Das Saarland schließt eine Partnerschaft mit dem ukrainischen Lwiw. Dabei soll es nicht nur um Zusammenarbeit in Migrationsfragen und Zukunftsthemen gehen, sondern auch um die Stärkung Europas.
Als Saar-Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) Anfang der vergangenen Woche die polnische Region Podkarpackie (die Woiwodschaft Karpatenvorland) bereiste, ging es nicht nur darum, alten Freunden einen Besuch abzustatten, sondern darum, diese Freundschaft über die Grenze hinaus zu erweitern: „Wir wollen die Partnerschaft mit Podkarpackie lebendig halten und durch eine Partnerschaft mit der ukrainischen Nachbarregion ergänzen“, so Rehlinger. Lwiw heißt die ukrainische Oblast, um die es geht. Eine Oblast ist eine regionale Verwaltungseinheit innerhalb des ukrainischen Staatsaufbaus. Die Oblast Lwiw liegt direkt an der polnisch-ukrainischen Grenze und pflegt sehr enge partnerschaftliche Beziehungen zu den Nachbarn in Podkarpackie. Nicht nur Rehlinger zeigte sich vor Ort, als es darum ging, die neue Partnerschaftsvereinbarung gemeinsam mit Gouverneur Maksim Kosytsky zu unterzeichnen, auch der saarländische Innenminister Reinhold Jost (SPD), Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD), Landrat Theophil Gallo (SPD), der Chef der Staatskanzlei David Lindemann (SPD) und der stellvertretende Vorsitzende des Europaausschusses im saarländischen Landtag Roland Theis (CDU) reisten mit.
Delegationsreise nach Polen
Die Partnerschaft sei wertvolle Grundlage, um auch hier Anknüpfungspunkte zu identifizieren, sei es in wirtschaftlicher oder sozialer Hinsicht, betont Rehlinger. Aber nicht zuletzt seien es Fragen rund um die Flucht und Integration der mehr als 14.000 Ukrainer, die seit Kriegsausbruch ins Saarland kamen. Denn neben der Frage der Unterbringung benötigten Familien Betreuungs- und Schulplätze. „Nicht zuletzt ist die Partnerschaft auch ein nachhaltiges Zeichen der Solidarität mit der Ukraine“, so die SPD-Politikerin. Auch Lwiw (oder Lemberg, wie es in Deutschland heißt) blieb von den Auswirkungen des Krieges nicht verschont. Am 19. September vermeldete die Ukraine Drohnenangriffe auf die für die Oblast namensgebende Stadt Lwiw, die aufgrund ihrer wunderschönen Architektur auch als „Florenz des Ostens“ bekannt ist; mindestens ein Mensch wurde dabei getötet. Ein Journalist berichtete von zahlreichen Explosionen und schweren Fahrzeugen auf den Straßen der Stadt während der nächtlichen Ausgangssperre. Der Angriff löste örtlichen Behörden zufolge einen Brand in einem städtischen Lagerhaus aus, in dem auch 300 Tonnen Hilfsgüter wie warme Kleidung und Generatoren für die Winterhilfe lagerten. Ein Lagermitarbeiter wurde getötet, zwei weitere Personen leicht beziehungsweise schwer verletzt. „Humanitäre Hilfe darf kein Ziel in einem Krieg sein. Wir verurteilen diesen Angriff auf das Schärfste“, sagte Oliver Müller im September. Der Leiter des Hilfswerks Caritas International bezeichnete den Angriff als „sinnlose Aktion, die die Brutalität des Krieges zeigt“.

Die Partnerschaft zwischen dem Saarland und Lwiw war schon länger geplant. Anfang des Jahres hatte die Ministerpräsidentin den ukrainischen Botschafter Oleksii Makeiev in der Staatskanzlei empfangen. In diesem Rahmen sprach sie auch das erste Mal öffentlich von einer geplanten Gebietspartnerschaft. Das Interesse auch auf ukrainischer Seite sei groß, sagte sie. Auch Makeiev sprach von einem Ausbau der Zusammenarbeit, gerade auch im wirtschaftlichen Bereich. Die Unterzeichnung der Partnerschaftsvereinbarung bezeichnete er bereits im Vorfeld der Reise als „ein weiteres Signal. Deutschland und die Ukraine stehen zusammen. Es ist sehr wichtig, dass dieses Signal von der Bundes-, Länder- und kommunalen Ebene, von der Politik und der Gesellschaft ausgeht“, so Makeiev. „Wir schätzen jede Unterstützung auf allen Ebenen. Eine kleine Solidarität gibt es nicht. Jede einzelne Solidaritätsbekundung deutscher Bürgerinnen und Bürger mit der Ukraine ist ein weiterer Schritt hin zu unserem gemeinsamen Sieg.“ Im Jahr 2022 beispielsweise hatten die Ukraine und Deutschland gemeinsam die Schirmherrschaft über das Ukrainisch-Deutsche Gemeindenetzwerk übernommen – für Makeiev ein starker Impuls: „Seither haben wir die Zahl der Partnerschaften fast verdoppelt“, sagte er erfreut. „Die Partnerschaft zwischen dem Saarland und dem Gebiet Lwiw ist unser nächster gemeinsamer Schritt zum Sieg der Ukraine und zum Frieden in Europa. Zur Rückkehr der Ukraine in die europäische Familie und zum Wiederaufbau der Ukraine.“
Aber nicht nur über die Ukraine wurde die vergangene Woche gesprochen, auch die Partnerschaft in Podkarpackie soll weiter ausgebaut werden: „Das Saarland und Podkarpackie pflegen einen wichtigen Austausch, getragen nicht zuletzt von ehrenamtlichen und kommunalen Strukturen“, sagte Rehlinger im Vorfeld. „Das wollen wir verstärken und ausbauen, nachdem das auch durch die Pandemie lange nicht möglich war.“ Besonders im Bildungsbereich gibt es im Saarland bereits zahlreiche deutsch-polnische Partnerschaften zwischen Schulen und Hochschulen. Mit für dieses enge Verhältnis verantwortlich ist Hans Bollinger, der ehemalige Leiter des Schullandheimes Spohns Haus in Gersheim, der die Partnerschaft 2009 mit auf den Weg gebracht hatte. „Ich organisierte mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zahlreiche Schülerbegegnungen. Der damalige Chef der Staatskanzlei, Karl Rauber, bat mich, eine Partnerschaft zu initiieren“, erinnerte er sich im Interview mit der „Saarbrücker Zeitung“. „Weitere Partnerschaften wie mit der Universität, der Hochschule für Musik, 30 Schulpartnerschaften und die Partnerschaft des Saarpfalz-Kreises mit dem Kreis Przemysl und dem Kreis Lancut sowie des Kreises Neunkirchen mit dem Kreis Jaroslaw sind in den vergangenen Jahren auf diesen Fundamenten aufgebaut worden.“ Auch er war bei der Reise dabei und wird auch bei der neu entstehenden Partnerschaft mit Lwiw mitreden.
„Oft unterschätzter Partner in Europa“
Dass ein enges Verhältnis zwischen Polen und Deutschland von immenser Bedeutung ist, sieht nicht nur Bollinger so. „Polen ist ein oft unterschätzter Partner in Europa“, weiß auch Anke Rehlinger. „Die EU hat dann eine gute Zukunft, wenn Deutschland und Polen wieder näher zusammenrücken und das Weimarer Dreieck eine Renaissance erlebt.“ Auch die polnischen Parlamentswahlen vom 15. Oktober würden „ein Möglichkeitsfenster“ eröffnen, „das Europa nutzen muss, um die Verbindung zu stärken.“ Das bedeutet nicht nur, den Dialog zu suchen, sondern auch, konkrete Zusammenarbeit anzustreben, sei es in Wirtschaft, Bildung, Kultur oder Forschung.
Neben einem Besuch der Schulaufsichtsbehörde in Rzeszów und der Begegnung mit Schülern sowie Lehrern von Partnerschulen dort besuchte die Delegation bei Rehlingers erster Reise in die Partnerregion auch das Wissenschaftszentrum Lukasiewicz sowie den Wissenschafts- und Technologiepark Aeropolis. Bei einem Termin in der Universität Rzeszów kündigte Rehlinger im Vorfeld an, auch über den Ausbau gemeinsamer Kooperationen im universitären Bereich zu sprechen – die Universität des Saarlands und die Universität Rzeszów unterhalten seit 2012 partnerschaftliche Beziehungen. In Rzeszów gab es zudem Gespräche zwischen der Ministerpräsidentin und der Spitze der polnischen Regionalverwaltung, insbesondere mit dem Marschall und der Woiwodin der Region, den Verwaltungsobersten.
Nicht zuletzt besuchte die Delegation vor der Heimreise auch das Museum und die Gedenkstätte der Ulma-Familie in Markowa. Józef und Wiktoria Ulma hatten während des Zweiten Weltkriegs zahlreiche Juden gerettet, zwei Familien gar unter Gefährdung ihres eigenen Lebens im Haus versteckt. Nach einer Denunziation wurden das Ehepaar und seine sechs Kinder gemeinsam mit den jüdischen Flüchtlingen am 24. März 1944 durch Einheiten der deutschen Polizei hingerichtet. In diesem Jahr wurden alle Mitglieder der Ulma-Familie durch Papst Franziskus seliggesprochen.