Fernsehschaffender verkündet. Im Alter von 87 Jahren verstarb er in seiner Wahlheimat Ammerland an Altersschwäche.